heimnisse, die dich durchspinnen wie ein dunkles Schicksalsnetz, wie ein schwarzes Spinngewebe, an dem deine Thränen wie Tautropfen blinken.
Dort liegt auch die Lösung deiner Liebe. Der Segel¬ falter, der wie berauscht von all der Feiertagssonne reglos jetzt auf den violetten Blüten liegt, sagt dir mehr davon als alle altersgrünen Glocken der Welt. Von ihm und seinesgleichen laß mich dir erzählen. Unter den neuen Zeichen, die noch nie eine Zeit vor uns besessen hat.
Aber schließe deine Augen erst noch auf einen Moment.
Laß das ganze feierstille Bild da draußen verschwinden, das einsame weiße Kirchlein mit dem Kreuz und dem Blitz¬ ableiter, die schwarzen Cypressen, das silberne und blaue Meer. Laß alles dunkel werden -- und erinnere dich.
An zwei Ereignisse in deinem Leben -- erlebte, wieder¬ kehrende, wieder verschwimmende -- muß ich dich mahnen, damit du im Kern verstehst, was ich will. Zweierlei Augen¬ blicke, da du dein Ich verloren hast in der Liebe. Verloren in vollkommener Seligkeit des pulsenden Lebens ohne jede Spur von Todesangst. Da du starbest als "du", aber starbest ins Leben hinein. Einmal im Körper. Und ein andermal im Geist.
Erinnere dich .....
Du hast Liebe geübt, Liebe genossen im Leben. Sinnen¬ liebe. Rohe Bilder -- oder wenigstens solche, die du einmal für roh hieltest -- steigen herauf. Aber auch wunderbar süße. An Ängste und Irrtümer der Jugend denkst du. An erbärm¬ liche Stunden, die das Gold deiner Träume erbarmungslos in den Staub traten, wie goldenes Laub in eine Pfütze sinkt. Und doch auch an goldene Stunden, die aus dir einen neuen Men¬ schen machten weit über alle deine unerfahrenen Träume hinaus. An Stunden der Wahrheit in der Sinnenliebe. Die heilig waren wie jede echte Wahrheitsstunde. Wo es über dich kam wie ein herber Glanz, aber doch strahlendes Licht, Licht, das Seelen schmiedet und die Erze des Ich aus der Schlacke schweißt .....
heimniſſe, die dich durchſpinnen wie ein dunkles Schickſalsnetz, wie ein ſchwarzes Spinngewebe, an dem deine Thränen wie Tautropfen blinken.
Dort liegt auch die Löſung deiner Liebe. Der Segel¬ falter, der wie berauſcht von all der Feiertagsſonne reglos jetzt auf den violetten Blüten liegt, ſagt dir mehr davon als alle altersgrünen Glocken der Welt. Von ihm und ſeinesgleichen laß mich dir erzählen. Unter den neuen Zeichen, die noch nie eine Zeit vor uns beſeſſen hat.
Aber ſchließe deine Augen erſt noch auf einen Moment.
Laß das ganze feierſtille Bild da draußen verſchwinden, das einſame weiße Kirchlein mit dem Kreuz und dem Blitz¬ ableiter, die ſchwarzen Cypreſſen, das ſilberne und blaue Meer. Laß alles dunkel werden — und erinnere dich.
An zwei Ereigniſſe in deinem Leben — erlebte, wieder¬ kehrende, wieder verſchwimmende — muß ich dich mahnen, damit du im Kern verſtehſt, was ich will. Zweierlei Augen¬ blicke, da du dein Ich verloren haſt in der Liebe. Verloren in vollkommener Seligkeit des pulſenden Lebens ohne jede Spur von Todesangſt. Da du ſtarbeſt als „du“, aber ſtarbeſt ins Leben hinein. Einmal im Körper. Und ein andermal im Geiſt.
Erinnere dich .....
Du haſt Liebe geübt, Liebe genoſſen im Leben. Sinnen¬ liebe. Rohe Bilder — oder wenigſtens ſolche, die du einmal für roh hielteſt — ſteigen herauf. Aber auch wunderbar ſüße. An Ängſte und Irrtümer der Jugend denkſt du. An erbärm¬ liche Stunden, die das Gold deiner Träume erbarmungslos in den Staub traten, wie goldenes Laub in eine Pfütze ſinkt. Und doch auch an goldene Stunden, die aus dir einen neuen Men¬ ſchen machten weit über alle deine unerfahrenen Träume hinaus. An Stunden der Wahrheit in der Sinnenliebe. Die heilig waren wie jede echte Wahrheitsſtunde. Wo es über dich kam wie ein herber Glanz, aber doch ſtrahlendes Licht, Licht, das Seelen ſchmiedet und die Erze des Ich aus der Schlacke ſchweißt .....
