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Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 1. Florenz u. a., 1898.

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größte Konfusion angebahnt wäre. Aber so weit geht's nun
doch nicht.

Allerdings siehst du das Tröpfchen unmittelbar am Munde
verschwinden, als sei es thatsächlich gefressen worden. Die
Sache liegt aber so. Du mußt dir die sonderbaren Schnauzen¬
verhältnisse einer solchen Spinne einmal rasch vergegenwärtigen.

Das Spinnenmaul ist an sich die regelrechte Vorder¬
öffnung des Verdauungsapparates, durch den die Nahrung in
den Magen kommt, genau wie bei dir, -- also ein Loch. Um
dieses Loch aber sitzen zum Fassen, Töten, Bewältigen der
Magennahrung handfeste bewegliche Kiefern, -- genau wie Du
einen beweglichen Unterkiefer und zwei Reihen solider Zähne
zu solchem Zwecke hast.

Die Kiefern der Spinne sehen bloß etwas seltsam und
von deinen sehr verschieden aus, -- und das einfach, weil sie
noch in einer unverkennbaren Weise ihre ursprüngliche Ent¬
stehung aus Beinen verraten.

Ja, aus Beinen! Oberkiefer wie Unterkiefer solcher Spinne
sind eigentlich nichts, als je ein Paar kleine Beinchen, die
vorne am Kopfe nächst der Mundöffnung ebenso sitzen, wie
etwas weiter hinten die vier Paare gewöhnlich so genannter
echter Spinnenbeine. Du mußt dir folgendes denken. Die
Spinne, wie alle höheren Gliedertiere, stammt geschichtlich von
gewissen wurmähnlichen Geschöpfen ab, deren ganzer Leib mit
Einschluß auch des Kopfes in geringelte, "eingekerbte" Teile
zerfiel -- und an jedem dieser Ringelteile saß je ein Paar
Beine. Noch der Tausendfuß spiegelt dir diese Stufe sehr treu,
obwohl er schon kein Wurm mehr ist, sondern bereits unseren
Spinnen ziemlich nahe steht, ja vielleicht direkt ihr Ahne ist.
Beim höheren Gliedertiere wie der Spinne ist dieser lange
Wurmleib nun so zu sagen eng zusammengedrängt worden.
Gerade die Spinne selbst besitzt nicht einmal mehr Kopf und
Brust getrennt, sondern alles ist ihr selbst hier in eins zu¬
sammengewachsen und nur zwischen dieser "Kopfbrust" und dem

größte Konfuſion angebahnt wäre. Aber ſo weit geht's nun
doch nicht.

Allerdings ſiehſt du das Tröpfchen unmittelbar am Munde
verſchwinden, als ſei es thatſächlich gefreſſen worden. Die
Sache liegt aber ſo. Du mußt dir die ſonderbaren Schnauzen¬
verhältniſſe einer ſolchen Spinne einmal raſch vergegenwärtigen.

Das Spinnenmaul iſt an ſich die regelrechte Vorder¬
öffnung des Verdauungsapparates, durch den die Nahrung in
den Magen kommt, genau wie bei dir, — alſo ein Loch. Um
dieſes Loch aber ſitzen zum Faſſen, Töten, Bewältigen der
Magennahrung handfeſte bewegliche Kiefern, — genau wie Du
einen beweglichen Unterkiefer und zwei Reihen ſolider Zähne
zu ſolchem Zwecke haſt.

Die Kiefern der Spinne ſehen bloß etwas ſeltſam und
von deinen ſehr verſchieden aus, — und das einfach, weil ſie
noch in einer unverkennbaren Weiſe ihre urſprüngliche Ent¬
ſtehung aus Beinen verraten.

