Denke den Gedanken noch einen Schritt weiter und ich habe dich da, wo ich dich will. Aphrodite im altgriechischen Märchenreiche entstand im Schaum durch einen mystischen Akt. Gaia, die Erdgöttin, gebiert den Uranos, die zeugende Himmels¬ kraft. Uranos zeugt mit der eigenen Mutter die Titanen. Der Titane Kronos entmannt den Vater und wirft sein Zeugungsglied in den Ozean. Es versinkt in einer Schaum¬ welle und aus diesem Schaum steigt Aphrodite empor. Götter und Mystik .....
Nun überlege dir, aus welchem Grunde der moderne Naturforscher an jener letzten Lebensscheide vor der Rotglut der Ur-Erde die Hypothese von der "Urzeugung" erfunden hat.
In streng wissenschaftlicher Form kam die Hypothese in unserm Jahrhundert allmählich auf als die darwinistische Gegenhypothese zu einer Behauptung, die als solche keines¬ wegs wissenschaftlicher Forschung und Denkart entstammte, sondern gerade einer gewissen Mystik und ihrer unverwüstlich zähen Tradition. Religiöser Dogmatik vertraut, hatte diese sich eine Zeitlang gleichsam heimatlos herumgetrieben, als sie plötzlich in der wissenschaftlichen Geologie selber eine Art rettender Planke sah. Vorher Urfeuer der Erde -- keine Möglichkeit lebendigen Stoffs auf Erden. Später Leben in greifbarer Gestalt. Da mußte sich, so schlossen Philosophen, die auf dem Boden gewisser religiöser Glaubenssätze standen, an diesem Fleck wohl das "Wunder der Schöpfung" ein¬ gemischt haben. Der erste Bazillus war durch mystischen Akt aus Gottes Hand gefallen. Um für unsern Zweck hier zu reden: also auch die Liebe war an der Grenze von glühender Unbewohnbarkeit und abgekühlter Bewohnbarkeit der Erde "ge¬ schaffen" worden.
Es liegt etwas Tragisches darin, wie solche mystischen Ideen während unseres Jahrhunderts auf die "Platz-Suche" im logischen Menschenverstand gegangen sind. Zuerst die alte Tradition felsenfest: sechs Tage Schöpfung -- ganz buchstäblich
Denke den Gedanken noch einen Schritt weiter und ich habe dich da, wo ich dich will. Aphrodite im altgriechiſchen Märchenreiche entſtand im Schaum durch einen myſtiſchen Akt. Gaia, die Erdgöttin, gebiert den Uranos, die zeugende Himmels¬ kraft. Uranos zeugt mit der eigenen Mutter die Titanen. Der Titane Kronos entmannt den Vater und wirft ſein Zeugungsglied in den Ozean. Es verſinkt in einer Schaum¬ welle und aus dieſem Schaum ſteigt Aphrodite empor. Götter und Myſtik .....
Nun überlege dir, aus welchem Grunde der moderne Naturforſcher an jener letzten Lebensſcheide vor der Rotglut der Ur-Erde die Hypotheſe von der „Urzeugung“ erfunden hat.
In ſtreng wiſſenſchaftlicher Form kam die Hypotheſe in unſerm Jahrhundert allmählich auf als die darwiniſtiſche Gegenhypotheſe zu einer Behauptung, die als ſolche keines¬ wegs wiſſenſchaftlicher Forſchung und Denkart entſtammte, ſondern gerade einer gewiſſen Myſtik und ihrer unverwüſtlich zähen Tradition. Religiöſer Dogmatik vertraut, hatte dieſe ſich eine Zeitlang gleichſam heimatlos herumgetrieben, als ſie plötzlich in der wiſſenſchaftlichen Geologie ſelber eine Art rettender Planke ſah. Vorher Urfeuer der Erde — keine Möglichkeit lebendigen Stoffs auf Erden. Später Leben in greifbarer Geſtalt. Da mußte ſich, ſo ſchloſſen Philoſophen, die auf dem Boden gewiſſer religiöſer Glaubensſätze ſtanden, an dieſem Fleck wohl das „Wunder der Schöpfung“ ein¬ gemiſcht haben. Der erſte Bazillus war durch myſtiſchen Akt aus Gottes Hand gefallen. Um für unſern Zweck hier zu reden: alſo auch die Liebe war an der Grenze von glühender Unbewohnbarkeit und abgekühlter Bewohnbarkeit der Erde „ge¬ ſchaffen“ worden.
