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Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 1. Florenz u. a., 1898.

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was ich dir bisher aus dem Reich der Liebe erzählt habe, ein
Kinderspiel. Selbst der Bandwurm kommt nicht dagegen an.
Es ist schlechtweg einzig. Und wenn unser Planet nichts
darüber hinaus mehr erzeugt hätte -- keinen Menschen, kein
Menschenparadies und keinen Menschenwahnsinn: er wäre ge¬
zeichnet als ein Wunderplanet, der einen Gipfel erreicht hätte.
Also die Vestalin kriecht in den Korb. In diesem künst¬
lichen Hause leben viele Tausende von Bienen in engster Ge¬
meinschaft. Gäbe ihnen der Mensch das Haus nicht, so müßten
sie sich mit einem hohlen Baum oder ähnlichem behelfen.
Aber der Mensch giebt es ihnen thatsächlich seit Jahrtausenden
so konsequent, daß die freie Siedelung so gut wie überhaupt
nicht mehr in Betracht kommt. Aber freilich: was die Biene
in diesem künstlichen Hause treibt, das ist in jedem Zuge dann
ebenso konsequent auch wieder nur ihr eigenstes Werk. Und
nur bedingt darfst du sie ein "Haustier" nennen. Den Hund,
der ihm treu dient und im Verstande geweckt scheint für alle
möglichen Menschenzwecke, hat der Mensch in gewissem Sinne
wirklich "gemacht". Die Biene hat er gehegt, aber nicht
innerlich beeinflussen können. Kein Zweifel, daß sie ihm in
ihrem tollen Liebesmärchen und Staatsversuch eine uralte zähe
Tradition bietet, die als solche auf seine paar menschlichen
Kulturjahrtausende herabsieht wie auf ein winzigstes Zeitstäubchen.
Er ist Planetenjugend, grünste noch. Sie Planetenalter. Seit
der Kreidezeit mindestens (die erst Schnabeltiere und Beuteltiere
und vielleicht igelartige Insektenfresser, aber noch keine Affen und
Menschen sah) bestehen jene Blütenpflanzen, die des Insekten¬
besuches zur Befruchtung bedürfen. So lange mag es auch Bienen
auf der Erde geben. Sicher lebten sie schon in der Tertiärzeit,
als der Mensch noch als Menschenaffe kletterte. So ungeheuer
kann also auch die Tradition ihrer Gebräuche sein. Was sind
dagegen Menschenstaaten, -- die paar Jahrtausende, die Perse¬
polis und Palmyra in die Wüstenöde gestürzt und Athen und
Rom in archäologische Museen verwandelt haben .....?

was ich dir bisher aus dem Reich der Liebe erzählt habe, ein
Kinderſpiel. Selbſt der Bandwurm kommt nicht dagegen an.
Es iſt ſchlechtweg einzig. Und wenn unſer Planet nichts
darüber hinaus mehr erzeugt hätte — keinen Menſchen, kein
Menſchenparadies und keinen Menſchenwahnſinn: er wäre ge¬
zeichnet als ein Wunderplanet, der einen Gipfel erreicht hätte.
Alſo die Veſtalin kriecht in den Korb. In dieſem künſt¬
lichen Hauſe leben viele Tauſende von Bienen in engſter Ge¬
meinſchaft. Gäbe ihnen der Menſch das Haus nicht, ſo müßten
ſie ſich mit einem hohlen Baum oder ähnlichem behelfen.
Aber der Menſch giebt es ihnen thatſächlich ſeit Jahrtauſenden
ſo konſequent, daß die freie Siedelung ſo gut wie überhaupt
nicht mehr in Betracht kommt. Aber freilich: was die Biene
in dieſem künſtlichen Hauſe treibt, das iſt in jedem Zuge dann
ebenſo konſequent auch wieder nur ihr eigenſtes Werk. Und
nur bedingt darfſt du ſie ein „Haustier“ nennen. Den Hund,
der ihm treu dient und im Verſtande geweckt ſcheint für alle
möglichen Menſchenzwecke, hat der Menſch in gewiſſem Sinne
wirklich „gemacht“. Die Biene hat er gehegt, aber nicht
innerlich beeinfluſſen können. Kein Zweifel, daß ſie ihm in
ihrem tollen Liebesmärchen und Staatsverſuch eine uralte zähe
Tradition bietet, die als ſolche auf ſeine paar menſchlichen
Kulturjahrtauſende herabſieht wie auf ein winzigſtes Zeitſtäubchen.
Er iſt Planetenjugend, grünſte noch. Sie Planetenalter. Seit
der Kreidezeit mindeſtens (die erſt Schnabeltiere und Beuteltiere
und vielleicht igelartige Inſektenfreſſer, aber noch keine Affen und
Menſchen ſah) beſtehen jene Blütenpflanzen, die des Inſekten¬
beſuches zur Befruchtung bedürfen. So lange mag es auch Bienen
auf der Erde geben. Sicher lebten ſie ſchon in der Tertiärzeit,
als der Menſch noch als Menſchenaffe kletterte. So ungeheuer
kann alſo auch die Tradition ihrer Gebräuche ſein. Was ſind
dagegen Menſchenſtaaten, — die paar Jahrtauſende, die Perſe¬
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Rom in archäologiſche Muſeen verwandelt haben .....?

