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Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 1. Florenz u. a., 1898.

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Die Myriaden Zellen, die deinen Menschenleib zusammen¬
setzen, bilden nicht nur einen sozialen Verband allein, sondern
es ist innerhalb dieses sozialen Zellenverbandes eine höchst
weise und glückliche Arbeitsteilung eingetreten. Von Myriaden
Zellen deines Leibes sind so und so viele nur allein beschäftigt,
zu fressen: sie bilden deine Ernährungsorgane, zum Beispiel
deinen Darm. So und so viele hören nur noch: sie bilden
dein Gehörorgan bis ins Gehirn hinein. So und so viele
sehen nur noch: sie bilden deine Sehwerkzeuge vom äußeren
Auge bis abermals tief ins Gehirn. Und so weiter. Da aber
alle Einzelzellen und alle aus Zellen gebildeten Einzelorgane
gleichzeitig in festem sozialem Verbande mit allen anderen
stehen, so dient jede Separatarbeit den sämtlichen übrigen
Zellen mit: wenn die Darmzellen Nährsäfte aufsaugen, so
zirkuliert die so gewonnene Nahrung frei auch durch alle
übrigen, selber nicht direkt fressenden Zellen des Leibes hin¬
durch, -- auch die Sehzellen, Hörzellen, Bewegungszellen und
wie sie alle heißen des ganzen Menschenleibes werden von
hier aus indirekt gefüttert und gestärkt, die Darmzellen "fressen
für sie mit".

Solche wunderbare Arbeitsteilung kannst du natürlich bei
der Amöbe oder dem Bazillus noch nicht sehen, denn da ist ja
noch gar kein sozialer Verband von Zellen da -- es liegt
überhaupt nur eine "Zelle" vor, die allein den ganzen Leib
bildet und natürlich auch alles zugleich thun muß: fressen,
atmen, empfinden und so weiter. Aber auch bei der Volvox¬
kugel siehst du noch so gut wie nichts von jener großartigen
Arbeitsteilung selbst. Hier ist wohl schon sozialer Verband.
Aber noch frißt zum Beispiel jede Zelle im Verband für sich,
es ist noch kein "Darm" im Sinne einer durch Arbeitsteilung
geschaffenen Einzelgruppe von Freßzellen da, die als "Fre߬
organ" für die ganze Zellkugel mitfräßen. Diese verwickeltere
Arbeitsteilung hat sich offenbar erst entwickelt auf dem Wege
zwischen volvoxähnlichen Zellkugeln und dir.

Die Myriaden Zellen, die deinen Menſchenleib zuſammen¬
ſetzen, bilden nicht nur einen ſozialen Verband allein, ſondern
es iſt innerhalb dieſes ſozialen Zellenverbandes eine höchſt
weiſe und glückliche Arbeitsteilung eingetreten. Von Myriaden
Zellen deines Leibes ſind ſo und ſo viele nur allein beſchäftigt,
zu freſſen: ſie bilden deine Ernährungsorgane, zum Beiſpiel
deinen Darm. So und ſo viele hören nur noch: ſie bilden
dein Gehörorgan bis ins Gehirn hinein. So und ſo viele
ſehen nur noch: ſie bilden deine Sehwerkzeuge vom äußeren
Auge bis abermals tief ins Gehirn. Und ſo weiter. Da aber
alle Einzelzellen und alle aus Zellen gebildeten Einzelorgane
gleichzeitig in feſtem ſozialem Verbande mit allen anderen
ſtehen, ſo dient jede Separatarbeit den ſämtlichen übrigen
Zellen mit: wenn die Darmzellen Nährſäfte aufſaugen, ſo
zirkuliert die ſo gewonnene Nahrung frei auch durch alle
übrigen, ſelber nicht direkt freſſenden Zellen des Leibes hin¬
durch, — auch die Sehzellen, Hörzellen, Bewegungszellen und
wie ſie alle heißen des ganzen Menſchenleibes werden von
hier aus indirekt gefüttert und geſtärkt, die Darmzellen „freſſen
für ſie mit“.

