Aus den Wassern brausen mit dumpfem, weithin hallendem Geräusch mehrere Meter hohe Dampffontänen, als siedeten Geiser im verborgenen Schlund: der gigantische Finnwal kommt, ein Koloß bis zu dreißig Metern an Länge. Er klappt mechanisch bloß den bodenlosen Rachen auf, und mit dem wild ein¬ strömenden Gewässer stürzen hunderte liebesentflammter Häringe mit hinein, die dann die enorme fleischige Zunge langsam am harten Gaumen des zahnlosen Mundes zerreibt, bis sie schluck¬ gerecht sind. Dem Finnwal folgen kleinere Seesäugetiere, lustige Delphine und Seehunde, dann ein nicht minder vernichtungs¬ frohes Heer echter Fische, wie Schellfische, Kabeljaue und Dorsche, auch Haie, deren entsetzliches Gebiß den weichen Häring wie Butter zermalmt. Von oben her aber, aus den Nebelwolken des Dämmerabends fallen geflügelte Scharen mordgieriger Möwen, Alke und Lummen in unablässigem Angriff ein und reißen mit hartem Schnabel Stück um Stück von dem lebendigen Silberschilde wie gierige Schatzgräber von einer jäherschlossenen Erzader los.
Und da endlich naht auch noch der gefährlichste Jäger, der Mensch. Durch den Nebel rudert es, Boot um Boot, die Häringsfischer mit ihren Netzen. Sie brechen unentwegt ein in den dichtesten Hochzeitsschwarm. Das Boot wird eingeklemmt im Gedränge, emporgehoben auf Momente aus der See durch die Wucht der Milliarden, -- ein Ruder, in die Masse der Fische eingestoßen, wird fortgerissen und eine Weile aufrecht im kompakten Zuge mitgeführt. Die Maschen der Netze über¬ ziehen sich mit dickem, hemmendem Schleim: sie sind in das Meer von frei schwimmendem Samen hineingeraten. Gleich darauf brechen sie fast unter der Last der Fische selbst. Aber umsonst ist aller Versuch der wehrlosen Geschöpfe, durch die Wucht ihrer Millionenzahl allein den Gegner zu entwaffnen. Mit Schaufeln werden die Häringe inmitten all ihrer Wollust unmittelbar von der Oberfläche ab ins Boot geworfen. Dann sperren Netze ganze Teile des Schwarmes in schmale Fjord¬ arme ab. Hekatomben fallen dort in den sicheren Tod.
Aus den Waſſern brauſen mit dumpfem, weithin hallendem Geräuſch mehrere Meter hohe Dampffontänen, als ſiedeten Geiſer im verborgenen Schlund: der gigantiſche Finnwal kommt, ein Koloß bis zu dreißig Metern an Länge. Er klappt mechaniſch bloß den bodenloſen Rachen auf, und mit dem wild ein¬ ſtrömenden Gewäſſer ſtürzen hunderte liebesentflammter Häringe mit hinein, die dann die enorme fleiſchige Zunge langſam am harten Gaumen des zahnloſen Mundes zerreibt, bis ſie ſchluck¬ gerecht ſind. Dem Finnwal folgen kleinere Seeſäugetiere, luſtige Delphine und Seehunde, dann ein nicht minder vernichtungs¬ frohes Heer echter Fiſche, wie Schellfiſche, Kabeljaue und Dorſche, auch Haie, deren entſetzliches Gebiß den weichen Häring wie Butter zermalmt. Von oben her aber, aus den Nebelwolken des Dämmerabends fallen geflügelte Scharen mordgieriger Möwen, Alke und Lummen in unabläſſigem Angriff ein und reißen mit hartem Schnabel Stück um Stück von dem lebendigen Silberſchilde wie gierige Schatzgräber von einer jäherſchloſſenen Erzader los.
