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Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 1. Florenz u. a., 1898.

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aus, kehren in den Schlamm zurück und werden zu getrennt¬
geschlechtigen Rhabditispärchen von der ursprünglichen Art.

Vielleicht prägst du dir diesen Fall Rhabditis noch aus
besonderen Gründen ein. Wenn fromme Seelen dir etwas
allzu eifrig und etwas allzu leichtsinnig die Natur auf der
Liebe aufbauen wollen. Wenn man dir predigt, jedes kleinste
Würmlein preise die Liebe dessen, der es gemacht. Dann mag
die arme kleine Rhabditis im Schlammgrunde dir als Vision
auftauchen, wie sie sich krümmt als Kannibalenmahlzeit ihrer
eigenen Kinder ..... Ich habe dir früher einmal angedeutet,
daß auch ich im innersten Herzen daran glaube, daß in einem
ganz bestimmten Sinne die "Liebe" auch uns wieder in den
Kern der Welt rücken könnte. Daß wir eines Tages wieder
begreifen könnten, wie dieses Wort doch auch ganz realistisch
gedacht unser tiefstes Symbol wäre: das Symbol der Über¬
windung aller schmerzenden Trennung, aller bangen Isolierung
des Individuums, das Symbol des lächelnden Todes, der kein
wirklicher Tod ist, sondern nur eine Entwickelung ..... wir
ahnen das heute noch mehr, als wir es fest besitzen, aber es
mag kommen, gewiß. Unendlich weit wird aber solche Neu¬
geburt aus der keimenden Seele heraus über den alten Ge¬
spenstern stehen, die heute noch wie Sand am Meere zwischen
uns sind. Auch der Glaube, daß die Natur im groben Sinne
von Beginn an auf die Feinheiten menschlicher Höhenliebe,
menschlichen Allmitleids begründet und danach geordnet sei, ist
nichts anderes als ein solches Gespenst. Ein einziger Blut¬
zeuge wie die Rhabditis -- und es fällt. Die Philosophie
des winzigen Wurmes schlägt alle klügelnde Menschenphilosophie
nach dieser Richtung in den Staub .....

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aus, kehren in den Schlamm zurück und werden zu getrennt¬
geſchlechtigen Rhabditispärchen von der urſprünglichen Art.

Vielleicht prägſt du dir dieſen Fall Rhabditis noch aus
beſonderen Gründen ein. Wenn fromme Seelen dir etwas
allzu eifrig und etwas allzu leichtſinnig die Natur auf der
Liebe aufbauen wollen. Wenn man dir predigt, jedes kleinſte
Würmlein preiſe die Liebe deſſen, der es gemacht. Dann mag
die arme kleine Rhabditis im Schlammgrunde dir als Viſion
auftauchen, wie ſie ſich krümmt als Kannibalenmahlzeit ihrer
eigenen Kinder ..... Ich habe dir früher einmal angedeutet,
daß auch ich im innerſten Herzen daran glaube, daß in einem
ganz beſtimmten Sinne die „Liebe“ auch uns wieder in den
Kern der Welt rücken könnte. Daß wir eines Tages wieder
begreifen könnten, wie dieſes Wort doch auch ganz realiſtiſch
gedacht unſer tiefſtes Symbol wäre: das Symbol der Über¬
windung aller ſchmerzenden Trennung, aller bangen Iſolierung
des Individuums, das Symbol des lächelnden Todes, der kein
wirklicher Tod iſt, ſondern nur eine Entwickelung ..... wir
ahnen das heute noch mehr, als wir es feſt beſitzen, aber es
mag kommen, gewiß. Unendlich weit wird aber ſolche Neu¬
geburt aus der keimenden Seele heraus über den alten Ge¬
ſpenſtern ſtehen, die heute noch wie Sand am Meere zwiſchen
uns ſind. Auch der Glaube, daß die Natur im groben Sinne
von Beginn an auf die Feinheiten menſchlicher Höhenliebe,
menſchlichen Allmitleids begründet und danach geordnet ſei, iſt
nichts anderes als ein ſolches Geſpenſt. Ein einziger Blut¬
zeuge wie die Rhabditis — und es fällt. Die Philoſophie
des winzigen Wurmes ſchlägt alle klügelnde Menſchenphiloſophie
nach dieſer Richtung in den Staub .....

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[257/0273] aus, kehren in den Schlamm zurück und werden zu getrennt¬ geſchlechtigen Rhabditispärchen von der urſprünglichen Art. Vielleicht prägſt du dir dieſen Fall Rhabditis noch aus beſonderen Gründen ein. Wenn fromme Seelen dir etwas allzu eifrig und etwas allzu leichtſinnig die Natur auf der Liebe aufbauen wollen. Wenn man dir predigt, jedes kleinſte Würmlein preiſe die Liebe deſſen, der es gemacht. Dann mag die arme kleine Rhabditis im Schlammgrunde dir als Viſion auftauchen, wie ſie ſich krümmt als Kannibalenmahlzeit ihrer eigenen Kinder ..... Ich habe dir früher einmal angedeutet, daß auch ich im innerſten Herzen daran glaube, daß in einem ganz beſtimmten Sinne die „Liebe“ auch uns wieder in den Kern der Welt rücken könnte. Daß wir eines Tages wieder begreifen könnten, wie dieſes Wort doch auch ganz realiſtiſch gedacht unſer tiefſtes Symbol wäre: das Symbol der Über¬ windung aller ſchmerzenden Trennung, aller bangen Iſolierung des Individuums, das Symbol des lächelnden Todes, der kein wirklicher Tod iſt, ſondern nur eine Entwickelung ..... wir ahnen das heute noch mehr, als wir es feſt beſitzen, aber es mag kommen, gewiß. Unendlich weit wird aber ſolche Neu¬ geburt aus der keimenden Seele heraus über den alten Ge¬ ſpenſtern ſtehen, die heute noch wie Sand am Meere zwiſchen uns ſind. Auch der Glaube, daß die Natur im groben Sinne von Beginn an auf die Feinheiten menſchlicher Höhenliebe, menſchlichen Allmitleids begründet und danach geordnet ſei, iſt nichts anderes als ein ſolches Geſpenſt. Ein einziger Blut¬ zeuge wie die Rhabditis — und es fällt. Die Philoſophie des winzigen Wurmes ſchlägt alle klügelnde Menſchenphiloſophie nach dieſer Richtung in den Staub ..... — 257 — 17

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Zitationshilfe: Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 1. Florenz u. a., 1898, S. 257. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boelsche_liebesleben01_1898/273>, abgerufen am 24.11.2024.