Ja, in gewissem Sinne scheint es wirklich so. Male dir noch etwas aus, um ganz klar zu sehen. Die Einzelzelle oder der Einzelzwerg -- der Name ist uns ja jetzt Schall und Rauch -- benutzt nur noch einen kleinen Bruchteil seines Leibes zur Fortpflanzungsspalterei. Dieser Bruchteil wird hier restlos zu Manneszellen, dort zu einer oder mehr Weiberzellen. Beim Menschen siehst du das spezialisierter. Da ist der Bruch¬ teil von vorne herein gleichsam innerhalb des Gesamtleibes mit einem Separatschild versehen: "Hier wird fortgepflanzt." Er bildet ein Fortpflanzungsorgan. Dieses Organ erzeugt in sich als Hauptzweck natürlich hier wie dort die Mannes¬ samenzellen und Weibeseizellen. Aber es hat daneben noch einige andere nützliche Zwecke. Zum Beispiel ebnet es jenem Akt der Übertragung von Manneszelle zu Weibeszelle den Weg: es bildet nicht nur ein inneres Reservoir der noch nicht ganz abgesetzten Fortpflanzungszellen, sondern es funktioniert auch äußerlich als männliches und weibliches Übertragungs- (Zeugungs-)Organ jedes ganzen Individuums. Und so weiter. Das müßtest du dir bei Zwerg und Einzeller nun auch noch so hinzudenken, -- im Grunde ist's ja nichts Neues, sondern scheint immer noch ganz simple Konsequenz. Und was ver¬ schlägt's, sich das wirklich beim so wie so menschlich gedachten Rumpelstilzchen auch noch nachzutragen! Beide Stilze, Mann und Weib, sollte das Märchen hier schließen, erhielten also regelrechte innere und äußere Geschlechtsorgane ganz wie der große Mensch sie hat. Aber für die Einzeller, die wahren Urwesen ..... ja, da kommt nun hier ein kritischer Punkt.
Nichts klingt einfacher. Auch im einzelligen Wesen ent¬ wickelten sich, nachdem es überhaupt einmal zur Trennung in Mann und Weib gekommen war, feste Geschlechtsorgane mit inneren Samen- und Eierreservoiren und äußeren Geschlechts¬ werkzeugen zur Übertragung der betreffenden Produkte. Und als das einmal "entwickelt" war, da, -- ja, da war das ein¬ zellige Urtier im Punkte der Geschlechtsausbildung thatsächlich
Ja, in gewiſſem Sinne ſcheint es wirklich ſo. Male dir noch etwas aus, um ganz klar zu ſehen. Die Einzelzelle oder der Einzelzwerg — der Name iſt uns ja jetzt Schall und Rauch — benutzt nur noch einen kleinen Bruchteil ſeines Leibes zur Fortpflanzungsſpalterei. Dieſer Bruchteil wird hier reſtlos zu Manneszellen, dort zu einer oder mehr Weiberzellen. Beim Menſchen ſiehſt du das ſpezialiſierter. Da iſt der Bruch¬ teil von vorne herein gleichſam innerhalb des Geſamtleibes mit einem Separatſchild verſehen: „Hier wird fortgepflanzt.“ Er bildet ein Fortpflanzungsorgan. Dieſes Organ erzeugt in ſich als Hauptzweck natürlich hier wie dort die Mannes¬ ſamenzellen und Weibeseizellen. Aber es hat daneben noch einige andere nützliche Zwecke. Zum Beiſpiel ebnet es jenem Akt der Übertragung von Manneszelle zu Weibeszelle den Weg: es bildet nicht nur ein inneres Reſervoir der noch nicht ganz abgeſetzten Fortpflanzungszellen, ſondern es funktioniert auch äußerlich als männliches und weibliches Übertragungs- (Zeugungs-)Organ jedes ganzen Individuums. Und ſo weiter. Das müßteſt du dir bei Zwerg und Einzeller nun auch noch ſo hinzudenken, — im Grunde iſt's ja nichts Neues, ſondern ſcheint immer noch ganz ſimple Konſequenz. Und was ver¬ ſchlägt's, ſich das wirklich beim ſo wie ſo menſchlich gedachten Rumpelſtilzchen auch noch nachzutragen! Beide Stilze, Mann und Weib, ſollte das Märchen hier ſchließen, erhielten alſo regelrechte innere und äußere Geſchlechtsorgane ganz wie der große Menſch ſie hat. Aber für die Einzeller, die wahren Urweſen ..... ja, da kommt nun hier ein kritiſcher Punkt.