Es liegt etwas Tragiſches darin, wie ſolche myſtiſchen Ideen während unſeres Jahrhunderts auf die „Platz-Suche“ im logiſchen Menſchenverſtand gegangen ſind. Zuerſt die alte Tradition felſenfeſt: ſechs Tage Schöpfung — ganz buchſtäblich
<TEI><text><body><divn="1"><pbfacs="#f0123"n="107"/><p>Denke den Gedanken noch einen Schritt weiter und ich<lb/>
habe dich da, wo ich dich will. Aphrodite im altgriechiſchen<lb/>
Märchenreiche entſtand im Schaum durch einen myſtiſchen Akt.<lb/>
Gaia, die Erdgöttin, gebiert den Uranos, die zeugende Himmels¬<lb/>
kraft. Uranos zeugt mit der eigenen Mutter die Titanen.<lb/>
Der Titane Kronos entmannt den Vater und wirft ſein<lb/>
Zeugungsglied in den Ozean. Es verſinkt in einer Schaum¬<lb/>
welle und aus dieſem Schaum ſteigt Aphrodite empor. Götter<lb/>
und Myſtik .....</p><lb/><p>Nun überlege dir, aus welchem Grunde der moderne<lb/>
Naturforſcher an jener letzten Lebensſcheide vor der Rotglut<lb/>
der Ur-Erde die Hypotheſe von der „Urzeugung“ erfunden hat.</p><lb/><p>In ſtreng wiſſenſchaftlicher Form kam die Hypotheſe in<lb/>
unſerm Jahrhundert allmählich auf als die darwiniſtiſche<lb/><hirendition="#g">Gegenhypotheſe</hi> zu einer Behauptung, die als ſolche keines¬<lb/>
wegs wiſſenſchaftlicher Forſchung und Denkart entſtammte,<lb/>ſondern gerade einer gewiſſen Myſtik und ihrer unverwüſtlich<lb/>
zähen Tradition. Religiöſer Dogmatik vertraut, hatte dieſe<lb/>ſich eine Zeitlang gleichſam heimatlos herumgetrieben, als ſie<lb/>
plötzlich in der wiſſenſchaftlichen Geologie ſelber eine Art<lb/>
rettender Planke ſah. Vorher Urfeuer der Erde — keine<lb/>
Möglichkeit lebendigen Stoffs auf Erden. Später Leben in<lb/>
greifbarer Geſtalt. Da mußte ſich, ſo ſchloſſen Philoſophen,<lb/>
die auf dem Boden gewiſſer religiöſer Glaubensſätze ſtanden,<lb/>
an dieſem Fleck wohl das „Wunder der Schöpfung“ ein¬<lb/>
gemiſcht haben. Der erſte Bazillus war durch myſtiſchen Akt<lb/>
aus Gottes Hand gefallen. Um für unſern Zweck hier zu<lb/>
reden: alſo auch die Liebe war an der Grenze von glühender<lb/>
Unbewohnbarkeit und abgekühlter Bewohnbarkeit der Erde „ge¬<lb/>ſchaffen“ worden.</p><lb/><p>Es liegt etwas Tragiſches darin, wie ſolche myſtiſchen<lb/>
Ideen während unſeres Jahrhunderts auf die „Platz-Suche“<lb/>
im logiſchen Menſchenverſtand gegangen ſind. Zuerſt die alte<lb/>
Tradition felſenfeſt: ſechs Tage Schöpfung — ganz buchſtäblich<lb/></p></div></body></text></TEI>
[107/0123]
Denke den Gedanken noch einen Schritt weiter und ich
habe dich da, wo ich dich will. Aphrodite im altgriechiſchen
Märchenreiche entſtand im Schaum durch einen myſtiſchen Akt.
Gaia, die Erdgöttin, gebiert den Uranos, die zeugende Himmels¬
kraft. Uranos zeugt mit der eigenen Mutter die Titanen.
Der Titane Kronos entmannt den Vater und wirft ſein
Zeugungsglied in den Ozean. Es verſinkt in einer Schaum¬
welle und aus dieſem Schaum ſteigt Aphrodite empor. Götter
und Myſtik .....
Nun überlege dir, aus welchem Grunde der moderne
Naturforſcher an jener letzten Lebensſcheide vor der Rotglut
der Ur-Erde die Hypotheſe von der „Urzeugung“ erfunden hat.
In ſtreng wiſſenſchaftlicher Form kam die Hypotheſe in
unſerm Jahrhundert allmählich auf als die darwiniſtiſche
Gegenhypotheſe zu einer Behauptung, die als ſolche keines¬
wegs wiſſenſchaftlicher Forſchung und Denkart entſtammte,
ſondern gerade einer gewiſſen Myſtik und ihrer unverwüſtlich
zähen Tradition. Religiöſer Dogmatik vertraut, hatte dieſe
ſich eine Zeitlang gleichſam heimatlos herumgetrieben, als ſie
plötzlich in der wiſſenſchaftlichen Geologie ſelber eine Art
rettender Planke ſah. Vorher Urfeuer der Erde — keine
Möglichkeit lebendigen Stoffs auf Erden. Später Leben in
greifbarer Geſtalt. Da mußte ſich, ſo ſchloſſen Philoſophen,
die auf dem Boden gewiſſer religiöſer Glaubensſätze ſtanden,
an dieſem Fleck wohl das „Wunder der Schöpfung“ ein¬
gemiſcht haben. Der erſte Bazillus war durch myſtiſchen Akt
aus Gottes Hand gefallen. Um für unſern Zweck hier zu
reden: alſo auch die Liebe war an der Grenze von glühender
Unbewohnbarkeit und abgekühlter Bewohnbarkeit der Erde „ge¬
ſchaffen“ worden.
Es liegt etwas Tragiſches darin, wie ſolche myſtiſchen
Ideen während unſeres Jahrhunderts auf die „Platz-Suche“
im logiſchen Menſchenverſtand gegangen ſind. Zuerſt die alte
Tradition felſenfeſt: ſechs Tage Schöpfung — ganz buchſtäblich
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 1. Florenz u. a., 1898, S. 107. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boelsche_liebesleben01_1898/123>, abgerufen am 25.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.