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Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 1. Florenz u. a., 1898.

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klärt. Gerettet ins Höchst-Menschliche. Aber in der Ehe zu¬
gleich die Axt gelegt an die alte Unheilwurzel: die Vergewalti¬
gung der einen Geschlechtsindividualität. Rettung der Ehe.
Aber zugleich absolute Rettung der Individualität des Weibes
als Mensch neben Mensch.

Aus der Spinne, die den Mann frißt, und dem Stich¬
ling, dem das Weib eine feile Zigeunerin ist, die Ehe zwischen
Mensch und Mensch, -- nicht erbaut auf irgend welchen klein¬
lichen Satzungen einer vergänglichen Zeitmoral, sondern auf
einem ungeheuren Nützlichkeitsmoment, einer idealen Schutz¬
genossenschaft, -- aber erbaut mit einer unerläßlichen Klausel,
deren geringste Verschiebung alles ins Verderben stürzt: der
absoluten inneren Freiheit beider Individuen als solcher, --
Mann wie Weib. Du weißt, in welche Kette der Verwickelung
das noch heute führt. Noch ist der uralte Konflikt in uns
nicht rein gelöst. Noch schwebt die wahre Ehe, anstatt eine
uralt geheiligte Tradition zu sein, die man bloß zu "glauben"
braucht, um sie zu besitzen, zum großen Teil als wahrer
Zukunftsstern erst über uns. Vorwärts mußt du blicken, um
sie zu fassen, nicht zurück. Gerade heute umrauscht dich wieder
eine besonders hohe Sturzwelle des Gegensatzes, der nun schon
über Jahrmillionen tief vom Tier heraufkommt, -- der viel
älter ist als du als Mensch überhaupt.

Aus einer Geschichtsepoche, die das Weib wieder einmal
stärker zu vergewaltigen, herabzudrücken suchte, wächst unter
deinen Augen die Reaktion der Individualfreiheit, der Forde¬
rung einer solchen Freiheit wieder einmal turmhoch. Sie
droht die ganze Ehe zu verschlingen. Aber der Schwall wird
verrauschen, die Gegensätze werden sich abermals ins Gleich¬
gewicht stellen. Eine Zeit wird kommen und diese Dinge
vollenden, der bist du von heute wieder mir Diplozoon und
Syngamus, Bonellia und Wurzelkrebs, Spinne und Stachelinsky.
Verachte darum diese alten Kämpfer nicht. Lerne von ihnen.
Verhülle dir die Augen nicht, als sei es ein alter Wahnsinn

klärt. Gerettet ins Höchſt-Menſchliche. Aber in der Ehe zu¬
gleich die Axt gelegt an die alte Unheilwurzel: die Vergewalti¬
gung der einen Geſchlechtsindividualität. Rettung der Ehe.
Aber zugleich abſolute Rettung der Individualität des Weibes
als Menſch neben Menſch.

Aus der Spinne, die den Mann frißt, und dem Stich¬
ling, dem das Weib eine feile Zigeunerin iſt, die Ehe zwiſchen
Menſch und Menſch, — nicht erbaut auf irgend welchen klein¬
lichen Satzungen einer vergänglichen Zeitmoral, ſondern auf
einem ungeheuren Nützlichkeitsmoment, einer idealen Schutz¬
genoſſenſchaft, — aber erbaut mit einer unerläßlichen Klauſel,
deren geringſte Verſchiebung alles ins Verderben ſtürzt: der
abſoluten inneren Freiheit beider Individuen als ſolcher, —
Mann wie Weib. Du weißt, in welche Kette der Verwickelung
das noch heute führt. Noch iſt der uralte Konflikt in uns
nicht rein gelöſt. Noch ſchwebt die wahre Ehe, anſtatt eine
uralt geheiligte Tradition zu ſein, die man bloß zu „glauben“
braucht, um ſie zu beſitzen, zum großen Teil als wahrer
Zukunftsſtern erſt über uns. Vorwärts mußt du blicken, um
ſie zu faſſen, nicht zurück. Gerade heute umrauſcht dich wieder
eine beſonders hohe Sturzwelle des Gegenſatzes, der nun ſchon
über Jahrmillionen tief vom Tier heraufkommt, — der viel
älter iſt als du als Menſch überhaupt.

