gleichsam "auf dem Rade", es nimmt teil an tausend und tausend Bewegungen körperlicher und geistiger Art, und diese eigene Regsamkeit und Beweglichkeit ist gerade unter unseren Augen in unhemmbares Wachstum entrafft. Aber halte durch das alles hindurch deinen Blick zäh beim Geschlechtsleben selbst. Noch immer ist der Mann hier der gebende, das Weib der empfangende Teil. Lenke deine Phantasie zurück zu jenem ge¬ heimnisvollen Urphänomen deiner menschlichen Zeugung. Im dunklen Grunde des weiblichen Geschlechtsapparates: im kleinen, engsten, aber entscheidendsten derselbe Gegensatz. Wohl hat die Eizelle ihr eigenes Leben. Sie löst sich vom Eierstock des riesigen Weibesorganismus durch einen Spaltungsakt genau wie jenes seßhafte Zwerglein sich von seinem Elternzwerg zu¬ nächst auch durch einen energischen Bewegungsakt abspaltete. Sie wandert durch den Eileiter der Gebärmutter zu, also ein gewisses Stück selbstbewegt dem Mannessamen entgegen. Aber etwas herumbewegt werden sich die nur im allgemeinen und relativ seßhaften Zwerge des Märchens auch haben, -- wenn schon viel weniger als die anderen. Und kein Zweifel ist: siehst du in die Gebärmutter jetzt die Samentierchen ein¬ dringen und das Ei umschwärmen, so hast du ganz und gar das Bild, daß jetzt erst die aktive, eigentlich bewegliche Macht anlange, -- die Macht, die genau jenen lustigen Wander¬ burschen des Märchens entspricht. Selbst der Unterschied von Klein und Groß ist ja in dem Verhältnis von Samen¬ tierchen und Ei scharf gewahrt. Ein Samentierchen dringt ins Ei. Und nun hast du nochmals die Parallele: sie läuft jetzt durch Eikern und Samenkopf. Beide bewegen sich. Aber ganz langsam nur der eine, pfeilschnell der andere. Dann endlich die Verschmelzung als Krönung, die Kraft zu neuer Vollentwickelung giebt: derselbe Schlußakt hier wie dort als Ende des Gegensatzes von Beweglich und Unbeweglich, Groß und Klein -- von Manneszwerg, Manneszelle und Weib¬ zwerg, Weibzelle.
gleichſam „auf dem Rade“, es nimmt teil an tauſend und tauſend Bewegungen körperlicher und geiſtiger Art, und dieſe eigene Regſamkeit und Beweglichkeit iſt gerade unter unſeren Augen in unhemmbares Wachstum entrafft. Aber halte durch das alles hindurch deinen Blick zäh beim Geſchlechtsleben ſelbſt. Noch immer iſt der Mann hier der gebende, das Weib der empfangende Teil. Lenke deine Phantaſie zurück zu jenem ge¬ heimnisvollen Urphänomen deiner menſchlichen Zeugung. Im dunklen Grunde des weiblichen Geſchlechtsapparates: im kleinen, engſten, aber entſcheidendſten derſelbe Gegenſatz. Wohl hat die Eizelle ihr eigenes Leben. Sie löſt ſich vom Eierſtock des rieſigen Weibesorganismus durch einen Spaltungsakt genau wie jenes ſeßhafte Zwerglein ſich von ſeinem Elternzwerg zu¬ nächſt auch durch einen energiſchen Bewegungsakt abſpaltete. Sie wandert durch den Eileiter der Gebärmutter zu, alſo ein gewiſſes Stück ſelbſtbewegt dem Mannesſamen entgegen. Aber etwas herumbewegt werden ſich die nur im allgemeinen und relativ ſeßhaften Zwerge des Märchens auch haben, — wenn ſchon viel weniger als die anderen. Und kein Zweifel iſt: ſiehſt du in die Gebärmutter jetzt die Samentierchen ein¬ dringen und das Ei umſchwärmen, ſo haſt du ganz und gar das Bild, daß jetzt erſt die aktive, eigentlich bewegliche Macht anlange, — die Macht, die genau jenen luſtigen Wander¬ burſchen des Märchens entſpricht. Selbſt der Unterſchied von Klein und Groß iſt ja in dem Verhältnis von Samen¬ tierchen und Ei ſcharf gewahrt. Ein Samentierchen dringt ins Ei. Und nun haſt du nochmals die Parallele: ſie läuft jetzt durch Eikern und Samenkopf. Beide bewegen ſich. Aber ganz langſam nur der eine, pfeilſchnell der andere. Dann endlich die Verſchmelzung als Krönung, die Kraft zu neuer Vollentwickelung giebt: derſelbe Schlußakt hier wie dort als Ende des Gegenſatzes von Beweglich und Unbeweglich, Groß und Klein — von Manneszwerg, Manneszelle und Weib¬ zwerg, Weibzelle.
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gleichſam „auf dem Rade“, es nimmt teil an tauſend und
tauſend Bewegungen körperlicher und geiſtiger Art, und dieſe
eigene Regſamkeit und Beweglichkeit iſt gerade unter unſeren
Augen in unhemmbares Wachstum entrafft. Aber halte durch
das alles hindurch deinen Blick zäh beim Geſchlechtsleben ſelbſt.
Noch immer iſt der Mann hier der gebende, das Weib der
empfangende Teil. Lenke deine Phantaſie zurück zu jenem ge¬
heimnisvollen Urphänomen deiner menſchlichen Zeugung. Im
dunklen Grunde des weiblichen Geſchlechtsapparates: im kleinen,
engſten, aber entſcheidendſten derſelbe Gegenſatz. Wohl hat die
Eizelle ihr eigenes Leben. Sie löſt ſich vom Eierſtock des
rieſigen Weibesorganismus durch einen Spaltungsakt genau
wie jenes ſeßhafte Zwerglein ſich von ſeinem Elternzwerg zu¬
nächſt auch durch einen energiſchen Bewegungsakt abſpaltete.
Sie wandert durch den Eileiter der Gebärmutter zu, alſo ein
gewiſſes Stück ſelbſtbewegt dem Mannesſamen entgegen. Aber
etwas herumbewegt werden ſich die nur im allgemeinen und
relativ ſeßhaften Zwerge des Märchens auch haben, — wenn
ſchon viel weniger als die anderen. Und kein Zweifel iſt:
ſiehſt du in die Gebärmutter jetzt die Samentierchen ein¬
dringen und das Ei umſchwärmen, ſo haſt du ganz und gar
das Bild, daß jetzt erſt die aktive, eigentlich bewegliche Macht
anlange, — die Macht, die genau jenen luſtigen Wander¬
burſchen des Märchens entſpricht. Selbſt der Unterſchied von
Klein und Groß iſt ja in dem Verhältnis von Samen¬
tierchen und Ei ſcharf gewahrt. Ein Samentierchen dringt
ins Ei. Und nun haſt du nochmals die Parallele: ſie läuft
jetzt durch Eikern und Samenkopf. Beide bewegen ſich. Aber
ganz langſam nur der eine, pfeilſchnell der andere. Dann
endlich die Verſchmelzung als Krönung, die Kraft zu neuer
Vollentwickelung giebt: derſelbe Schlußakt hier wie dort als
Ende des Gegenſatzes von Beweglich und Unbeweglich, Groß
und Klein — von Manneszwerg, Manneszelle und Weib¬
zwerg, Weibzelle.
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Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 1. Florenz u. a., 1898, S. 160. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boelsche_liebesleben01_1898/176>, abgerufen am 21.11.2024.
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