Und da endlich naht auch noch der gefährlichſte Jäger, der Menſch. Durch den Nebel rudert es, Boot um Boot, die Häringsfiſcher mit ihren Netzen. Sie brechen unentwegt ein in den dichteſten Hochzeitsſchwarm. Das Boot wird eingeklemmt im Gedränge, emporgehoben auf Momente aus der See durch die Wucht der Milliarden, — ein Ruder, in die Maſſe der Fiſche eingeſtoßen, wird fortgeriſſen und eine Weile aufrecht im kompakten Zuge mitgeführt. Die Maſchen der Netze über¬ ziehen ſich mit dickem, hemmendem Schleim: ſie ſind in das Meer von frei ſchwimmendem Samen hineingeraten. Gleich darauf brechen ſie faſt unter der Laſt der Fiſche ſelbſt. Aber umſonſt iſt aller Verſuch der wehrloſen Geſchöpfe, durch die Wucht ihrer Millionenzahl allein den Gegner zu entwaffnen. Mit Schaufeln werden die Häringe inmitten all ihrer Wolluſt unmittelbar von der Oberfläche ab ins Boot geworfen. Dann ſperren Netze ganze Teile des Schwarmes in ſchmale Fjord¬ arme ab. Hekatomben fallen dort in den ſicheren Tod.
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Aus den Waſſern brauſen mit dumpfem, weithin hallendem
Geräuſch mehrere Meter hohe Dampffontänen, als ſiedeten
Geiſer im verborgenen Schlund: der gigantiſche Finnwal kommt,
ein Koloß bis zu dreißig Metern an Länge. Er klappt mechaniſch
bloß den bodenloſen Rachen auf, und mit dem wild ein¬
ſtrömenden Gewäſſer ſtürzen hunderte liebesentflammter Häringe
mit hinein, die dann die enorme fleiſchige Zunge langſam am
harten Gaumen des zahnloſen Mundes zerreibt, bis ſie ſchluck¬
gerecht ſind. Dem Finnwal folgen kleinere Seeſäugetiere, luſtige
Delphine und Seehunde, dann ein nicht minder vernichtungs¬
frohes Heer echter Fiſche, wie Schellfiſche, Kabeljaue und Dorſche,
auch Haie, deren entſetzliches Gebiß den weichen Häring wie
Butter zermalmt. Von oben her aber, aus den Nebelwolken des
Dämmerabends fallen geflügelte Scharen mordgieriger Möwen,
Alke und Lummen in unabläſſigem Angriff ein und reißen mit
hartem Schnabel Stück um Stück von dem lebendigen Silberſchilde
wie gierige Schatzgräber von einer jäherſchloſſenen Erzader los.
Und da endlich naht auch noch der gefährlichſte Jäger,
der Menſch. Durch den Nebel rudert es, Boot um Boot, die
Häringsfiſcher mit ihren Netzen. Sie brechen unentwegt ein
in den dichteſten Hochzeitsſchwarm. Das Boot wird eingeklemmt
im Gedränge, emporgehoben auf Momente aus der See durch
die Wucht der Milliarden, — ein Ruder, in die Maſſe der
Fiſche eingeſtoßen, wird fortgeriſſen und eine Weile aufrecht
im kompakten Zuge mitgeführt. Die Maſchen der Netze über¬
ziehen ſich mit dickem, hemmendem Schleim: ſie ſind in das
Meer von frei ſchwimmendem Samen hineingeraten. Gleich
darauf brechen ſie faſt unter der Laſt der Fiſche ſelbſt. Aber
umſonſt iſt aller Verſuch der wehrloſen Geſchöpfe, durch die
Wucht ihrer Millionenzahl allein den Gegner zu entwaffnen.
Mit Schaufeln werden die Häringe inmitten all ihrer Wolluſt
unmittelbar von der Oberfläche ab ins Boot geworfen. Dann
ſperren Netze ganze Teile des Schwarmes in ſchmale Fjord¬
arme ab. Hekatomben fallen dort in den ſicheren Tod.
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Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 1. Florenz u. a., 1898, S. 21. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boelsche_liebesleben01_1898/37>, abgerufen am 21.11.2024.
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