Laß uns aber einen Augenblick hier das geologische Fern¬ rohr überhaupt beiseite setzen.
Es ist ein Gedanke nachzuholen.
Wir sind ausgegangen von der Unsterblichkeit des Menschen¬ geschlechts, garantiert durch die Liebe. Die moderne Forschung sollte uns zu diesem alten Gedanken neue Perspektiven eröffnen. Und auf einmal befinden wir uns am kambrischen Strand. Wir sehen wie im Nebel, daß die Liebe dort noch waltete. Wo aber ist der Mensch?
Jener schwedische Sandstein, der einst so zarter Sand¬ schlamm war, daß die Fährte des ziehenden Wurms, des viel¬ füßig krabbelnden Krebses sich darauf abprägen konnte, -- bietet er nicht irgendwo auch einmal den tiefen Ausguß eines menschlichen Fußes dar? Eines nackten, weiblichen Fußes? Von einem kambrischen Urmädchen an dem alten Strande, das vielleicht in einem unendlich verschollenen Sonnengolde den Freuden der Liebe gerade entgegen ging .....?
Ein durch und durch moderner Gedanke setzt hier ein, der jede Phantasie der Art abschneidet. Ein Gedanke von kolossaler Wucht, der ganze Weltanschauungen zermalmt hat wie ein ent¬ fesselter Marmorblock. Und der doch im Herzen so einfach ist, daß man sich wundert, wie an ihm je gezweifelt werden konnte.
An jenem kambrischen Urstrand und früher schon von oben her an jenem schwäbischen Tropenozean, den die Ichthyosaurier durchschwammen, gab es noch keine Menschen. Es gab nur Wesen, die einmal Menschen werden sollten. Sie
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Laß uns aber einen Augenblick hier das geologiſche Fern¬ rohr überhaupt beiſeite ſetzen.
Es iſt ein Gedanke nachzuholen.
Wir ſind ausgegangen von der Unſterblichkeit des Menſchen¬ geſchlechts, garantiert durch die Liebe. Die moderne Forſchung ſollte uns zu dieſem alten Gedanken neue Perſpektiven eröffnen. Und auf einmal befinden wir uns am kambriſchen Strand. Wir ſehen wie im Nebel, daß die Liebe dort noch waltete. Wo aber iſt der Menſch?
Jener ſchwediſche Sandſtein, der einſt ſo zarter Sand¬ ſchlamm war, daß die Fährte des ziehenden Wurms, des viel¬ füßig krabbelnden Krebſes ſich darauf abprägen konnte, — bietet er nicht irgendwo auch einmal den tiefen Ausguß eines menſchlichen Fußes dar? Eines nackten, weiblichen Fußes? Von einem kambriſchen Urmädchen an dem alten Strande, das vielleicht in einem unendlich verſchollenen Sonnengolde den Freuden der Liebe gerade entgegen ging .....?
Ein durch und durch moderner Gedanke ſetzt hier ein, der jede Phantaſie der Art abſchneidet. Ein Gedanke von koloſſaler Wucht, der ganze Weltanſchauungen zermalmt hat wie ein ent¬ feſſelter Marmorblock. Und der doch im Herzen ſo einfach iſt, daß man ſich wundert, wie an ihm je gezweifelt werden konnte.
An jenem kambriſchen Urſtrand und früher ſchon von oben her an jenem ſchwäbiſchen Tropenozean, den die Ichthyoſaurier durchſchwammen, gab es noch keine Menſchen. Es gab nur Weſen, die einmal Menſchen werden ſollten. Sie
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rohr überhaupt beiſeite ſetzen.
Es iſt ein Gedanke nachzuholen.
Wir ſind ausgegangen von der Unſterblichkeit des Menſchen¬
geſchlechts, garantiert durch die Liebe. Die moderne Forſchung
ſollte uns zu dieſem alten Gedanken neue Perſpektiven eröffnen.
Und auf einmal befinden wir uns am kambriſchen Strand.
Wir ſehen wie im Nebel, daß die Liebe dort noch waltete.
Wo aber iſt der Menſch?
Jener ſchwediſche Sandſtein, der einſt ſo zarter Sand¬
ſchlamm war, daß die Fährte des ziehenden Wurms, des viel¬
füßig krabbelnden Krebſes ſich darauf abprägen konnte, —
bietet er nicht irgendwo auch einmal den tiefen Ausguß eines
menſchlichen Fußes dar? Eines nackten, weiblichen Fußes?
Von einem kambriſchen Urmädchen an dem alten Strande, das
vielleicht in einem unendlich verſchollenen Sonnengolde den
Freuden der Liebe gerade entgegen ging .....?
Ein durch und durch moderner Gedanke ſetzt hier ein, der
jede Phantaſie der Art abſchneidet. Ein Gedanke von koloſſaler
Wucht, der ganze Weltanſchauungen zermalmt hat wie ein ent¬
feſſelter Marmorblock. Und der doch im Herzen ſo einfach iſt,
daß man ſich wundert, wie an ihm je gezweifelt werden konnte.
An jenem kambriſchen Urſtrand und früher ſchon von oben
her an jenem ſchwäbiſchen Tropenozean, den die Ichthyoſaurier
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Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 1. Florenz u. a., 1898, S. 92. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boelsche_liebesleben01_1898/108>, abgerufen am 23.11.2024.
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