Egellärvchen, das mit Hilfe eines dichten Röckchens feiner Wimperhaare frei im Naß sich herumwirbelt und sogar ein Auge besitzt, um das Licht der Welt zu genießen. Kurz genug freilich ist sein Freiheitsrausch. Der flimmernde Pelz verliert sich wieder, und wie ein echter Wurm kriecht das Egelchen nach geringer Burschenherrlichkeit in den Leib einer jener Teichschnecken vom Geschlechte Limnäa hinein, deren zierliche Gehäuse allent¬ halben im Schlamm unserer Gewässer stecken. Du ahnst es: sie wird, wie es beim Bandwurm geschah, zur "Finne". Aber sie soll doch wieder ins Schaf. Schafe pflegen nicht gerade Teichmuscheln zu fressen. Und überhaupt: die Sache entwickelt sich hier noch viel raffinierter.
Im Leibe seiner Schnecke angelangt, fühlt unser Wurm sonderbare Dinge im eigenen Körper. Haben seine Eltern früher die chemische Fabrik im Schaf bedroht, so scheint sich jetzt in ihm selber etwas anzumelden, das wie eine Nemesis wirkt. Eigentliche Freuden der Liebe sind es gewiß nicht, denn dazu hat er gar keine Organe. Und Freuden sind es, wie an¬ zunehmen, wohl überhaupt nicht.
In seinem Leibe knospet es, es wachsen junge Tiere von schlauchartiger Gestalt, -- stets mehr und immer mehr. Nicht lange: und sie füllen den ganzen Leibesraum des alten Wurmes aus, die Organe gehen ein, die Haut wird prall ge¬ spannt wie eine Blase, das ganze Muttertier, dem diese Schreckensbrut erblüht, stirbt ab zu einer großen rings ge¬ schlossenen Wurstpelle, in der in Gestalt einer Kolonie ein¬ geschachtelter kleiner Würste die neue Wurmgeneration einst¬ weilen wohl verwahrt liegt.
Opfertod, -- neues Leben ..... Du erwartest, daß die kleinen Würste zur rechten Stunde die Pelle sprengen und eigenen Lebenszielen zustreben werden. Sie sind selber ja nicht bloß Hülle, sondern scheinen zum individuellen Leben fix und fertig, mit Mund und Darm, wie die anfänglichen Leberegel im Gallengang des Schafes sie hatten. Aber es kommt nicht zum
Egellärvchen, das mit Hilfe eines dichten Röckchens feiner Wimperhaare frei im Naß ſich herumwirbelt und ſogar ein Auge beſitzt, um das Licht der Welt zu genießen. Kurz genug freilich iſt ſein Freiheitsrauſch. Der flimmernde Pelz verliert ſich wieder, und wie ein echter Wurm kriecht das Egelchen nach geringer Burſchenherrlichkeit in den Leib einer jener Teichſchnecken vom Geſchlechte Limnäa hinein, deren zierliche Gehäuſe allent¬ halben im Schlamm unſerer Gewäſſer ſtecken. Du ahnſt es: ſie wird, wie es beim Bandwurm geſchah, zur „Finne“. Aber ſie ſoll doch wieder ins Schaf. Schafe pflegen nicht gerade Teichmuſcheln zu freſſen. Und überhaupt: die Sache entwickelt ſich hier noch viel raffinierter.
Im Leibe ſeiner Schnecke angelangt, fühlt unſer Wurm ſonderbare Dinge im eigenen Körper. Haben ſeine Eltern früher die chemiſche Fabrik im Schaf bedroht, ſo ſcheint ſich jetzt in ihm ſelber etwas anzumelden, das wie eine Nemeſis wirkt. Eigentliche Freuden der Liebe ſind es gewiß nicht, denn dazu hat er gar keine Organe. Und Freuden ſind es, wie an¬ zunehmen, wohl überhaupt nicht.
