als Neues finden, -- als das eben für ihn von unten herauf betrachtet zuerst charakteristische, das ihn schließlich scharf von der einfachen Gasträa ebenso wie von jenem andern Gasträa- Hochweg: dem Polypen, trennte -- als das spezifisch "Wurm¬ liche", das mit ihm neu ins Tierreich kam.
Also du verstehst, nicht wahr: vom einzelligen Urwesen in der früher geschilderten Weise zur volvox-ähnlichen Kugel, dem Urtypus jeden sozialen Verbandes. (Welch riesiger Begriff begann da!) Vom Volvox durch fortgesetzte Arbeitsteilung zur Gasträa. Mit der Gasträa beim echten Tier. Über sie fort dann aufwärts in zwei Wegen. Die sitzende, gleichsam pflanzenartig als Becherblüte anwachsende Gasträa zum Polypen und Schwamm. Die röhrenartige, zweiseitig in Rechts und Links sich ausbildende, vorwärts kriechende oder sich schlängelnde Gasträa zum Wurm und über dem Wurm weiter dann ins Ungemessene bis zu dir selber hinauf.
Auf beiden Seiten drängt es sich von Material für unsere Liebesbetrachtung. Wahre Fratzengestalten der Liebe. Kennst du die köstlichen alten Bildchen von Teniers: wie der heilige Antonius versucht wird? Viel weniger von schönen Frauen, als von schauderösem Larvenpack, Unholden, halb Gerippe, halb Embryo; halb Igel, halb Runzelweib. Und der Fromme sitzt ratlos über seinem Erbauungsbuch. Nun geht auch uns der rote Mond einer solchen Gespensternacht auf, und die Wehr¬ wölfe und Zauberschweine grunzen am Kreuzweg. Aber es giebt einen Bannspruch für uns, der in dem Erbauungstraktat des Heiligen fehlte wie so manches ..... darwinistische An¬ schauungsweise, die in all den krausen Wundern eine all¬ gewaltige Entwickelung sieht. Und zuletzt fliegt der ganze Spuk zu Boden wie leere Hülsen -- und nun steigt wirklich ein verklärtes Weib in der keuschen Nacktheit einer Göttin auf: Aphrodite, die Liebe des Menschen, -- die süße Lotosblume, die aus all dem Spuk und Rausch der tausend tierischen Liebesformen wie aus einem schwarzen Wasser blüht.
als Neues finden, — als das eben für ihn von unten herauf betrachtet zuerſt charakteriſtiſche, das ihn ſchließlich ſcharf von der einfachen Gaſträa ebenſo wie von jenem andern Gaſträa- Hochweg: dem Polypen, trennte — als das ſpezifiſch „Wurm¬ liche“, das mit ihm neu ins Tierreich kam.
Alſo du verſtehſt, nicht wahr: vom einzelligen Urweſen in der früher geſchilderten Weiſe zur volvox-ähnlichen Kugel, dem Urtypus jeden ſozialen Verbandes. (Welch rieſiger Begriff begann da!) Vom Volvox durch fortgeſetzte Arbeitsteilung zur Gaſträa. Mit der Gaſträa beim echten Tier. Über ſie fort dann aufwärts in zwei Wegen. Die ſitzende, gleichſam pflanzenartig als Becherblüte anwachſende Gaſträa zum Polypen und Schwamm. Die röhrenartige, zweiſeitig in Rechts und Links ſich ausbildende, vorwärts kriechende oder ſich ſchlängelnde Gaſträa zum Wurm und über dem Wurm weiter dann ins Ungemeſſene bis zu dir ſelber hinauf.
