All diese Liebe der Vorzeit ist starr und tot. Die Lieben¬ den Gerippe in den Museen der Menschheit. Gerippe und Stein, auf die der Forscher Zettel mit wunderlichen Namen klebt.
Mag der Sturm jener Reptilleidenschaften noch so groß gewesen sein: die ungeheure Zeit dämpft das doch heute ab wie zu einem fernen, verhallenden Akkord aus einer halb ver¬ lorenen Melodie. Und in solchen verhallenden, eben nur noch das Ohr erreichenden Klängen geht die Melodie dann noch viel weiter zurück. Der Ichthyosaurus, so alt er ist, er gehört doch noch hoch in die Linie organischer Entwickelung auf Erden. Dieselbe Linie, von der -- man mag sich im einzelnen streiten, wie man will -- letzten Endes doch auch der Mensch abzuleiten ist. Man bleibt da immer noch in gewissem Sinne in der "Familie". Es geht aber abwärts an dieser Linie ohne Bruch noch ein gut Stück, das sicher nach Millionen weiter rechnet, über den Ichthyosaurus rückwärts hinaus.
Man braucht symbolisch gern das Bild von einem letzten Strande des Bekannten. Ein verlassenes Gestade. Sand und Schaumflocken. Und dann das unendliche, silbergrau ver¬ dämmernde Meer des Unbekannten mit dem weißen Horizont der unfaßbaren Ewigkeit.
Der Naturforscher, der dem organischen Leben auf der Erde bis in immer fernere Tage nachgeht, kennt einen solchen
[Abbildung]
All dieſe Liebe der Vorzeit iſt ſtarr und tot. Die Lieben¬ den Gerippe in den Muſeen der Menſchheit. Gerippe und Stein, auf die der Forſcher Zettel mit wunderlichen Namen klebt.
Mag der Sturm jener Reptilleidenſchaften noch ſo groß geweſen ſein: die ungeheure Zeit dämpft das doch heute ab wie zu einem fernen, verhallenden Akkord aus einer halb ver¬ lorenen Melodie. Und in ſolchen verhallenden, eben nur noch das Ohr erreichenden Klängen geht die Melodie dann noch viel weiter zurück. Der Ichthyoſaurus, ſo alt er iſt, er gehört doch noch hoch in die Linie organiſcher Entwickelung auf Erden. Dieſelbe Linie, von der — man mag ſich im einzelnen ſtreiten, wie man will — letzten Endes doch auch der Menſch abzuleiten iſt. Man bleibt da immer noch in gewiſſem Sinne in der „Familie“. Es geht aber abwärts an dieſer Linie ohne Bruch noch ein gut Stück, das ſicher nach Millionen weiter rechnet, über den Ichthyoſaurus rückwärts hinaus.
Man braucht ſymboliſch gern das Bild von einem letzten Strande des Bekannten. Ein verlaſſenes Geſtade. Sand und Schaumflocken. Und dann das unendliche, ſilbergrau ver¬ dämmernde Meer des Unbekannten mit dem weißen Horizont der unfaßbaren Ewigkeit.
Der Naturforſcher, der dem organiſchen Leben auf der Erde bis in immer fernere Tage nachgeht, kennt einen ſolchen
<TEI><text><body><divn="1"><pbfacs="#f0104"n="88"/><figure/><p><hirendition="#in">A</hi>ll dieſe Liebe der Vorzeit iſt ſtarr und tot. Die Lieben¬<lb/>
den Gerippe in den Muſeen der Menſchheit. Gerippe und<lb/>
Stein, auf die der Forſcher Zettel mit wunderlichen Namen klebt.</p><lb/><p>Mag der Sturm jener Reptilleidenſchaften noch ſo groß<lb/>
geweſen ſein: die ungeheure Zeit dämpft das doch heute ab<lb/>
wie zu einem fernen, verhallenden Akkord aus einer halb ver¬<lb/>
lorenen Melodie. Und in ſolchen verhallenden, eben nur noch<lb/>
das Ohr erreichenden Klängen geht die Melodie dann noch<lb/>
viel weiter zurück. Der Ichthyoſaurus, ſo alt er iſt, er gehört<lb/>
doch noch <hirendition="#g">hoch</hi> in die Linie organiſcher Entwickelung auf<lb/>
Erden. Dieſelbe Linie, von der — man mag ſich im einzelnen<lb/>ſtreiten, wie man will — letzten Endes doch auch der Menſch<lb/>
abzuleiten iſt. Man bleibt da immer noch in gewiſſem Sinne<lb/>
in der „Familie“. Es geht aber abwärts an dieſer Linie<lb/>
ohne Bruch noch ein gut Stück, das ſicher nach Millionen<lb/>
weiter rechnet, über den Ichthyoſaurus rückwärts hinaus.</p><lb/><p>Man braucht ſymboliſch gern das Bild von einem letzten<lb/>
Strande des Bekannten. Ein verlaſſenes Geſtade. Sand und<lb/>
Schaumflocken. Und dann das unendliche, ſilbergrau ver¬<lb/>
dämmernde Meer des Unbekannten mit dem weißen Horizont<lb/>
der unfaßbaren Ewigkeit.</p><lb/><p>Der Naturforſcher, der dem organiſchen Leben auf der<lb/>
Erde bis in immer fernere Tage nachgeht, kennt einen ſolchen<lb/></p></div></body></text></TEI>
[88/0104]
[Abbildung]
All dieſe Liebe der Vorzeit iſt ſtarr und tot. Die Lieben¬
den Gerippe in den Muſeen der Menſchheit. Gerippe und
Stein, auf die der Forſcher Zettel mit wunderlichen Namen klebt.
Mag der Sturm jener Reptilleidenſchaften noch ſo groß
geweſen ſein: die ungeheure Zeit dämpft das doch heute ab
wie zu einem fernen, verhallenden Akkord aus einer halb ver¬
lorenen Melodie. Und in ſolchen verhallenden, eben nur noch
das Ohr erreichenden Klängen geht die Melodie dann noch
viel weiter zurück. Der Ichthyoſaurus, ſo alt er iſt, er gehört
doch noch hoch in die Linie organiſcher Entwickelung auf
Erden. Dieſelbe Linie, von der — man mag ſich im einzelnen
ſtreiten, wie man will — letzten Endes doch auch der Menſch
abzuleiten iſt. Man bleibt da immer noch in gewiſſem Sinne
in der „Familie“. Es geht aber abwärts an dieſer Linie
ohne Bruch noch ein gut Stück, das ſicher nach Millionen
weiter rechnet, über den Ichthyoſaurus rückwärts hinaus.
Man braucht ſymboliſch gern das Bild von einem letzten
Strande des Bekannten. Ein verlaſſenes Geſtade. Sand und
Schaumflocken. Und dann das unendliche, ſilbergrau ver¬
dämmernde Meer des Unbekannten mit dem weißen Horizont
der unfaßbaren Ewigkeit.
Der Naturforſcher, der dem organiſchen Leben auf der
Erde bis in immer fernere Tage nachgeht, kennt einen ſolchen
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 1. Florenz u. a., 1898, S. 88. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boelsche_liebesleben01_1898/104>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.