In ſeinem Leibe knoſpet es, es wachſen junge Tiere von ſchlauchartiger Geſtalt, — ſtets mehr und immer mehr. Nicht lange: und ſie füllen den ganzen Leibesraum des alten Wurmes aus, die Organe gehen ein, die Haut wird prall ge¬ ſpannt wie eine Blaſe, das ganze Muttertier, dem dieſe Schreckensbrut erblüht, ſtirbt ab zu einer großen rings ge¬ ſchloſſenen Wurſtpelle, in der in Geſtalt einer Kolonie ein¬ geſchachtelter kleiner Würſte die neue Wurmgeneration einſt¬ weilen wohl verwahrt liegt.
Opfertod, — neues Leben ..... Du erwarteſt, daß die kleinen Würſte zur rechten Stunde die Pelle ſprengen und eigenen Lebenszielen zuſtreben werden. Sie ſind ſelber ja nicht bloß Hülle, ſondern ſcheinen zum individuellen Leben fix und fertig, mit Mund und Darm, wie die anfänglichen Leberegel im Gallengang des Schafes ſie hatten. Aber es kommt nicht zum
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Egellärvchen, das mit Hilfe eines dichten Röckchens feiner
Wimperhaare frei im Naß ſich herumwirbelt und ſogar ein
Auge beſitzt, um das Licht der Welt zu genießen. Kurz genug
freilich iſt ſein Freiheitsrauſch. Der flimmernde Pelz verliert
ſich wieder, und wie ein echter Wurm kriecht das Egelchen nach
geringer Burſchenherrlichkeit in den Leib einer jener Teichſchnecken
vom Geſchlechte Limnäa hinein, deren zierliche Gehäuſe allent¬
halben im Schlamm unſerer Gewäſſer ſtecken. Du ahnſt es:
ſie wird, wie es beim Bandwurm geſchah, zur „Finne“. Aber
ſie ſoll doch wieder ins Schaf. Schafe pflegen nicht gerade
Teichmuſcheln zu freſſen. Und überhaupt: die Sache entwickelt
ſich hier noch viel raffinierter.
Im Leibe ſeiner Schnecke angelangt, fühlt unſer Wurm
ſonderbare Dinge im eigenen Körper. Haben ſeine Eltern
früher die chemiſche Fabrik im Schaf bedroht, ſo ſcheint ſich
jetzt in ihm ſelber etwas anzumelden, das wie eine Nemeſis
wirkt. Eigentliche Freuden der Liebe ſind es gewiß nicht, denn
dazu hat er gar keine Organe. Und Freuden ſind es, wie an¬
zunehmen, wohl überhaupt nicht.
In ſeinem Leibe knoſpet es, es wachſen junge Tiere von
ſchlauchartiger Geſtalt, — ſtets mehr und immer mehr. Nicht
lange: und ſie füllen den ganzen Leibesraum des alten
Wurmes aus, die Organe gehen ein, die Haut wird prall ge¬
ſpannt wie eine Blaſe, das ganze Muttertier, dem dieſe
Schreckensbrut erblüht, ſtirbt ab zu einer großen rings ge¬
ſchloſſenen Wurſtpelle, in der in Geſtalt einer Kolonie ein¬
geſchachtelter kleiner Würſte die neue Wurmgeneration einſt¬
weilen wohl verwahrt liegt.
Opfertod, — neues Leben ..... Du erwarteſt, daß die
kleinen Würſte zur rechten Stunde die Pelle ſprengen und
eigenen Lebenszielen zuſtreben werden. Sie ſind ſelber ja nicht
bloß Hülle, ſondern ſcheinen zum individuellen Leben fix und
fertig, mit Mund und Darm, wie die anfänglichen Leberegel im
Gallengang des Schafes ſie hatten. Aber es kommt nicht zum
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Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 1. Florenz u. a., 1898, S. 248. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boelsche_liebesleben01_1898/264>, abgerufen am 24.11.2024.
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