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Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 1. Florenz u. a., 1898.

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Pol ein Loch und stellen Menschen senkrecht übereinander auf
Leitersprossen. Es ginge auch nach oben, aber da wäre es
halsbrecherisch und die Leitern bekämen Übergewicht. Nach
unten ist's auf alle Fälle sicherer. Und so denn auch die
Freßzellen am Pol der sausenden Zellenkugel. Sie bilden eine
Grube, eine Einsenkung, schließlich geradezu ein Loch, dessen
Wände und Grund sie aber besetzt halten. Ein Wasserstrudel
reißt die schwimmenden Nahrungsteilchen in die Tiefe des
Kugelpols hinab. Geschützt und ungestört können die Fre߬
zellen sie hier verarbeiten. Was ist das Resultat?

Aus der Kugel wird, indem sich ihr vorderster Pol
trichterartig einsenkt, ein Becher. Schließlich hat die Kugel
innen eine Höhlung, die sich nach vorne in einem Munde
öffnet, die Kugelwand aber besteht aus zwei Schichten von
Zellen -- der ursprünglichen und der allmählich vom Pol her
wie ein umgekrempelter Handschuhfinger eingesenkten. Die
Außenwand enthält ausschließlich bewegende Zellen, die Innen¬
wand dagegen nur fressende. Du hast statt einer einfachen
Zellenkugel einen Zellverband mit erster Arbeitsteilung. Das
Loch ist in der That ein Mund. Die Außenwand ist eine
Haut mit Bewegungsorganen. Die Innenwand ist ein regel¬
rechter Magen oder Darm. Von diesem Wesen zu dir ist
schon ein mächtig viel kleinerer Schritt. Es zeigt die Arbeits¬
teilung im vollen Gange. Es hat Mund, Haut, Darm wie du.
Es ist keine einfache Zellpyramide ohne Inhalt mehr: es hat
gleichsam zwei ineinander geschachtelte Zimmer, von denen eins
ein ausgesprochenes Speisezimmer ist, und es hat eine Thür.
Es ist ein werdendes "Haus" im echten Sinne, schlicht noch,
aber von dir strenggenommen nur noch durch die Schlichtheit,
nicht die Art getrennt.

Sämtliche höheren Tier-"Häuser", der Hund so gut wie
du, die Auster, der Regenwurm, der Seestern -- alle lassen
sich in all der Komplikation ihrer Säle, Kabinette, Erker und
Luxusräume im vielzelligen Leibe auf dieses schlichte erste

Pol ein Loch und ſtellen Menſchen ſenkrecht übereinander auf
Leiterſproſſen. Es ginge auch nach oben, aber da wäre es
halsbrecheriſch und die Leitern bekämen Übergewicht. Nach
unten iſt's auf alle Fälle ſicherer. Und ſo denn auch die
Freßzellen am Pol der ſauſenden Zellenkugel. Sie bilden eine
Grube, eine Einſenkung, ſchließlich geradezu ein Loch, deſſen
Wände und Grund ſie aber beſetzt halten. Ein Waſſerſtrudel
reißt die ſchwimmenden Nahrungsteilchen in die Tiefe des
Kugelpols hinab. Geſchützt und ungeſtört können die Fre߬
zellen ſie hier verarbeiten. Was iſt das Reſultat?