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[367/0383] was ich dir bisher aus dem Reich der Liebe erzählt habe, ein Kinderſpiel. Selbſt der Bandwurm kommt nicht dagegen an. Es iſt ſchlechtweg einzig. Und wenn unſer Planet nichts darüber hinaus mehr erzeugt hätte — keinen Menſchen, kein Menſchenparadies und keinen Menſchenwahnſinn: er wäre ge¬ zeichnet als ein Wunderplanet, der einen Gipfel erreicht hätte. Alſo die Veſtalin kriecht in den Korb. In dieſem künſt¬ lichen Hauſe leben viele Tauſende von Bienen in engſter Ge¬ meinſchaft. Gäbe ihnen der Menſch das Haus nicht, ſo müßten ſie ſich mit einem hohlen Baum oder ähnlichem behelfen. Aber der Menſch giebt es ihnen thatſächlich ſeit Jahrtauſenden ſo konſequent, daß die freie Siedelung ſo gut wie überhaupt nicht mehr in Betracht kommt. Aber freilich: was die Biene in dieſem künſtlichen Hauſe treibt, das iſt in jedem Zuge dann ebenſo konſequent auch wieder nur ihr eigenſtes Werk. Und nur bedingt darfſt du ſie ein „Haustier“ nennen. Den Hund, der ihm treu dient und im Verſtande geweckt ſcheint für alle möglichen Menſchenzwecke, hat der Menſch in gewiſſem Sinne wirklich „gemacht“. Die Biene hat er gehegt, aber nicht innerlich beeinfluſſen können. Kein Zweifel, daß ſie ihm in ihrem tollen Liebesmärchen und Staatsverſuch eine uralte zähe Tradition bietet, die als ſolche auf ſeine paar menſchlichen Kulturjahrtauſende herabſieht wie auf ein winzigſtes Zeitſtäubchen. Er iſt Planetenjugend, grünſte noch. Sie Planetenalter. Seit der Kreidezeit mindeſtens (die erſt Schnabeltiere und Beuteltiere und vielleicht igelartige Inſektenfreſſer, aber noch keine Affen und Menſchen ſah) beſtehen jene Blütenpflanzen, die des Inſekten¬ beſuches zur Befruchtung bedürfen. So lange mag es auch Bienen auf der Erde geben. Sicher lebten ſie ſchon in der Tertiärzeit, als der Menſch noch als Menſchenaffe kletterte. So ungeheuer kann alſo auch die Tradition ihrer Gebräuche ſein. Was ſind dagegen Menſchenſtaaten, — die paar Jahrtauſende, die Perſe¬ polis und Palmyra in die Wüſtenöde geſtürzt und Athen und Rom in archäologiſche Muſeen verwandelt haben .....?

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Zitationshilfe: Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 1. Florenz u. a., 1898, S. 367. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boelsche_liebesleben01_1898/383>, abgerufen am 22.11.2024.