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Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 1. Florenz u. a., 1898.

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und seine Patrone auf die jetzt und hier vollkommen befruch¬
tungsfähigen Eier loszuschießen. Oder, falls die Eier noch nicht
gleich da sind, brauchte es bloß die Patrone einstweilen in jenen
scheinbar zwecklos leeren Reservekessel hineinzuschieben, -- zur
rechten Zeit könnte sie dann von selbst den Eiern, wenn sie
herabkämen, auf den Kopf fallen.

Aber unsere Schnecke scheint weit entfernt von solcher, im
Sinne des Naturverbots der Selbstbefruchtung zweifellos "per¬
versen" Handlung. Sie bleibt auf dem Boden der "Moral",
freilich wohl im Sinne einer Moralhandlung nicht so sehr auf
Grund des kategorischen Imperativs, sondern mehr aus gewissen
Nützlichkeitsgründen. Sie hofft noch etwas Besonderes, das ihr
die ganze Selbstbefruchterei offenbar niemals geben würde. Und
dieses "Andere" taucht alsbald jetzt wirklich auf, -- einfach
in Gestalt einer anderen Schnecke ihrer Art.

Da kommt sie daher, durch den nassen Maientag, gravi¬
tätisch nach Schneckenbrauch. Gebaut wie ihre Partnerin --
die Worte Braut und Bräutigam lassen sich hier nicht an¬
wenden --, hat sie auch dieselben Wünsche. Aber man merkt,
daß man nicht mehr bei ganz niederen Tieren ist. Es tritt
ein seelisches Element hinzu.

Die beiden Schnecken gehen nicht gleich aufeinander los.
Sie umkreisen einander erst mit einer Art von drolligstem
Schneckentanze, ehe sie sich berühren. Dann richten sie sich auf
einmal beide ein Stück weit auf, pressen Leibessohle, so weit
es die Stellung zuläßt, gegen Leibessohle und schnäbeln eine
Weile anmutig mit den Fühlhörnern.

Steht endlich Geschlechtsthor nahe genug dem Geschlechts¬
thor gegenüber, so schnellt auf einmal jeder Liebespartner auf
den andern aus seiner Pforte heraus jenes kleine spitze Kalk¬
pfeilchen: den Liebespfeil.

Die gute Absicht -- die freilich nicht immer im Eifer er¬
reicht wird -- ist, genau die Liebespforte des andern mit dem
Pfeil zu treffen. Wohl ziemlich sicher handelt es sich dabei

und ſeine Patrone auf die jetzt und hier vollkommen befruch¬
tungsfähigen Eier loszuſchießen. Oder, falls die Eier noch nicht
gleich da ſind, brauchte es bloß die Patrone einſtweilen in jenen
ſcheinbar zwecklos leeren Reſervekeſſel hineinzuſchieben, — zur
rechten Zeit könnte ſie dann von ſelbſt den Eiern, wenn ſie
herabkämen, auf den Kopf fallen.

Aber unſere Schnecke ſcheint weit entfernt von ſolcher, im
Sinne des Naturverbots der Selbſtbefruchtung zweifellos „per¬
verſen“ Handlung. Sie bleibt auf dem Boden der „Moral“,
freilich wohl im Sinne einer Moralhandlung nicht ſo ſehr auf
Grund des kategoriſchen Imperativs, ſondern mehr aus gewiſſen
Nützlichkeitsgründen. Sie hofft noch etwas Beſonderes, das ihr
die ganze Selbſtbefruchterei offenbar niemals geben würde. Und
dieſes „Andere“ taucht alsbald jetzt wirklich auf, — einfach
in Geſtalt einer anderen Schnecke ihrer Art.

Da kommt ſie daher, durch den naſſen Maientag, gravi¬
tätiſch nach Schneckenbrauch. Gebaut wie ihre Partnerin —
die Worte Braut und Bräutigam laſſen ſich hier nicht an¬
wenden —, hat ſie auch dieſelben Wünſche. Aber man merkt,
daß man nicht mehr bei ganz niederen Tieren iſt. Es tritt
ein ſeeliſches Element hinzu.

Die beiden Schnecken gehen nicht gleich aufeinander los.
Sie umkreiſen einander erſt mit einer Art von drolligſtem
Schneckentanze, ehe ſie ſich berühren. Dann richten ſie ſich auf
einmal beide ein Stück weit auf, preſſen Leibesſohle, ſo weit
es die Stellung zuläßt, gegen Leibesſohle und ſchnäbeln eine
Weile anmutig mit den Fühlhörnern.

Steht endlich Geſchlechtsthor nahe genug dem Geſchlechts¬
thor gegenüber, ſo ſchnellt auf einmal jeder Liebespartner auf
den andern aus ſeiner Pforte heraus jenes kleine ſpitze Kalk¬
pfeilchen: den Liebespfeil.

Die gute Abſicht — die freilich nicht immer im Eifer er¬
reicht wird — iſt, genau die Liebespforte des andern mit dem
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[288/0304] und ſeine Patrone auf die jetzt und hier vollkommen befruch¬ tungsfähigen Eier loszuſchießen. Oder, falls die Eier noch nicht gleich da ſind, brauchte es bloß die Patrone einſtweilen in jenen ſcheinbar zwecklos leeren Reſervekeſſel hineinzuſchieben, — zur rechten Zeit könnte ſie dann von ſelbſt den Eiern, wenn ſie herabkämen, auf den Kopf fallen. Aber unſere Schnecke ſcheint weit entfernt von ſolcher, im Sinne des Naturverbots der Selbſtbefruchtung zweifellos „per¬ verſen“ Handlung. Sie bleibt auf dem Boden der „Moral“, freilich wohl im Sinne einer Moralhandlung nicht ſo ſehr auf Grund des kategoriſchen Imperativs, ſondern mehr aus gewiſſen Nützlichkeitsgründen. Sie hofft noch etwas Beſonderes, das ihr die ganze Selbſtbefruchterei offenbar niemals geben würde. Und dieſes „Andere“ taucht alsbald jetzt wirklich auf, — einfach in Geſtalt einer anderen Schnecke ihrer Art. Da kommt ſie daher, durch den naſſen Maientag, gravi¬ tätiſch nach Schneckenbrauch. Gebaut wie ihre Partnerin — die Worte Braut und Bräutigam laſſen ſich hier nicht an¬ wenden —, hat ſie auch dieſelben Wünſche. Aber man merkt, daß man nicht mehr bei ganz niederen Tieren iſt. Es tritt ein ſeeliſches Element hinzu. Die beiden Schnecken gehen nicht gleich aufeinander los. Sie umkreiſen einander erſt mit einer Art von drolligſtem Schneckentanze, ehe ſie ſich berühren. Dann richten ſie ſich auf einmal beide ein Stück weit auf, preſſen Leibesſohle, ſo weit es die Stellung zuläßt, gegen Leibesſohle und ſchnäbeln eine Weile anmutig mit den Fühlhörnern. Steht endlich Geſchlechtsthor nahe genug dem Geſchlechts¬ thor gegenüber, ſo ſchnellt auf einmal jeder Liebespartner auf den andern aus ſeiner Pforte heraus jenes kleine ſpitze Kalk¬ pfeilchen: den Liebespfeil. Die gute Abſicht — die freilich nicht immer im Eifer er¬ reicht wird — iſt, genau die Liebespforte des andern mit dem Pfeil zu treffen. Wohl ziemlich ſicher handelt es ſich dabei

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Zitationshilfe: Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 1. Florenz u. a., 1898, S. 288. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boelsche_liebesleben01_1898/304>, abgerufen am 24.11.2024.