Nimm eine Spinne. Setze ihr die starren Glasaugen eines Schellfischs ein. Gieb dem Körper das Nasse, Schlüpfrige, Weiche, Faltige, absolut Nackte der Schnecke. Glätte aus den Beinen die Gelenke fort, bis sie Eingeweiden ähnlich werden, sich regellos kringeln wie solche und nur noch durch eine ge¬ heimnisvolle Saugkraft, die sie an der Unterlage bald da bald dort haften läßt, sich mit dem dicken Körpersack des Spinnen¬ leibes von der Stelle schleppen. Im übrigen aber lasse der Spinne all das Wilde, Angreiferische, Räuberische ihrer Natur, lasse ihr ihre Kraft und Zähigkeit, ihre Intelligenz, die sie zum Herrn jeder Situation macht. Und nur, zum letzten, mache sie noch groß: wie eine Faust, wie einen Kopf, wie einen Ochsen, schließlich wie einen Walfisch.
Du hast den Tintenfisch.
Der Tintenfisch hat eine unleugbar starke Ähnlichkeit mit der Spinne. Aber er ist keine Spinne, ist nicht einmal ver¬ wandt mit ihr, -- ebensowenig wie er ein Fisch ist.
Er ist ein Weichtier, unmittelbar zusammengehörig mit jenen Muscheln und Schnecken, ein Stammesbruder der Auster und der Weinbergschnecke. Bloß daß er diese seine Genossen weit überflügelt hat. Zerbrich ein Ei mit einem schon eben angebrüteten Hühnchen und schütte die Masse auf einen Teller: du hast einen wüsten Gallertklumpen von undefinierbarer Gestalt,
Nimm eine Spinne. Setze ihr die ſtarren Glasaugen eines Schellfiſchs ein. Gieb dem Körper das Naſſe, Schlüpfrige, Weiche, Faltige, abſolut Nackte der Schnecke. Glätte aus den Beinen die Gelenke fort, bis ſie Eingeweiden ähnlich werden, ſich regellos kringeln wie ſolche und nur noch durch eine ge¬ heimnisvolle Saugkraft, die ſie an der Unterlage bald da bald dort haften läßt, ſich mit dem dicken Körperſack des Spinnen¬ leibes von der Stelle ſchleppen. Im übrigen aber laſſe der Spinne all das Wilde, Angreiferiſche, Räuberiſche ihrer Natur, laſſe ihr ihre Kraft und Zähigkeit, ihre Intelligenz, die ſie zum Herrn jeder Situation macht. Und nur, zum letzten, mache ſie noch groß: wie eine Fauſt, wie einen Kopf, wie einen Ochſen, ſchließlich wie einen Walfiſch.
Du haſt den Tintenfiſch.
Der Tintenfiſch hat eine unleugbar ſtarke Ähnlichkeit mit der Spinne. Aber er iſt keine Spinne, iſt nicht einmal ver¬ wandt mit ihr, — ebenſowenig wie er ein Fiſch iſt.