Nichts klingt einfacher. Auch im einzelligen Weſen ent¬ wickelten ſich, nachdem es überhaupt einmal zur Trennung in Mann und Weib gekommen war, feſte Geſchlechtsorgane mit inneren Samen- und Eierreſervoiren und äußeren Geſchlechts¬ werkzeugen zur Übertragung der betreffenden Produkte. Und als das einmal „entwickelt“ war, da, — ja, da war das ein¬ zellige Urtier im Punkte der Geſchlechtsausbildung thatſächlich
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Ja, in gewiſſem Sinne ſcheint es wirklich ſo. Male dir
noch etwas aus, um ganz klar zu ſehen. Die Einzelzelle oder
der Einzelzwerg — der Name iſt uns ja jetzt Schall und
Rauch — benutzt nur noch einen kleinen Bruchteil ſeines
Leibes zur Fortpflanzungsſpalterei. Dieſer Bruchteil wird hier
reſtlos zu Manneszellen, dort zu einer oder mehr Weiberzellen.
Beim Menſchen ſiehſt du das ſpezialiſierter. Da iſt der Bruch¬
teil von vorne herein gleichſam innerhalb des Geſamtleibes
mit einem Separatſchild verſehen: „Hier wird fortgepflanzt.“
Er bildet ein Fortpflanzungsorgan. Dieſes Organ erzeugt
in ſich als Hauptzweck natürlich hier wie dort die Mannes¬
ſamenzellen und Weibeseizellen. Aber es hat daneben noch
einige andere nützliche Zwecke. Zum Beiſpiel ebnet es jenem
Akt der Übertragung von Manneszelle zu Weibeszelle den
Weg: es bildet nicht nur ein inneres Reſervoir der noch nicht
ganz abgeſetzten Fortpflanzungszellen, ſondern es funktioniert
auch äußerlich als männliches und weibliches Übertragungs-
(Zeugungs-)Organ jedes ganzen Individuums. Und ſo weiter.
Das müßteſt du dir bei Zwerg und Einzeller nun auch noch
ſo hinzudenken, — im Grunde iſt's ja nichts Neues, ſondern
ſcheint immer noch ganz ſimple Konſequenz. Und was ver¬
ſchlägt's, ſich das wirklich beim ſo wie ſo menſchlich gedachten
Rumpelſtilzchen auch noch nachzutragen! Beide Stilze, Mann
und Weib, ſollte das Märchen hier ſchließen, erhielten alſo
regelrechte innere und äußere Geſchlechtsorgane ganz wie der
große Menſch ſie hat. Aber für die Einzeller, die wahren
Urweſen ..... ja, da kommt nun hier ein kritiſcher Punkt.
Nichts klingt einfacher. Auch im einzelligen Weſen ent¬
wickelten ſich, nachdem es überhaupt einmal zur Trennung in
Mann und Weib gekommen war, feſte Geſchlechtsorgane mit
inneren Samen- und Eierreſervoiren und äußeren Geſchlechts¬
werkzeugen zur Übertragung der betreffenden Produkte. Und
als das einmal „entwickelt“ war, da, — ja, da war das ein¬
zellige Urtier im Punkte der Geſchlechtsausbildung thatſächlich
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Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 1. Florenz u. a., 1898, S. 166. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boelsche_liebesleben01_1898/182>, abgerufen am 24.11.2024.
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