Auf beiden Seiten drängt es ſich von Material für unſere Liebesbetrachtung. Wahre Fratzengeſtalten der Liebe. Kennſt du die köſtlichen alten Bildchen von Teniers: wie der heilige Antonius verſucht wird? Viel weniger von ſchönen Frauen, als von ſchauderöſem Larvenpack, Unholden, halb Gerippe, halb Embryo; halb Igel, halb Runzelweib. Und der Fromme ſitzt ratlos über ſeinem Erbauungsbuch. Nun geht auch uns der rote Mond einer ſolchen Geſpenſternacht auf, und die Wehr¬ wölfe und Zauberſchweine grunzen am Kreuzweg. Aber es giebt einen Bannſpruch für uns, der in dem Erbauungstraktat des Heiligen fehlte wie ſo manches ..... darwiniſtiſche An¬ ſchauungsweiſe, die in all den krauſen Wundern eine all¬ gewaltige Entwickelung ſieht. Und zuletzt fliegt der ganze Spuk zu Boden wie leere Hülſen — und nun ſteigt wirklich ein verklärtes Weib in der keuſchen Nacktheit einer Göttin auf: Aphrodite, die Liebe des Menſchen, — die ſüße Lotosblume, die aus all dem Spuk und Rauſch der tauſend tieriſchen Liebesformen wie aus einem ſchwarzen Waſſer blüht.
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als Neues finden, — als das eben für ihn von unten herauf
betrachtet zuerſt charakteriſtiſche, das ihn ſchließlich ſcharf von
der einfachen Gaſträa ebenſo wie von jenem andern Gaſträa-
Hochweg: dem Polypen, trennte — als das ſpezifiſch „Wurm¬
liche“, das mit ihm neu ins Tierreich kam.
Alſo du verſtehſt, nicht wahr: vom einzelligen Urweſen
in der früher geſchilderten Weiſe zur volvox-ähnlichen Kugel,
dem Urtypus jeden ſozialen Verbandes. (Welch rieſiger Begriff
begann da!) Vom Volvox durch fortgeſetzte Arbeitsteilung
zur Gaſträa. Mit der Gaſträa beim echten Tier. Über ſie
fort dann aufwärts in zwei Wegen. Die ſitzende, gleichſam
pflanzenartig als Becherblüte anwachſende Gaſträa zum Polypen
und Schwamm. Die röhrenartige, zweiſeitig in Rechts und
Links ſich ausbildende, vorwärts kriechende oder ſich ſchlängelnde
Gaſträa zum Wurm und über dem Wurm weiter dann ins
Ungemeſſene bis zu dir ſelber hinauf.
Auf beiden Seiten drängt es ſich von Material für unſere
Liebesbetrachtung. Wahre Fratzengeſtalten der Liebe. Kennſt
du die köſtlichen alten Bildchen von Teniers: wie der heilige
Antonius verſucht wird? Viel weniger von ſchönen Frauen,
als von ſchauderöſem Larvenpack, Unholden, halb Gerippe,
halb Embryo; halb Igel, halb Runzelweib. Und der Fromme
ſitzt ratlos über ſeinem Erbauungsbuch. Nun geht auch uns
der rote Mond einer ſolchen Geſpenſternacht auf, und die Wehr¬
wölfe und Zauberſchweine grunzen am Kreuzweg. Aber es
giebt einen Bannſpruch für uns, der in dem Erbauungstraktat
des Heiligen fehlte wie ſo manches ..... darwiniſtiſche An¬
ſchauungsweiſe, die in all den krauſen Wundern eine all¬
gewaltige Entwickelung ſieht. Und zuletzt fliegt der ganze
Spuk zu Boden wie leere Hülſen — und nun ſteigt wirklich
ein verklärtes Weib in der keuſchen Nacktheit einer Göttin auf:
Aphrodite, die Liebe des Menſchen, — die ſüße Lotosblume,
die aus all dem Spuk und Rauſch der tauſend tieriſchen
Liebesformen wie aus einem ſchwarzen Waſſer blüht.
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Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 1. Florenz u. a., 1898, S. 207. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boelsche_liebesleben01_1898/223>, abgerufen am 24.11.2024.
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