Ja, aus Beinen! Oberkiefer wie Unterkiefer ſolcher Spinne
ſind eigentlich nichts, als je ein Paar kleine Beinchen, die
vorne am Kopfe nächſt der Mundöffnung ebenſo ſitzen, wie
etwas weiter hinten die vier Paare gewöhnlich ſo genannter
echter Spinnenbeine. Du mußt dir folgendes denken. Die
Spinne, wie alle höheren Gliedertiere, ſtammt geſchichtlich von
gewiſſen wurmähnlichen Geſchöpfen ab, deren ganzer Leib mit
Einſchluß auch des Kopfes in geringelte, „eingekerbte“ Teile
zerfiel — und an jedem dieſer Ringelteile ſaß je ein Paar
Beine. Noch der Tauſendfuß ſpiegelt dir dieſe Stufe ſehr treu,
obwohl er ſchon kein Wurm mehr iſt, ſondern bereits unſeren
Spinnen ziemlich nahe ſteht, ja vielleicht direkt ihr Ahne iſt.
Beim höheren Gliedertiere wie der Spinne iſt dieſer lange
Wurmleib nun ſo zu ſagen eng zuſammengedrängt worden.
Gerade die Spinne ſelbſt beſitzt nicht einmal mehr Kopf und
Bruſt getrennt, ſondern alles iſt ihr ſelbſt hier in eins zu¬
ſammengewachſen und nur zwiſchen dieſer „Kopfbruſt“ und dem

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[333/0349] größte Konfuſion angebahnt wäre. Aber ſo weit geht's nun doch nicht. Allerdings ſiehſt du das Tröpfchen unmittelbar am Munde verſchwinden, als ſei es thatſächlich gefreſſen worden. Die Sache liegt aber ſo. Du mußt dir die ſonderbaren Schnauzen¬ verhältniſſe einer ſolchen Spinne einmal raſch vergegenwärtigen. Das Spinnenmaul iſt an ſich die regelrechte Vorder¬ öffnung des Verdauungsapparates, durch den die Nahrung in den Magen kommt, genau wie bei dir, — alſo ein Loch. Um dieſes Loch aber ſitzen zum Faſſen, Töten, Bewältigen der Magennahrung handfeſte bewegliche Kiefern, — genau wie Du einen beweglichen Unterkiefer und zwei Reihen ſolider Zähne zu ſolchem Zwecke haſt. Die Kiefern der Spinne ſehen bloß etwas ſeltſam und von deinen ſehr verſchieden aus, — und das einfach, weil ſie noch in einer unverkennbaren Weiſe ihre urſprüngliche Ent¬ ſtehung aus Beinen verraten. Ja, aus Beinen! Oberkiefer wie Unterkiefer ſolcher Spinne ſind eigentlich nichts, als je ein Paar kleine Beinchen, die vorne am Kopfe nächſt der Mundöffnung ebenſo ſitzen, wie etwas weiter hinten die vier Paare gewöhnlich ſo genannter echter Spinnenbeine. Du mußt dir folgendes denken. Die Spinne, wie alle höheren Gliedertiere, ſtammt geſchichtlich von gewiſſen wurmähnlichen Geſchöpfen ab, deren ganzer Leib mit Einſchluß auch des Kopfes in geringelte, „eingekerbte“ Teile zerfiel — und an jedem dieſer Ringelteile ſaß je ein Paar Beine. Noch der Tauſendfuß ſpiegelt dir dieſe Stufe ſehr treu, obwohl er ſchon kein Wurm mehr iſt, ſondern bereits unſeren Spinnen ziemlich nahe ſteht, ja vielleicht direkt ihr Ahne iſt. Beim höheren Gliedertiere wie der Spinne iſt dieſer lange Wurmleib nun ſo zu ſagen eng zuſammengedrängt worden. Gerade die Spinne ſelbſt beſitzt nicht einmal mehr Kopf und Bruſt getrennt, ſondern alles iſt ihr ſelbſt hier in eins zu¬ ſammengewachſen und nur zwiſchen dieſer „Kopfbruſt“ und dem

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Zitationshilfe: Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 1. Florenz u. a., 1898, S. 333. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boelsche_liebesleben01_1898/349>, abgerufen am 22.11.2024.