gethan hat. Und in dem schon eine einfachste Arbeitsteilung stattgefunden hat. Erstlich haben sich die Zellen dieses schlichten Sozialverbandes ja schon in "Haut" (die das Ganze schützt und bewegt) und in "Magen" (der frißt und verdaut) gesondert. Und dann sind sie hinsichtlich ihres Geschlechts dazu über¬ gegangen, was ja die Volvoxkugel schon besaß: nicht jede Zelle der ganzen schwimmenden Pflaume zeugt besondere Ei- oder Samenteile, sondern einzelne Zellen haben die Samenabspaltung und Eiabspaltung für die ganze Kolonie auf sich genommen, -- sie vermitteln die ganze Fortpflanzung allein, -- die Fort¬ pflanzung, die im übrigen fest dabei bleibt, daß je eine Eizelle sich mit je einer Samenzelle eines zweiten, fremden Indivi¬ duums vermischen muß, -- auf daß ein neues Wesen entstehe, das sich im Sinne des biogenetischen Grundgesetzes selbstthätig dann wieder von der einzelnen Vermischungszelle zum Zell¬ haufen vom Bau der Gasträa heraufentwickelt.
Geh' an einen Teich, hole dir einen Klumpen jener all¬ bekannten schwimmenden Pflänzchen herauf, die man Teich¬ linsen nennt. Wirf sie daheim in ein Waschbecken, und wenn sie sich wieder ausgebreitet haben, so suche sie mit einem schwächsten Vergrößerungsglase ab auf winzigste, ein Zentimeter etwa oder weniger lange, anhaftende grüne Knöspchen oder entfaltete Kelchlein, die zunächst wie Schmarotzerpflänzchen oder eine Sorte geheimer Blütchen der Teichlinse ausschauen. Ihre Bewegungen verraten dir aber alsbald, daß es sich um Tiere handelt, Tiere, die zwar für gewöhnlich mit ihrer einen Ecke fest¬ sitzen, aber doch unverkennbar alle tierischen Eigenschaften besitzen.
Es ist die sogenannte Hydra oder der Süßwasserpolyp. Eines der lehrreichsten Tiere in der ganzen halben Million bekannter Tierarten auf Erden.
Setze es dir jetzt in schärfste Vergrößerung, beobachte es, zergliedere es. Was siehst du? Deine Pflaume. Ja wahr¬ haftig: typisch noch die Gasträa. Ein Tier, bloß bestehend aus Mund, Magenhöhle, Magenwand und Haut, sowie je
gethan hat. Und in dem ſchon eine einfachſte Arbeitsteilung ſtattgefunden hat. Erſtlich haben ſich die Zellen dieſes ſchlichten Sozialverbandes ja ſchon in „Haut“ (die das Ganze ſchützt und bewegt) und in „Magen“ (der frißt und verdaut) geſondert. Und dann ſind ſie hinſichtlich ihres Geſchlechts dazu über¬ gegangen, was ja die Volvoxkugel ſchon beſaß: nicht jede Zelle der ganzen ſchwimmenden Pflaume zeugt beſondere Ei- oder Samenteile, ſondern einzelne Zellen haben die Samenabſpaltung und Eiabſpaltung für die ganze Kolonie auf ſich genommen, — ſie vermitteln die ganze Fortpflanzung allein, — die Fort¬ pflanzung, die im übrigen feſt dabei bleibt, daß je eine Eizelle ſich mit je einer Samenzelle eines zweiten, fremden Indivi¬ duums vermiſchen muß, — auf daß ein neues Weſen entſtehe, das ſich im Sinne des biogenetiſchen Grundgeſetzes ſelbſtthätig dann wieder von der einzelnen Vermiſchungszelle zum Zell¬ haufen vom Bau der Gaſträa heraufentwickelt.
Geh' an einen Teich, hole dir einen Klumpen jener all¬ bekannten ſchwimmenden Pflänzchen herauf, die man Teich¬ linſen nennt. Wirf ſie daheim in ein Waſchbecken, und wenn ſie ſich wieder ausgebreitet haben, ſo ſuche ſie mit einem ſchwächſten Vergrößerungsglaſe ab auf winzigſte, ein Zentimeter etwa oder weniger lange, anhaftende grüne Knöſpchen oder entfaltete Kelchlein, die zunächſt wie Schmarotzerpflänzchen oder eine Sorte geheimer Blütchen der Teichlinſe ausſchauen. Ihre Bewegungen verraten dir aber alsbald, daß es ſich um Tiere handelt, Tiere, die zwar für gewöhnlich mit ihrer einen Ecke feſt¬ ſitzen, aber doch unverkennbar alle tieriſchen Eigenſchaften beſitzen.
Es iſt die ſogenannte Hydra oder der Süßwaſſerpolyp. Eines der lehrreichſten Tiere in der ganzen halben Million bekannter Tierarten auf Erden.