Aus einer Geſchichtsepoche, die das Weib wieder einmal
ſtärker zu vergewaltigen, herabzudrücken ſuchte, wächſt unter
deinen Augen die Reaktion der Individualfreiheit, der Forde¬
rung einer ſolchen Freiheit wieder einmal turmhoch. Sie
droht die ganze Ehe zu verſchlingen. Aber der Schwall wird
verrauſchen, die Gegenſätze werden ſich abermals ins Gleich¬
gewicht ſtellen. Eine Zeit wird kommen und dieſe Dinge
vollenden, der biſt du von heute wieder mir Diplozoon und
Syngamus, Bonellia und Wurzelkrebs, Spinne und Stachelinsky.
Verachte darum dieſe alten Kämpfer nicht. Lerne von ihnen.
Verhülle dir die Augen nicht, als ſei es ein alter Wahnſinn

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[356/0372] klärt. Gerettet ins Höchſt-Menſchliche. Aber in der Ehe zu¬ gleich die Axt gelegt an die alte Unheilwurzel: die Vergewalti¬ gung der einen Geſchlechtsindividualität. Rettung der Ehe. Aber zugleich abſolute Rettung der Individualität des Weibes als Menſch neben Menſch. Aus der Spinne, die den Mann frißt, und dem Stich¬ ling, dem das Weib eine feile Zigeunerin iſt, die Ehe zwiſchen Menſch und Menſch, — nicht erbaut auf irgend welchen klein¬ lichen Satzungen einer vergänglichen Zeitmoral, ſondern auf einem ungeheuren Nützlichkeitsmoment, einer idealen Schutz¬ genoſſenſchaft, — aber erbaut mit einer unerläßlichen Klauſel, deren geringſte Verſchiebung alles ins Verderben ſtürzt: der abſoluten inneren Freiheit beider Individuen als ſolcher, — Mann wie Weib. Du weißt, in welche Kette der Verwickelung das noch heute führt. Noch iſt der uralte Konflikt in uns nicht rein gelöſt. Noch ſchwebt die wahre Ehe, anſtatt eine uralt geheiligte Tradition zu ſein, die man bloß zu „glauben“ braucht, um ſie zu beſitzen, zum großen Teil als wahrer Zukunftsſtern erſt über uns. Vorwärts mußt du blicken, um ſie zu faſſen, nicht zurück. Gerade heute umrauſcht dich wieder eine beſonders hohe Sturzwelle des Gegenſatzes, der nun ſchon über Jahrmillionen tief vom Tier heraufkommt, — der viel älter iſt als du als Menſch überhaupt. Aus einer Geſchichtsepoche, die das Weib wieder einmal ſtärker zu vergewaltigen, herabzudrücken ſuchte, wächſt unter deinen Augen die Reaktion der Individualfreiheit, der Forde¬ rung einer ſolchen Freiheit wieder einmal turmhoch. Sie droht die ganze Ehe zu verſchlingen. Aber der Schwall wird verrauſchen, die Gegenſätze werden ſich abermals ins Gleich¬ gewicht ſtellen. Eine Zeit wird kommen und dieſe Dinge vollenden, der biſt du von heute wieder mir Diplozoon und Syngamus, Bonellia und Wurzelkrebs, Spinne und Stachelinsky. Verachte darum dieſe alten Kämpfer nicht. Lerne von ihnen. Verhülle dir die Augen nicht, als ſei es ein alter Wahnſinn

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Zitationshilfe: Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 1. Florenz u. a., 1898, S. 356. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boelsche_liebesleben01_1898/372>, abgerufen am 21.11.2024.