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Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 1. Florenz u. a., 1898.

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des weiblichen Leibes selbständig herum wie ein Wurm, und
die ersten Beobachter, darunter der große Cuvier, haben ihn
auch ganz naiv für einen solchen, einen Eingeweidewurm, der
da in der Tiefe schmarotzerte, gehalten und mit einem besonders
schönen Namen bedacht: Hektokotylus, der Wurm mit den
hundert Saugnäpfchen.

Zur freien Verfügung liegt da unten jetzt vor dem "Hekto¬
kotylus" die weibliche Eileiteröffnung, und in Muße kann er
sein Werk der Befruchtung beginnen. Es ist, als sei eine
kleine Kanone mit ihm im Innern des Weibes selber auf¬
gestellt, die automatisch Schuß um Schuß giebt, eine Liebes-
Mitrailleuse, die das Männchen bloß wie ein guter Mechaniker
aufzustellen brauchte und nun sich selber überlassen kann. Und
in der That: wie ein modernes Geschütz nicht mehr bloß ein¬
fache Eisenkugeln, sondern explodierende Sprengbomben wirft,
die jeden Schuß eigentlich zu einem ganzen Sturzbad ver¬
heerender Eisenteile machen, -- so speit diese erotische Kanone
des Hektokotylus nicht bloß einzelne Samentierchen gegen ihr
Ziel, sondern wahre Samenkartätschen, längliche Gebilde, die
zum Platzen mit Samentierchen gefüllt sind.

Im Moment, wo diese Samenkartätsche aufprallt, bricht
vorne der höchst kunstreiche Verschluß und die Samenladung
wird durch die Elasticität der Wandung explosionsartig heraus¬
geschleudert.

Solcher zielbewußten Kanonade mit Sprenggeschossen
widersteht natürlich kein reifes Ei des Weibes: trotz aller
unendlichen Umwege vollzieht sich auch hier schließlich das
große Mysterium, dessen Zeuge wir so oft jetzt gewesen sind:
das Mysterium magnum der Natur, auf das alle Wege auch
in unmöglichster Verschlingung doch schließlich hinleiten, das
Mysterium, mit dem das Individuum zur Gattung überspringt
und in das Leben der Jahrtausende tritt.

des weiblichen Leibes ſelbſtändig herum wie ein Wurm, und
die erſten Beobachter, darunter der große Cuvier, haben ihn
auch ganz naiv für einen ſolchen, einen Eingeweidewurm, der
da in der Tiefe ſchmarotzerte, gehalten und mit einem beſonders
ſchönen Namen bedacht: Hektokotylus, der Wurm mit den
hundert Saugnäpfchen.

Zur freien Verfügung liegt da unten jetzt vor dem „Hekto¬
kotylus“ die weibliche Eileiteröffnung, und in Muße kann er
ſein Werk der Befruchtung beginnen. Es iſt, als ſei eine
kleine Kanone mit ihm im Innern des Weibes ſelber auf¬
geſtellt, die automatiſch Schuß um Schuß giebt, eine Liebes-
Mitrailleuſe, die das Männchen bloß wie ein guter Mechaniker
aufzuſtellen brauchte und nun ſich ſelber überlaſſen kann. Und
in der That: wie ein modernes Geſchütz nicht mehr bloß ein¬
fache Eiſenkugeln, ſondern explodierende Sprengbomben wirft,
die jeden Schuß eigentlich zu einem ganzen Sturzbad ver¬
heerender Eiſenteile machen, — ſo ſpeit dieſe erotiſche Kanone
des Hektokotylus nicht bloß einzelne Samentierchen gegen ihr
Ziel, ſondern wahre Samenkartätſchen, längliche Gebilde, die
zum Platzen mit Samentierchen gefüllt ſind.

Im Moment, wo dieſe Samenkartätſche aufprallt, bricht
vorne der höchſt kunſtreiche Verſchluß und die Samenladung
wird durch die Elaſticität der Wandung exploſionsartig heraus¬
geſchleudert.

Solcher zielbewußten Kanonade mit Sprenggeſchoſſen
widerſteht natürlich kein reifes Ei des Weibes: trotz aller
unendlichen Umwege vollzieht ſich auch hier ſchließlich das
große Myſterium, deſſen Zeuge wir ſo oft jetzt geweſen ſind:
das Mysterium magnum der Natur, auf das alle Wege auch
in unmöglichſter Verſchlingung doch ſchließlich hinleiten, das
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[301/0317] des weiblichen Leibes ſelbſtändig herum wie ein Wurm, und die erſten Beobachter, darunter der große Cuvier, haben ihn auch ganz naiv für einen ſolchen, einen Eingeweidewurm, der da in der Tiefe ſchmarotzerte, gehalten und mit einem beſonders ſchönen Namen bedacht: Hektokotylus, der Wurm mit den hundert Saugnäpfchen. Zur freien Verfügung liegt da unten jetzt vor dem „Hekto¬ kotylus“ die weibliche Eileiteröffnung, und in Muße kann er ſein Werk der Befruchtung beginnen. Es iſt, als ſei eine kleine Kanone mit ihm im Innern des Weibes ſelber auf¬ geſtellt, die automatiſch Schuß um Schuß giebt, eine Liebes- Mitrailleuſe, die das Männchen bloß wie ein guter Mechaniker aufzuſtellen brauchte und nun ſich ſelber überlaſſen kann. Und in der That: wie ein modernes Geſchütz nicht mehr bloß ein¬ fache Eiſenkugeln, ſondern explodierende Sprengbomben wirft, die jeden Schuß eigentlich zu einem ganzen Sturzbad ver¬ heerender Eiſenteile machen, — ſo ſpeit dieſe erotiſche Kanone des Hektokotylus nicht bloß einzelne Samentierchen gegen ihr Ziel, ſondern wahre Samenkartätſchen, längliche Gebilde, die zum Platzen mit Samentierchen gefüllt ſind. Im Moment, wo dieſe Samenkartätſche aufprallt, bricht vorne der höchſt kunſtreiche Verſchluß und die Samenladung wird durch die Elaſticität der Wandung exploſionsartig heraus¬ geſchleudert. Solcher zielbewußten Kanonade mit Sprenggeſchoſſen widerſteht natürlich kein reifes Ei des Weibes: trotz aller unendlichen Umwege vollzieht ſich auch hier ſchließlich das große Myſterium, deſſen Zeuge wir ſo oft jetzt geweſen ſind: das Mysterium magnum der Natur, auf das alle Wege auch in unmöglichſter Verſchlingung doch ſchließlich hinleiten, das Myſterium, mit dem das Individuum zur Gattung überſpringt und in das Leben der Jahrtauſende tritt.

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Zitationshilfe: Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 1. Florenz u. a., 1898, S. 301. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boelsche_liebesleben01_1898/317>, abgerufen am 25.11.2024.