Setze es dir jetzt in ſchärfſte Vergrößerung, beobachte es, zergliedere es. Was ſiehſt du? Deine Pflaume. Ja wahr¬ haftig: typiſch noch die Gaſträa. Ein Tier, bloß beſtehend aus Mund, Magenhöhle, Magenwand und Haut, ſowie je
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0220"n="204"/>
gethan hat. Und in dem ſchon eine einfachſte Arbeitsteilung<lb/>ſtattgefunden hat. Erſtlich haben ſich die Zellen dieſes ſchlichten<lb/>
Sozialverbandes ja ſchon in „Haut“ (die das Ganze ſchützt<lb/>
und bewegt) und in „Magen“ (der frißt und verdaut) geſondert.<lb/>
Und dann ſind ſie hinſichtlich ihres Geſchlechts dazu über¬<lb/>
gegangen, was ja die Volvoxkugel ſchon beſaß: nicht jede Zelle<lb/>
der ganzen ſchwimmenden Pflaume zeugt beſondere Ei- oder<lb/>
Samenteile, ſondern einzelne Zellen haben die Samenabſpaltung<lb/>
und Eiabſpaltung für die ganze Kolonie auf ſich genommen, —<lb/>ſie vermitteln die ganze Fortpflanzung allein, — die Fort¬<lb/>
pflanzung, die im übrigen feſt dabei bleibt, daß je eine Eizelle<lb/>ſich mit je einer Samenzelle eines zweiten, fremden Indivi¬<lb/>
duums vermiſchen muß, — auf daß ein neues Weſen entſtehe,<lb/>
das ſich im Sinne des biogenetiſchen Grundgeſetzes ſelbſtthätig<lb/>
dann wieder von der einzelnen Vermiſchungszelle zum Zell¬<lb/>
haufen vom Bau der Gaſträa heraufentwickelt.</p><lb/><p>Geh' an einen Teich, hole dir einen Klumpen jener all¬<lb/>
bekannten ſchwimmenden Pflänzchen herauf, die man Teich¬<lb/>
linſen nennt. Wirf ſie daheim in ein Waſchbecken, und wenn<lb/>ſie ſich wieder ausgebreitet haben, ſo ſuche ſie mit einem<lb/>ſchwächſten Vergrößerungsglaſe ab auf winzigſte, ein Zentimeter<lb/>
etwa oder weniger lange, anhaftende grüne Knöſpchen oder<lb/>
entfaltete Kelchlein, die zunächſt wie Schmarotzerpflänzchen oder<lb/>
eine Sorte geheimer Blütchen der Teichlinſe ausſchauen. Ihre<lb/>
Bewegungen verraten dir aber alsbald, daß es ſich um Tiere<lb/>
handelt, Tiere, die zwar für gewöhnlich mit ihrer einen Ecke feſt¬<lb/>ſitzen, aber doch unverkennbar alle tieriſchen Eigenſchaften beſitzen.</p><lb/><p>Es iſt die ſogenannte Hydra oder der Süßwaſſerpolyp.<lb/>
Eines der lehrreichſten Tiere in der ganzen halben Million<lb/>
bekannter Tierarten auf Erden.</p><lb/><p>Setze es dir jetzt in ſchärfſte Vergrößerung, beobachte es,<lb/>
zergliedere es. Was ſiehſt du? Deine Pflaume. Ja wahr¬<lb/>
haftig: typiſch noch die Gaſträa. Ein Tier, bloß beſtehend<lb/>
aus Mund, Magenhöhle, Magenwand und Haut, ſowie je<lb/></p></div></body></text></TEI>
[204/0220]
gethan hat. Und in dem ſchon eine einfachſte Arbeitsteilung
ſtattgefunden hat. Erſtlich haben ſich die Zellen dieſes ſchlichten
Sozialverbandes ja ſchon in „Haut“ (die das Ganze ſchützt
und bewegt) und in „Magen“ (der frißt und verdaut) geſondert.
Und dann ſind ſie hinſichtlich ihres Geſchlechts dazu über¬
gegangen, was ja die Volvoxkugel ſchon beſaß: nicht jede Zelle
der ganzen ſchwimmenden Pflaume zeugt beſondere Ei- oder
Samenteile, ſondern einzelne Zellen haben die Samenabſpaltung
und Eiabſpaltung für die ganze Kolonie auf ſich genommen, —
ſie vermitteln die ganze Fortpflanzung allein, — die Fort¬
pflanzung, die im übrigen feſt dabei bleibt, daß je eine Eizelle
ſich mit je einer Samenzelle eines zweiten, fremden Indivi¬
duums vermiſchen muß, — auf daß ein neues Weſen entſtehe,
das ſich im Sinne des biogenetiſchen Grundgeſetzes ſelbſtthätig
dann wieder von der einzelnen Vermiſchungszelle zum Zell¬
haufen vom Bau der Gaſträa heraufentwickelt.
Geh' an einen Teich, hole dir einen Klumpen jener all¬
bekannten ſchwimmenden Pflänzchen herauf, die man Teich¬
linſen nennt. Wirf ſie daheim in ein Waſchbecken, und wenn
ſie ſich wieder ausgebreitet haben, ſo ſuche ſie mit einem
ſchwächſten Vergrößerungsglaſe ab auf winzigſte, ein Zentimeter
etwa oder weniger lange, anhaftende grüne Knöſpchen oder
entfaltete Kelchlein, die zunächſt wie Schmarotzerpflänzchen oder
eine Sorte geheimer Blütchen der Teichlinſe ausſchauen. Ihre
Bewegungen verraten dir aber alsbald, daß es ſich um Tiere
handelt, Tiere, die zwar für gewöhnlich mit ihrer einen Ecke feſt¬
ſitzen, aber doch unverkennbar alle tieriſchen Eigenſchaften beſitzen.
Es iſt die ſogenannte Hydra oder der Süßwaſſerpolyp.
Eines der lehrreichſten Tiere in der ganzen halben Million
bekannter Tierarten auf Erden.
Setze es dir jetzt in ſchärfſte Vergrößerung, beobachte es,
zergliedere es. Was ſiehſt du? Deine Pflaume. Ja wahr¬
haftig: typiſch noch die Gaſträa. Ein Tier, bloß beſtehend
aus Mund, Magenhöhle, Magenwand und Haut, ſowie je
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 1. Florenz u. a., 1898, S. 204. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boelsche_liebesleben01_1898/220>, abgerufen am 21.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.