Er iſt ein Weichtier, unmittelbar zuſammengehörig mit jenen Muſcheln und Schnecken, ein Stammesbruder der Auſter und der Weinbergſchnecke. Bloß daß er dieſe ſeine Genoſſen weit überflügelt hat. Zerbrich ein Ei mit einem ſchon eben angebrüteten Hühnchen und ſchütte die Maſſe auf einen Teller: du haſt einen wüſten Gallertklumpen von undefinierbarer Geſtalt,
<TEI><text><body><divn="1"><pbfacs="#f0309"n="293"/><p><hirendition="#in">N</hi>imm eine Spinne. Setze ihr die ſtarren Glasaugen<lb/>
eines Schellfiſchs ein. Gieb dem Körper das Naſſe, Schlüpfrige,<lb/>
Weiche, Faltige, abſolut Nackte der Schnecke. Glätte aus den<lb/>
Beinen die Gelenke fort, bis ſie Eingeweiden ähnlich werden,<lb/>ſich regellos kringeln wie ſolche und nur noch durch eine ge¬<lb/>
heimnisvolle Saugkraft, die ſie an der Unterlage bald da bald<lb/>
dort haften läßt, ſich mit dem dicken Körperſack des Spinnen¬<lb/>
leibes von der Stelle ſchleppen. Im übrigen aber laſſe der<lb/>
Spinne all das Wilde, Angreiferiſche, Räuberiſche ihrer Natur,<lb/>
laſſe ihr ihre Kraft und Zähigkeit, ihre Intelligenz, die ſie<lb/>
zum Herrn jeder Situation macht. Und nur, zum letzten,<lb/>
mache ſie noch groß: wie eine Fauſt, wie einen Kopf, wie<lb/>
einen Ochſen, ſchließlich wie einen Walfiſch.</p><lb/><p>Du haſt den Tintenfiſch.</p><lb/><p>Der Tintenfiſch hat eine unleugbar ſtarke Ähnlichkeit mit<lb/>
der Spinne. Aber er iſt keine Spinne, iſt nicht einmal ver¬<lb/>
wandt mit ihr, — ebenſowenig wie er ein Fiſch iſt.</p><lb/><p>Er iſt ein Weichtier, unmittelbar zuſammengehörig mit<lb/>
jenen Muſcheln und Schnecken, ein Stammesbruder der Auſter<lb/>
und der Weinbergſchnecke. Bloß daß er dieſe ſeine Genoſſen<lb/>
weit überflügelt hat. Zerbrich ein Ei mit einem ſchon eben<lb/>
angebrüteten Hühnchen und ſchütte die Maſſe auf einen Teller:<lb/>
du haſt einen wüſten Gallertklumpen von undefinierbarer Geſtalt,<lb/></p></div></body></text></TEI>
[293/0309]
Nimm eine Spinne. Setze ihr die ſtarren Glasaugen
eines Schellfiſchs ein. Gieb dem Körper das Naſſe, Schlüpfrige,
Weiche, Faltige, abſolut Nackte der Schnecke. Glätte aus den
Beinen die Gelenke fort, bis ſie Eingeweiden ähnlich werden,
ſich regellos kringeln wie ſolche und nur noch durch eine ge¬
heimnisvolle Saugkraft, die ſie an der Unterlage bald da bald
dort haften läßt, ſich mit dem dicken Körperſack des Spinnen¬
leibes von der Stelle ſchleppen. Im übrigen aber laſſe der
Spinne all das Wilde, Angreiferiſche, Räuberiſche ihrer Natur,
laſſe ihr ihre Kraft und Zähigkeit, ihre Intelligenz, die ſie
zum Herrn jeder Situation macht. Und nur, zum letzten,
mache ſie noch groß: wie eine Fauſt, wie einen Kopf, wie
einen Ochſen, ſchließlich wie einen Walfiſch.
Du haſt den Tintenfiſch.
Der Tintenfiſch hat eine unleugbar ſtarke Ähnlichkeit mit
der Spinne. Aber er iſt keine Spinne, iſt nicht einmal ver¬
wandt mit ihr, — ebenſowenig wie er ein Fiſch iſt.
Er iſt ein Weichtier, unmittelbar zuſammengehörig mit
jenen Muſcheln und Schnecken, ein Stammesbruder der Auſter
und der Weinbergſchnecke. Bloß daß er dieſe ſeine Genoſſen
weit überflügelt hat. Zerbrich ein Ei mit einem ſchon eben
angebrüteten Hühnchen und ſchütte die Maſſe auf einen Teller:
du haſt einen wüſten Gallertklumpen von undefinierbarer Geſtalt,
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 1. Florenz u. a., 1898, S. 293. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boelsche_liebesleben01_1898/309>, abgerufen am 25.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.