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0023"n="7"/>
heimniſſe, die dich durchſpinnen wie ein dunkles Schickſalsnetz,<lb/>
wie ein ſchwarzes Spinngewebe, an dem deine Thränen wie<lb/>
Tautropfen blinken.</p><lb/><p>Dort liegt auch die Löſung deiner Liebe. Der Segel¬<lb/>
falter, der wie berauſcht von all der Feiertagsſonne reglos jetzt<lb/>
auf den violetten Blüten liegt, ſagt dir mehr davon als alle<lb/>
altersgrünen Glocken der Welt. Von ihm und ſeinesgleichen<lb/>
laß mich dir erzählen. Unter den neuen Zeichen, die noch nie<lb/>
eine Zeit vor uns beſeſſen hat.</p><lb/><p>Aber ſchließe deine Augen erſt noch auf einen Moment.</p><lb/><p>Laß das ganze feierſtille Bild da draußen verſchwinden,<lb/>
das einſame weiße Kirchlein mit dem Kreuz und dem Blitz¬<lb/>
ableiter, die ſchwarzen Cypreſſen, das ſilberne und blaue Meer.<lb/>
Laß alles dunkel werden — und erinnere dich.</p><lb/><p>An zwei Ereigniſſe in deinem Leben — erlebte, wieder¬<lb/>
kehrende, wieder verſchwimmende — muß ich dich mahnen,<lb/>
damit du im Kern verſtehſt, was ich will. Zweierlei Augen¬<lb/>
blicke, da du dein <hirendition="#g">Ich verloren</hi> haſt in der <hirendition="#g">Liebe</hi>. Verloren<lb/>
in vollkommener Seligkeit des pulſenden Lebens ohne jede Spur<lb/>
von Todesangſt. Da du ſtarbeſt als „du“, aber ſtarbeſt ins<lb/>
Leben hinein. Einmal im Körper. Und ein andermal im Geiſt.</p><lb/><p>Erinnere dich .....</p><lb/><p>Du haſt Liebe geübt, Liebe genoſſen im Leben. Sinnen¬<lb/>
liebe. Rohe Bilder — oder wenigſtens ſolche, die du einmal<lb/>
für roh hielteſt —ſteigen herauf. Aber auch wunderbar ſüße.<lb/>
An Ängſte und Irrtümer der Jugend denkſt du. An erbärm¬<lb/>
liche Stunden, die das Gold deiner Träume erbarmungslos in<lb/>
den Staub traten, wie goldenes Laub in eine Pfütze ſinkt. Und<lb/>
doch auch an goldene Stunden, die aus dir einen neuen Men¬<lb/>ſchen machten weit über alle deine unerfahrenen Träume hinaus.<lb/>
An Stunden der <hirendition="#g">Wahrheit</hi> in der Sinnenliebe. Die heilig<lb/>
waren wie jede echte Wahrheitsſtunde. Wo es über dich kam wie<lb/>
ein herber Glanz, aber doch ſtrahlendes Licht, Licht, das Seelen<lb/>ſchmiedet und die Erze des Ich aus der Schlacke ſchweißt .....</p><lb/></div></body></text></TEI>
[7/0023]
heimniſſe, die dich durchſpinnen wie ein dunkles Schickſalsnetz,
wie ein ſchwarzes Spinngewebe, an dem deine Thränen wie
Tautropfen blinken.
Dort liegt auch die Löſung deiner Liebe. Der Segel¬
falter, der wie berauſcht von all der Feiertagsſonne reglos jetzt
auf den violetten Blüten liegt, ſagt dir mehr davon als alle
altersgrünen Glocken der Welt. Von ihm und ſeinesgleichen
laß mich dir erzählen. Unter den neuen Zeichen, die noch nie
eine Zeit vor uns beſeſſen hat.
Aber ſchließe deine Augen erſt noch auf einen Moment.
Laß das ganze feierſtille Bild da draußen verſchwinden,
das einſame weiße Kirchlein mit dem Kreuz und dem Blitz¬
ableiter, die ſchwarzen Cypreſſen, das ſilberne und blaue Meer.
Laß alles dunkel werden — und erinnere dich.
An zwei Ereigniſſe in deinem Leben — erlebte, wieder¬
kehrende, wieder verſchwimmende — muß ich dich mahnen,
damit du im Kern verſtehſt, was ich will. Zweierlei Augen¬
blicke, da du dein Ich verloren haſt in der Liebe. Verloren
in vollkommener Seligkeit des pulſenden Lebens ohne jede Spur
von Todesangſt. Da du ſtarbeſt als „du“, aber ſtarbeſt ins
Leben hinein. Einmal im Körper. Und ein andermal im Geiſt.
Erinnere dich .....
Du haſt Liebe geübt, Liebe genoſſen im Leben. Sinnen¬
liebe. Rohe Bilder — oder wenigſtens ſolche, die du einmal
für roh hielteſt — ſteigen herauf. Aber auch wunderbar ſüße.
An Ängſte und Irrtümer der Jugend denkſt du. An erbärm¬
liche Stunden, die das Gold deiner Träume erbarmungslos in
den Staub traten, wie goldenes Laub in eine Pfütze ſinkt. Und
doch auch an goldene Stunden, die aus dir einen neuen Men¬
ſchen machten weit über alle deine unerfahrenen Träume hinaus.
An Stunden der Wahrheit in der Sinnenliebe. Die heilig
waren wie jede echte Wahrheitsſtunde. Wo es über dich kam wie
ein herber Glanz, aber doch ſtrahlendes Licht, Licht, das Seelen
ſchmiedet und die Erze des Ich aus der Schlacke ſchweißt .....
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 1. Florenz u. a., 1898, S. 7. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boelsche_liebesleben01_1898/23>, abgerufen am 21.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.