Solche wunderbare Arbeitsteilung kannſt du natürlich bei
der Amöbe oder dem Bazillus noch nicht ſehen, denn da iſt ja
noch gar kein ſozialer Verband von Zellen da — es liegt
überhaupt nur eine „Zelle“ vor, die allein den ganzen Leib
bildet und natürlich auch alles zugleich thun muß: freſſen,
atmen, empfinden und ſo weiter. Aber auch bei der Volvox¬
kugel ſiehſt du noch ſo gut wie nichts von jener großartigen
Arbeitsteilung ſelbſt. Hier iſt wohl ſchon ſozialer Verband.
Aber noch frißt zum Beiſpiel jede Zelle im Verband für ſich,
es iſt noch kein „Darm“ im Sinne einer durch Arbeitsteilung
geſchaffenen Einzelgruppe von Freßzellen da, die als „Fre߬
organ“ für die ganze Zellkugel mitfräßen. Dieſe verwickeltere
Arbeitsteilung hat ſich offenbar erſt entwickelt auf dem Wege
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[173/0189] Die Myriaden Zellen, die deinen Menſchenleib zuſammen¬ ſetzen, bilden nicht nur einen ſozialen Verband allein, ſondern es iſt innerhalb dieſes ſozialen Zellenverbandes eine höchſt weiſe und glückliche Arbeitsteilung eingetreten. Von Myriaden Zellen deines Leibes ſind ſo und ſo viele nur allein beſchäftigt, zu freſſen: ſie bilden deine Ernährungsorgane, zum Beiſpiel deinen Darm. So und ſo viele hören nur noch: ſie bilden dein Gehörorgan bis ins Gehirn hinein. So und ſo viele ſehen nur noch: ſie bilden deine Sehwerkzeuge vom äußeren Auge bis abermals tief ins Gehirn. Und ſo weiter. Da aber alle Einzelzellen und alle aus Zellen gebildeten Einzelorgane gleichzeitig in feſtem ſozialem Verbande mit allen anderen ſtehen, ſo dient jede Separatarbeit den ſämtlichen übrigen Zellen mit: wenn die Darmzellen Nährſäfte aufſaugen, ſo zirkuliert die ſo gewonnene Nahrung frei auch durch alle übrigen, ſelber nicht direkt freſſenden Zellen des Leibes hin¬ durch, — auch die Sehzellen, Hörzellen, Bewegungszellen und wie ſie alle heißen des ganzen Menſchenleibes werden von hier aus indirekt gefüttert und geſtärkt, die Darmzellen „freſſen für ſie mit“. Solche wunderbare Arbeitsteilung kannſt du natürlich bei der Amöbe oder dem Bazillus noch nicht ſehen, denn da iſt ja noch gar kein ſozialer Verband von Zellen da — es liegt überhaupt nur eine „Zelle“ vor, die allein den ganzen Leib bildet und natürlich auch alles zugleich thun muß: freſſen, atmen, empfinden und ſo weiter. Aber auch bei der Volvox¬ kugel ſiehſt du noch ſo gut wie nichts von jener großartigen Arbeitsteilung ſelbſt. Hier iſt wohl ſchon ſozialer Verband. Aber noch frißt zum Beiſpiel jede Zelle im Verband für ſich, es iſt noch kein „Darm“ im Sinne einer durch Arbeitsteilung geſchaffenen Einzelgruppe von Freßzellen da, die als „Fre߬ organ“ für die ganze Zellkugel mitfräßen. Dieſe verwickeltere Arbeitsteilung hat ſich offenbar erſt entwickelt auf dem Wege zwiſchen volvoxähnlichen Zellkugeln und dir.

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Zitationshilfe: Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 1. Florenz u. a., 1898, S. 173. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boelsche_liebesleben01_1898/189>, abgerufen am 21.11.2024.