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Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 1. Florenz u. a., 1898.

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Mann und Weib in einem, gleich dieser. Nur darin besteht
ihre Eigenart, daß sie statt des einen Geschlechtsthores, aus dem
beide Stoffe vortreten, deren zwei am Leibe besitzen, ein männ¬
liches nahe dem Fühler und ein weibliches etwas weiter hinten,
näher dem Atemloch. Diese Trennung der äußeren Möglich¬
keit giebt aber jetzt die Grundlage zu Begattungskomplikationen,
die noch weit über die der Weinbergschnecke hinausgehen.

Die Trennung im Apparat hat zunächst die eine Folge
gezeitigt, daß trotz ihrer Zwitterei die Geschlechter sich gewohn¬
heitsmäßig nur so begegnen, daß das eine als Männchen auf¬
tritt und das andere als Weibchen. Sie begatten sich also
Eins zu Zwei niemals so, daß jede Schnecke der anderen
giebt, von derselben aber gleichzeitig auch nimmt. Sondern
eine Schnecke faßt die andere bloß so, daß sie ihre männliche
(also weiter vorn liegende) Geschlechtspforte auf die weibliche,
weiter hinten liegende der andern drückt und also bloß Mann
zu Weib die andere befruchtet.

Das wäre nun sogar einfacher als die frühere Historia
im Weinberg. Aber nun denke dir mathematisch scharf die
folgende Fortsetzung durch. Die eine Schnecke behandelt die
andere männlich. Dabei bleibt ihre eigene weibliche Geschlechts¬
pforte, die weiter hinten liegt, natürlich in dieser aktiven Hand¬
lung unbeteiligt. Nun erscheint neben ihr aber eine dritte
Schnecke, ebenfalls bereit, als Mann zu funktionieren. Sie
findet die freie weibliche Öffnung der zweiten und beginnt hier
ihr Werk. Zwangsweise wird also jetzt jene zweite ihrem
Willen nach eigentlich bloß männliche Schnecke auch noch Weib
für die dritte. Dabei bleibt aber nunmehr bei der dritten
wieder die weibliche Pforte frei und hier meldet sich alsbald
eine vierte Schnecke zum Manneswerk. So entsteht schließlich
eine ganze Kette. Erst die zu allerletzt kommende Schnecke
bleibt nach ihrer weiblichen Seite wirklich frei und schließt als
der einzige faktisch bloß als Mann engagierte Teil die Reihe,
deren erstes Glied als Gegenpol bloß Weib ist, während die

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Mann und Weib in einem, gleich dieſer. Nur darin beſteht
ihre Eigenart, daß ſie ſtatt des einen Geſchlechtsthores, aus dem
beide Stoffe vortreten, deren zwei am Leibe beſitzen, ein männ¬
liches nahe dem Fühler und ein weibliches etwas weiter hinten,
näher dem Atemloch. Dieſe Trennung der äußeren Möglich¬
keit giebt aber jetzt die Grundlage zu Begattungskomplikationen,
die noch weit über die der Weinbergſchnecke hinausgehen.

Die Trennung im Apparat hat zunächſt die eine Folge
gezeitigt, daß trotz ihrer Zwitterei die Geſchlechter ſich gewohn¬
heitsmäßig nur ſo begegnen, daß das eine als Männchen auf¬
tritt und das andere als Weibchen. Sie begatten ſich alſo
Eins zu Zwei niemals ſo, daß jede Schnecke der anderen
giebt, von derſelben aber gleichzeitig auch nimmt. Sondern
eine Schnecke faßt die andere bloß ſo, daß ſie ihre männliche
(alſo weiter vorn liegende) Geſchlechtspforte auf die weibliche,
weiter hinten liegende der andern drückt und alſo bloß Mann
zu Weib die andere befruchtet.

