waltsam auf. Du siehst in der Tiefe, wo sie sich fest geschlossen rundlich wölbte, wie in einen Kessel. Und indem du seine Wand sprengst, saust ein ganzer Schwarm kleinster schwarzer Mückchen heraus. Sie scheinen aus einem Kerker jäh befreit. Aber wie kamen sie hinein? Du hast einen der wunderbarsten Mecha¬ nismen der ganzen Pflanzenwelt vor dir: einen Mechanismus zum Zweck der Kreuzbefruchtung.
Der Aronsstab haucht einen fauligen Geruch aus, der kleine Aasfliegen anlockt, daß sie von oben her in die offene grüne Tüte kriechen. Da ragt ihnen aus dem ebenfalls oben offenen Kesselchen ein feister Kolben entgegen: die Spitze der eigentlichen Blüte (oder besser Blütenkolonie), die ohne beson¬ dere Innenhülle als nackte Achse durch den Kessel steigt. Die Insekten klettern an dem Kolben abwärts und gelangen in den Kessel selbst. Da ist gut sein, die Pflanze entwickelt, während draußen kühler Tau fällt, innen die molligste Temperatur, und die Innenwände des Kessels strotzen wirklich von Saft zu aus¬ giebigster Speisung. Aber was ist das? Ein Flieglein, gesättigt und gewärmt genug, will das freundliche Asyl wieder verlassen. Da merkt es, daß die ganze naschhafte Gesellschaft im Kessel gefangen ist. Unachtsam sind sie beim Einkriechen über einen Kranz biegsamer Borsten abwärts geklettert, der jetzt, da sie zurückwollen, genau nach der Methode einer Fischreuse oder ge¬ wisser Mausefallen den Aufstieg unbarmherzig sperrt. Was thun? Die kleinen Gefangenen wimmeln ein paar Tage unruhig, aber immerhin wohlbeköstigt und gewärmt in ihrem Kerker herum und warten ab. Inzwischen vollzieht sich an der Pflanze aber ein seltsames Neues, das die Fliegen zunächst wohl gar nicht beachten, da es sie nichts anzugehen scheint.
An der Achse des Kessels sitzen dicht gedrängt übereinander erst ein Kranz männlicher, dann weiblicher Geschlechtsblütchen. Dicht bei einander, ja in gefährlichster Form übereinander, wie sie da liegen, müßten sie sich eigentlich aufs leichteste gegen¬ seitig mischen können und das Herumwimmeln der Fliegen wäre
waltſam auf. Du ſiehſt in der Tiefe, wo ſie ſich feſt geſchloſſen rundlich wölbte, wie in einen Keſſel. Und indem du ſeine Wand ſprengſt, ſauſt ein ganzer Schwarm kleinſter ſchwarzer Mückchen heraus. Sie ſcheinen aus einem Kerker jäh befreit. Aber wie kamen ſie hinein? Du haſt einen der wunderbarſten Mecha¬ nismen der ganzen Pflanzenwelt vor dir: einen Mechanismus zum Zweck der Kreuzbefruchtung.
Der Aronsſtab haucht einen fauligen Geruch aus, der kleine Aasfliegen anlockt, daß ſie von oben her in die offene grüne Tüte kriechen. Da ragt ihnen aus dem ebenfalls oben offenen Keſſelchen ein feiſter Kolben entgegen: die Spitze der eigentlichen Blüte (oder beſſer Blütenkolonie), die ohne beſon¬ dere Innenhülle als nackte Achſe durch den Keſſel ſteigt. Die Inſekten klettern an dem Kolben abwärts und gelangen in den Keſſel ſelbſt. Da iſt gut ſein, die Pflanze entwickelt, während draußen kühler Tau fällt, innen die molligſte Temperatur, und die Innenwände des Keſſels ſtrotzen wirklich von Saft zu aus¬ giebigſter Speiſung. Aber was iſt das? Ein Flieglein, geſättigt und gewärmt genug, will das freundliche Aſyl wieder verlaſſen. Da merkt es, daß die ganze naſchhafte Geſellſchaft im Keſſel gefangen iſt. Unachtſam ſind ſie beim Einkriechen über einen Kranz biegſamer Borſten abwärts geklettert, der jetzt, da ſie zurückwollen, genau nach der Methode einer Fiſchreuſe oder ge¬ wiſſer Mauſefallen den Aufſtieg unbarmherzig ſperrt. Was thun? Die kleinen Gefangenen wimmeln ein paar Tage unruhig, aber immerhin wohlbeköſtigt und gewärmt in ihrem Kerker herum und warten ab. Inzwiſchen vollzieht ſich an der Pflanze aber ein ſeltſames Neues, das die Fliegen zunächſt wohl gar nicht beachten, da es ſie nichts anzugehen ſcheint.
