liefern kann. Und abermals wird es Winter, abermals über¬ wintert sie mit einem Schlußrest lebenszähester Vestalinnen. Abermals aber im Frühjahr -- dem dritten also ihres Lebens -- reicht auch in ihr jene parthenogenetische Kraft, die "Jungfern¬ zeugung", -- also ein Prinzip, das schon bei ihrer eigenen Erzeugung von den Eltern in sie gepflanzt wurde -- aus, um jetzt unbefruchtete Drohnen zu erzeugen. Und abermals in demselben Frühjahr reicht wieder ihre Samentasche aus, um daneben eine oder mehrere echte befruchtete Königinnen hervor¬ zubringen. Abermals infolge dessen Auszug eines "Weihe¬ frühlings": die uralte Königin zum zweitenmal an der Spitze eines Trupps exilierter Vestalinnen.
Zum drittenmal, über ein drittes Jahr weg, wiederholt sich jetzt der ganze Hergang. Wohl wird die Kraft der Patri¬ archin ersichtlich etwas geringer. Sechzigtausend Eier wie im ersten Jahre legt sie jetzt doch nicht mehr. Aber legen thut sie unentwegt. Und das dritte Jahr geht auch herum: zum vierten¬ mal beginnt der Kreislauf! Bedenke: du hast ein Insekten¬ individuum vor dir, das im Verhältnis zu der Mehrzahl seines Geschlechts, den nur sechs Wochen lang lebenden Sommer¬ vestalinnen, jetzt schon ein Alter repräsentiert wie ein Mensch, der etwa das Sechsundzwanzigfache eines Durchschnittsalters von dreißig Jahren erreicht hätte: ein Patriarchenalter von fast achthundert Jahren!
In diesem Individuum lebt während dieser ganzen riesen¬ haften Lebensdauer erstens das von den Eltern bei der Be¬ gattung, wie es scheint, sofort mitübertragene Vermögen, durch reine "Jungfernzeugung" neue Bienen und zwar stets männliche (Drohnen) aus sich zu erzeugen. Solcher frei gezeugten Drohnen wird es jetzt im vierten Jahre bereits die dritte Generation über¬ leben. Und es lebt zweitens in ihm von einer ersten eigenen Begattung im ersten Frühling seines ersten Jahres her das weitere Vermögen, befruchtete und zwar stets in diesem Falle weibliche Bienen, Vestalinnen und Königinnen, zu erzeugen.
liefern kann. Und abermals wird es Winter, abermals über¬ wintert ſie mit einem Schlußreſt lebenszäheſter Veſtalinnen. Abermals aber im Frühjahr — dem dritten alſo ihres Lebens — reicht auch in ihr jene parthenogenetiſche Kraft, die „Jungfern¬ zeugung“, — alſo ein Prinzip, das ſchon bei ihrer eigenen Erzeugung von den Eltern in ſie gepflanzt wurde — aus, um jetzt unbefruchtete Drohnen zu erzeugen. Und abermals in demſelben Frühjahr reicht wieder ihre Samentaſche aus, um daneben eine oder mehrere echte befruchtete Königinnen hervor¬ zubringen. Abermals infolge deſſen Auszug eines „Weihe¬ frühlings“: die uralte Königin zum zweitenmal an der Spitze eines Trupps exilierter Veſtalinnen.
Zum drittenmal, über ein drittes Jahr weg, wiederholt ſich jetzt der ganze Hergang. Wohl wird die Kraft der Patri¬ archin erſichtlich etwas geringer. Sechzigtauſend Eier wie im erſten Jahre legt ſie jetzt doch nicht mehr. Aber legen thut ſie unentwegt. Und das dritte Jahr geht auch herum: zum vierten¬ mal beginnt der Kreislauf! Bedenke: du haſt ein Inſekten¬ individuum vor dir, das im Verhältnis zu der Mehrzahl ſeines Geſchlechts, den nur ſechs Wochen lang lebenden Sommer¬ veſtalinnen, jetzt ſchon ein Alter repräſentiert wie ein Menſch, der etwa das Sechsundzwanzigfache eines Durchſchnittsalters von dreißig Jahren erreicht hätte: ein Patriarchenalter von faſt achthundert Jahren!
In dieſem Individuum lebt während dieſer ganzen rieſen¬ haften Lebensdauer erſtens das von den Eltern bei der Be¬ gattung, wie es ſcheint, ſofort mitübertragene Vermögen, durch reine „Jungfernzeugung“ neue Bienen und zwar ſtets männliche (Drohnen) aus ſich zu erzeugen. Solcher frei gezeugten Drohnen wird es jetzt im vierten Jahre bereits die dritte Generation über¬ leben. Und es lebt zweitens in ihm von einer erſten eigenen Begattung im erſten Frühling ſeines erſten Jahres her das weitere Vermögen, befruchtete und zwar ſtets in dieſem Falle weibliche Bienen, Veſtalinnen und Königinnen, zu erzeugen.
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liefern kann. Und abermals wird es Winter, abermals über¬
wintert ſie mit einem Schlußreſt lebenszäheſter Veſtalinnen.
Abermals aber im Frühjahr — dem dritten alſo ihres Lebens
— reicht auch in ihr jene parthenogenetiſche Kraft, die „Jungfern¬
zeugung“, — alſo ein Prinzip, das ſchon bei ihrer eigenen
Erzeugung von den Eltern in ſie gepflanzt wurde — aus, um
jetzt unbefruchtete Drohnen zu erzeugen. Und abermals in
demſelben Frühjahr reicht wieder ihre Samentaſche aus, um
daneben eine oder mehrere echte befruchtete Königinnen hervor¬
zubringen. Abermals infolge deſſen Auszug eines „Weihe¬
frühlings“: die uralte Königin zum zweitenmal an der Spitze
eines Trupps exilierter Veſtalinnen.
Zum drittenmal, über ein drittes Jahr weg, wiederholt
ſich jetzt der ganze Hergang. Wohl wird die Kraft der Patri¬
archin erſichtlich etwas geringer. Sechzigtauſend Eier wie im
erſten Jahre legt ſie jetzt doch nicht mehr. Aber legen thut ſie
unentwegt. Und das dritte Jahr geht auch herum: zum vierten¬
mal beginnt der Kreislauf! Bedenke: du haſt ein Inſekten¬
individuum vor dir, das im Verhältnis zu der Mehrzahl
ſeines Geſchlechts, den nur ſechs Wochen lang lebenden Sommer¬
veſtalinnen, jetzt ſchon ein Alter repräſentiert wie ein Menſch,
der etwa das Sechsundzwanzigfache eines Durchſchnittsalters
von dreißig Jahren erreicht hätte: ein Patriarchenalter von faſt
achthundert Jahren!
In dieſem Individuum lebt während dieſer ganzen rieſen¬
haften Lebensdauer erſtens das von den Eltern bei der Be¬
gattung, wie es ſcheint, ſofort mitübertragene Vermögen, durch
reine „Jungfernzeugung“ neue Bienen und zwar ſtets männliche
(Drohnen) aus ſich zu erzeugen. Solcher frei gezeugten Drohnen
wird es jetzt im vierten Jahre bereits die dritte Generation über¬
leben. Und es lebt zweitens in ihm von einer erſten eigenen
Begattung im erſten Frühling ſeines erſten Jahres her das
weitere Vermögen, befruchtete und zwar ſtets in dieſem Falle
weibliche Bienen, Veſtalinnen und Königinnen, zu erzeugen.
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Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 1. Florenz u. a., 1898, S. 389. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boelsche_liebesleben01_1898/405>, abgerufen am 23.11.2024.
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