Das wäre nun ſogar einfacher als die frühere Hiſtoria
im Weinberg. Aber nun denke dir mathematiſch ſcharf die
folgende Fortſetzung durch. Die eine Schnecke behandelt die
andere männlich. Dabei bleibt ihre eigene weibliche Geſchlechts¬
pforte, die weiter hinten liegt, natürlich in dieſer aktiven Hand¬
lung unbeteiligt. Nun erſcheint neben ihr aber eine dritte
Schnecke, ebenfalls bereit, als Mann zu funktionieren. Sie
findet die freie weibliche Öffnung der zweiten und beginnt hier
ihr Werk. Zwangsweiſe wird alſo jetzt jene zweite ihrem
Willen nach eigentlich bloß männliche Schnecke auch noch Weib
für die dritte. Dabei bleibt aber nunmehr bei der dritten
wieder die weibliche Pforte frei und hier meldet ſich alsbald
eine vierte Schnecke zum Manneswerk. So entſteht ſchließlich
eine ganze Kette. Erſt die zu allerletzt kommende Schnecke
bleibt nach ihrer weiblichen Seite wirklich frei und ſchließt als
der einzige faktiſch bloß als Mann engagierte Teil die Reihe,
deren erſtes Glied als Gegenpol bloß Weib iſt, während die

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[291/0307] Mann und Weib in einem, gleich dieſer. Nur darin beſteht ihre Eigenart, daß ſie ſtatt des einen Geſchlechtsthores, aus dem beide Stoffe vortreten, deren zwei am Leibe beſitzen, ein männ¬ liches nahe dem Fühler und ein weibliches etwas weiter hinten, näher dem Atemloch. Dieſe Trennung der äußeren Möglich¬ keit giebt aber jetzt die Grundlage zu Begattungskomplikationen, die noch weit über die der Weinbergſchnecke hinausgehen. Die Trennung im Apparat hat zunächſt die eine Folge gezeitigt, daß trotz ihrer Zwitterei die Geſchlechter ſich gewohn¬ heitsmäßig nur ſo begegnen, daß das eine als Männchen auf¬ tritt und das andere als Weibchen. Sie begatten ſich alſo Eins zu Zwei niemals ſo, daß jede Schnecke der anderen giebt, von derſelben aber gleichzeitig auch nimmt. Sondern eine Schnecke faßt die andere bloß ſo, daß ſie ihre männliche (alſo weiter vorn liegende) Geſchlechtspforte auf die weibliche, weiter hinten liegende der andern drückt und alſo bloß Mann zu Weib die andere befruchtet. Das wäre nun ſogar einfacher als die frühere Hiſtoria im Weinberg. Aber nun denke dir mathematiſch ſcharf die folgende Fortſetzung durch. Die eine Schnecke behandelt die andere männlich. Dabei bleibt ihre eigene weibliche Geſchlechts¬ pforte, die weiter hinten liegt, natürlich in dieſer aktiven Hand¬ lung unbeteiligt. Nun erſcheint neben ihr aber eine dritte Schnecke, ebenfalls bereit, als Mann zu funktionieren. Sie findet die freie weibliche Öffnung der zweiten und beginnt hier ihr Werk. Zwangsweiſe wird alſo jetzt jene zweite ihrem Willen nach eigentlich bloß männliche Schnecke auch noch Weib für die dritte. Dabei bleibt aber nunmehr bei der dritten wieder die weibliche Pforte frei und hier meldet ſich alsbald eine vierte Schnecke zum Manneswerk. So entſteht ſchließlich eine ganze Kette. Erſt die zu allerletzt kommende Schnecke bleibt nach ihrer weiblichen Seite wirklich frei und ſchließt als der einzige faktiſch bloß als Mann engagierte Teil die Reihe, deren erſtes Glied als Gegenpol bloß Weib iſt, während die 19*

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Zitationshilfe: Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 1. Florenz u. a., 1898, S. 291. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boelsche_liebesleben01_1898/307>, abgerufen am 24.11.2024.