An der Achſe des Keſſels ſitzen dicht gedrängt übereinander erſt ein Kranz männlicher, dann weiblicher Geſchlechtsblütchen. Dicht bei einander, ja in gefährlichſter Form übereinander, wie ſie da liegen, müßten ſie ſich eigentlich aufs leichteſte gegen¬ ſeitig miſchen können und das Herumwimmeln der Fliegen wäre
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waltſam auf. Du ſiehſt in der Tiefe, wo ſie ſich feſt geſchloſſen
rundlich wölbte, wie in einen Keſſel. Und indem du ſeine Wand
ſprengſt, ſauſt ein ganzer Schwarm kleinſter ſchwarzer Mückchen
heraus. Sie ſcheinen aus einem Kerker jäh befreit. Aber wie
kamen ſie hinein? Du haſt einen der wunderbarſten Mecha¬
nismen der ganzen Pflanzenwelt vor dir: einen Mechanismus
zum Zweck der Kreuzbefruchtung.
Der Aronsſtab haucht einen fauligen Geruch aus, der
kleine Aasfliegen anlockt, daß ſie von oben her in die offene
grüne Tüte kriechen. Da ragt ihnen aus dem ebenfalls oben
offenen Keſſelchen ein feiſter Kolben entgegen: die Spitze der
eigentlichen Blüte (oder beſſer Blütenkolonie), die ohne beſon¬
dere Innenhülle als nackte Achſe durch den Keſſel ſteigt. Die
Inſekten klettern an dem Kolben abwärts und gelangen in den
Keſſel ſelbſt. Da iſt gut ſein, die Pflanze entwickelt, während
draußen kühler Tau fällt, innen die molligſte Temperatur, und
die Innenwände des Keſſels ſtrotzen wirklich von Saft zu aus¬
giebigſter Speiſung. Aber was iſt das? Ein Flieglein, geſättigt
und gewärmt genug, will das freundliche Aſyl wieder verlaſſen.
Da merkt es, daß die ganze naſchhafte Geſellſchaft im Keſſel
gefangen iſt. Unachtſam ſind ſie beim Einkriechen über einen
Kranz biegſamer Borſten abwärts geklettert, der jetzt, da ſie
zurückwollen, genau nach der Methode einer Fiſchreuſe oder ge¬
wiſſer Mauſefallen den Aufſtieg unbarmherzig ſperrt. Was thun?
Die kleinen Gefangenen wimmeln ein paar Tage unruhig, aber
immerhin wohlbeköſtigt und gewärmt in ihrem Kerker herum
und warten ab. Inzwiſchen vollzieht ſich an der Pflanze aber
ein ſeltſames Neues, das die Fliegen zunächſt wohl gar nicht
beachten, da es ſie nichts anzugehen ſcheint.
An der Achſe des Keſſels ſitzen dicht gedrängt übereinander
erſt ein Kranz männlicher, dann weiblicher Geſchlechtsblütchen.
Dicht bei einander, ja in gefährlichſter Form übereinander, wie
ſie da liegen, müßten ſie ſich eigentlich aufs leichteſte gegen¬
ſeitig miſchen können und das Herumwimmeln der Fliegen wäre
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Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 1. Florenz u. a., 1898, S. 154. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boelsche_liebesleben01_1898/170>, abgerufen am 21.11.2024.
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