Aus der Kugel wird, indem ſich ihr vorderſter Pol
trichterartig einſenkt, ein Becher. Schließlich hat die Kugel
innen eine Höhlung, die ſich nach vorne in einem Munde
öffnet, die Kugelwand aber beſteht aus zwei Schichten von
Zellen — der urſprünglichen und der allmählich vom Pol her
wie ein umgekrempelter Handſchuhfinger eingeſenkten. Die
Außenwand enthält ausſchließlich bewegende Zellen, die Innen¬
wand dagegen nur freſſende. Du haſt ſtatt einer einfachen
Zellenkugel einen Zellverband mit erſter Arbeitsteilung. Das
Loch iſt in der That ein Mund. Die Außenwand iſt eine
Haut mit Bewegungsorganen. Die Innenwand iſt ein regel¬
rechter Magen oder Darm. Von dieſem Weſen zu dir iſt
ſchon ein mächtig viel kleinerer Schritt. Es zeigt die Arbeits¬
teilung im vollen Gange. Es hat Mund, Haut, Darm wie du.
Es iſt keine einfache Zellpyramide ohne Inhalt mehr: es hat
gleichſam zwei ineinander geſchachtelte Zimmer, von denen eins
ein ausgeſprochenes Speiſezimmer iſt, und es hat eine Thür.
Es iſt ein werdendes „Haus“ im echten Sinne, ſchlicht noch,
aber von dir ſtrenggenommen nur noch durch die Schlichtheit,
nicht die Art getrennt.

Sämtliche höheren Tier-„Häuſer“, der Hund ſo gut wie
du, die Auſter, der Regenwurm, der Seeſtern — alle laſſen
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Luxusräume im vielzelligen Leibe auf dieſes ſchlichte erſte

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[176/0192] Pol ein Loch und ſtellen Menſchen ſenkrecht übereinander auf Leiterſproſſen. Es ginge auch nach oben, aber da wäre es halsbrecheriſch und die Leitern bekämen Übergewicht. Nach unten iſt's auf alle Fälle ſicherer. Und ſo denn auch die Freßzellen am Pol der ſauſenden Zellenkugel. Sie bilden eine Grube, eine Einſenkung, ſchließlich geradezu ein Loch, deſſen Wände und Grund ſie aber beſetzt halten. Ein Waſſerſtrudel reißt die ſchwimmenden Nahrungsteilchen in die Tiefe des Kugelpols hinab. Geſchützt und ungeſtört können die Fre߬ zellen ſie hier verarbeiten. Was iſt das Reſultat? Aus der Kugel wird, indem ſich ihr vorderſter Pol trichterartig einſenkt, ein Becher. Schließlich hat die Kugel innen eine Höhlung, die ſich nach vorne in einem Munde öffnet, die Kugelwand aber beſteht aus zwei Schichten von Zellen — der urſprünglichen und der allmählich vom Pol her wie ein umgekrempelter Handſchuhfinger eingeſenkten. Die Außenwand enthält ausſchließlich bewegende Zellen, die Innen¬ wand dagegen nur freſſende. Du haſt ſtatt einer einfachen Zellenkugel einen Zellverband mit erſter Arbeitsteilung. Das Loch iſt in der That ein Mund. Die Außenwand iſt eine Haut mit Bewegungsorganen. Die Innenwand iſt ein regel¬ rechter Magen oder Darm. Von dieſem Weſen zu dir iſt ſchon ein mächtig viel kleinerer Schritt. Es zeigt die Arbeits¬ teilung im vollen Gange. Es hat Mund, Haut, Darm wie du. Es iſt keine einfache Zellpyramide ohne Inhalt mehr: es hat gleichſam zwei ineinander geſchachtelte Zimmer, von denen eins ein ausgeſprochenes Speiſezimmer iſt, und es hat eine Thür. Es iſt ein werdendes „Haus“ im echten Sinne, ſchlicht noch, aber von dir ſtrenggenommen nur noch durch die Schlichtheit, nicht die Art getrennt. Sämtliche höheren Tier-„Häuſer“, der Hund ſo gut wie du, die Auſter, der Regenwurm, der Seeſtern — alle laſſen ſich in all der Komplikation ihrer Säle, Kabinette, Erker und Luxusräume im vielzelligen Leibe auf dieſes ſchlichte erſte

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Zitationshilfe: Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 1. Florenz u. a., 1898, S. 176. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boelsche_liebesleben01_1898/192>, abgerufen am 21.11.2024.