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Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 1. Florenz u. a., 1898.

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samsten Gebilde der See, in langen Scharen oft, farbenbunt,
märchenhaft, da draußen heimisch im unendlichen Blau, mit
ihrem elastischen Glaskörper ohne jedes Pünktchen Festigkeit
dem Weltmeer trotzend, das dein riesiges Menschenschiff wie
Stroh zerbricht.

Eine solche Meduse ist ein Tier jenseits der Gasträa.
Das ganze Geschöpf gleicht einer schwimmenden Glocke. Die
äußeren Teile dieser Glocke sind ein einziger prachtvoller
Schwimmapparat. Indem er sich rhythmisch zusammenzieht,
schwimmt das Tier im Wasser dahin. Von dem unteren Rande
der Glocke hängen zahlreiche feine, nesselartig brennende Fühl¬
fäden herunter. In der Mitte der Glocke aber sitzt wie ein
dicker Klöppel der alte echte Gasträamagen, unten mit einem
Mund und um den Mund mit Fangarmen. Es ist genau, als
habest du den kleinen Hydrapolypen losgelöst, frei ins Wasser
geworfen, daß der Mund nach unten hing, und oben gleich¬
zeitig zur schönen Schwimmglocke ausgeweitet. Du verstehst
ganz gut, daß diese Meduse von jener Hydra "abstammen"
soll. Nun aber sieh dir die Entwickelung solcher Meduse, ihre
Liebes- und Fortpflanzungsgeschichte an.

Fast alle dieser Medusen sind getrenntgeschlechtlich: hier
Mann mit Samen, dort Weib mit Eiern. Darin sind sie also
menschenähnlicher als der Hydrapolyp.

Nicht gerade menschlich ist freilich, daß vielfach die Ge¬
schlechtsprodukte durch den Mund entleert werden. Aber Magen
und Mund sind eben hier noch eine schlechtweg dominierende
Hauptsache des ganzen Organismus, und rückseitige Körper¬
öffnungen, wie ein echter After, sind überhaupt noch nicht
eigentlich da, so daß die Sache doch nicht so ganz absonderlich
ist. Wenn ein Geschöpf seine überschüssigen Verdauungsreste
durch den Mund einfach wieder ausspuckt: warum soll es nicht
auch durch den Mund zeugen und Junge kriegen, wie das doch
bei dir als Mensch auch durch denselben Ausführungskanal
erfolgt, der den Harn, also auch einen solchen überschüssigen

ſamſten Gebilde der See, in langen Scharen oft, farbenbunt,
märchenhaft, da draußen heimiſch im unendlichen Blau, mit
ihrem elaſtiſchen Glaskörper ohne jedes Pünktchen Feſtigkeit
dem Weltmeer trotzend, das dein rieſiges Menſchenſchiff wie
Stroh zerbricht.

Eine ſolche Meduſe iſt ein Tier jenſeits der Gaſträa.
Das ganze Geſchöpf gleicht einer ſchwimmenden Glocke. Die
äußeren Teile dieſer Glocke ſind ein einziger prachtvoller
Schwimmapparat. Indem er ſich rhythmiſch zuſammenzieht,
ſchwimmt das Tier im Waſſer dahin. Von dem unteren Rande
der Glocke hängen zahlreiche feine, neſſelartig brennende Fühl¬
fäden herunter. In der Mitte der Glocke aber ſitzt wie ein
dicker Klöppel der alte echte Gaſträamagen, unten mit einem
Mund und um den Mund mit Fangarmen. Es iſt genau, als
habeſt du den kleinen Hydrapolypen losgelöſt, frei ins Waſſer
geworfen, daß der Mund nach unten hing, und oben gleich¬
zeitig zur ſchönen Schwimmglocke ausgeweitet. Du verſtehſt
ganz gut, daß dieſe Meduſe von jener Hydra „abſtammen“
ſoll. Nun aber ſieh dir die Entwickelung ſolcher Meduſe, ihre
Liebes- und Fortpflanzungsgeſchichte an.

Faſt alle dieſer Meduſen ſind getrenntgeſchlechtlich: hier
Mann mit Samen, dort Weib mit Eiern. Darin ſind ſie alſo
menſchenähnlicher als der Hydrapolyp.

Nicht gerade menſchlich iſt freilich, daß vielfach die Ge¬
ſchlechtsprodukte durch den Mund entleert werden. Aber Magen
und Mund ſind eben hier noch eine ſchlechtweg dominierende
Hauptſache des ganzen Organismus, und rückſeitige Körper¬
öffnungen, wie ein echter After, ſind überhaupt noch nicht
eigentlich da, ſo daß die Sache doch nicht ſo ganz abſonderlich
iſt. Wenn ein Geſchöpf ſeine überſchüſſigen Verdauungsreſte
durch den Mund einfach wieder ausſpuckt: warum ſoll es nicht
auch durch den Mund zeugen und Junge kriegen, wie das doch
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[213/0229] ſamſten Gebilde der See, in langen Scharen oft, farbenbunt, märchenhaft, da draußen heimiſch im unendlichen Blau, mit ihrem elaſtiſchen Glaskörper ohne jedes Pünktchen Feſtigkeit dem Weltmeer trotzend, das dein rieſiges Menſchenſchiff wie Stroh zerbricht. Eine ſolche Meduſe iſt ein Tier jenſeits der Gaſträa. Das ganze Geſchöpf gleicht einer ſchwimmenden Glocke. Die äußeren Teile dieſer Glocke ſind ein einziger prachtvoller Schwimmapparat. Indem er ſich rhythmiſch zuſammenzieht, ſchwimmt das Tier im Waſſer dahin. Von dem unteren Rande der Glocke hängen zahlreiche feine, neſſelartig brennende Fühl¬ fäden herunter. In der Mitte der Glocke aber ſitzt wie ein dicker Klöppel der alte echte Gaſträamagen, unten mit einem Mund und um den Mund mit Fangarmen. Es iſt genau, als habeſt du den kleinen Hydrapolypen losgelöſt, frei ins Waſſer geworfen, daß der Mund nach unten hing, und oben gleich¬ zeitig zur ſchönen Schwimmglocke ausgeweitet. Du verſtehſt ganz gut, daß dieſe Meduſe von jener Hydra „abſtammen“ ſoll. Nun aber ſieh dir die Entwickelung ſolcher Meduſe, ihre Liebes- und Fortpflanzungsgeſchichte an. Faſt alle dieſer Meduſen ſind getrenntgeſchlechtlich: hier Mann mit Samen, dort Weib mit Eiern. Darin ſind ſie alſo menſchenähnlicher als der Hydrapolyp. Nicht gerade menſchlich iſt freilich, daß vielfach die Ge¬ ſchlechtsprodukte durch den Mund entleert werden. Aber Magen und Mund ſind eben hier noch eine ſchlechtweg dominierende Hauptſache des ganzen Organismus, und rückſeitige Körper¬ öffnungen, wie ein echter After, ſind überhaupt noch nicht eigentlich da, ſo daß die Sache doch nicht ſo ganz abſonderlich iſt. Wenn ein Geſchöpf ſeine überſchüſſigen Verdauungsreſte durch den Mund einfach wieder ausſpuckt: warum ſoll es nicht auch durch den Mund zeugen und Junge kriegen, wie das doch bei dir als Menſch auch durch denſelben Ausführungskanal erfolgt, der den Harn, alſo auch einen ſolchen überſchüſſigen

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Zitationshilfe: Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 1. Florenz u. a., 1898, S. 213. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boelsche_liebesleben01_1898/229>, abgerufen am 24.11.2024.