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Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 1. Florenz u. a., 1898.

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menschlichen, bloß ins vollkommenste Ideal erhöhten Form, die
der Meister uns giebt, dabei nicht gleich des religiösen
Mysteriums zu gedenken, mit dem das Dogma einer be¬
stimmten Welle des Christentums gerade die Entstehung dieses
Kindes -- als des Jesuskindes -- umgeben und aus dem
allgemein Menschlichen vollkommen herausgerückt hat. Dem
schlichten Blick, den diese Probleme nicht berühren, erscheint
bloß in wundervoller Verklärung die Mutter. Und es lag
in jenem Mysterium der "unbefleckten Empfängnis" nur
etwas, was dem Maler ermöglichte, den Typus der Mutter,
des vollendeten Weibes, leise, fast unmerklich diskret zu ver¬
mischen mit dem zartesten Zauber unberührter Jungfräulich¬
keit. Die Maria des Bildes als Menschenweib genommen
wird dadurch reicher als eine gewöhnliche Mutter ..... in
der einen Gestalt drängt sich gleichsam eine ganze Reihe von
Momenten zusammen: die ganze Geschichte des Weibes als
Individuum.

Durch das schmeichelnde Blau dieses Gewandes ahnt der
Blick den Leib, der das Kind getragen. Das weiße Tuch über
dem roten Mieder hüllt schamhaft die Brust, die ihm die erste
Nahrung bot. Alle diese Akte innigster Verknüpfung von
Mutter und Kind deuten, rein menschlich genommen, nicht auf
Überweltliches, aber sie deuten innerhalb des Menschen und
seiner Geschichte zunächst ebenso wie die Zweigeschlechtlichkeit
noch über ihn hinaus. Zurück in die Tierheit, aus der er
kam. Bloß daß die Anfangsstelle jetzt schon wesentlich näher
liegt. Was weiß die Lotosblume von diesen Vorgängen, --
ihre Frucht fliegt über die Wasser hinaus, sucht sich ihre Stelle
und wuchert als fremde Pflanze auf. Was soll die Eintags¬
fliege davon kennen, die fast im Augenblick stirbt, da sie
Mutter ward ..... Erst die höchste Entwickelung im Bereich
der Wirbeltiere eilt hier konsequent auf ein festes Ziel. Von
den leuchtenden Farben der Madonna wandert dein Blick fern
hinaus in das wilde Sumpfdickicht Australiens. Dort birgt

menſchlichen, bloß ins vollkommenſte Ideal erhöhten Form, die
der Meiſter uns giebt, dabei nicht gleich des religiöſen
Myſteriums zu gedenken, mit dem das Dogma einer be¬
ſtimmten Welle des Chriſtentums gerade die Entſtehung dieſes
Kindes — als des Jeſuskindes — umgeben und aus dem
allgemein Menſchlichen vollkommen herausgerückt hat. Dem
ſchlichten Blick, den dieſe Probleme nicht berühren, erſcheint
bloß in wundervoller Verklärung die Mutter. Und es lag
in jenem Myſterium der „unbefleckten Empfängnis“ nur
etwas, was dem Maler ermöglichte, den Typus der Mutter,
des vollendeten Weibes, leiſe, faſt unmerklich diskret zu ver¬
miſchen mit dem zarteſten Zauber unberührter Jungfräulich¬
keit. Die Maria des Bildes als Menſchenweib genommen
wird dadurch reicher als eine gewöhnliche Mutter ..... in
der einen Geſtalt drängt ſich gleichſam eine ganze Reihe von
Momenten zuſammen: die ganze Geſchichte des Weibes als
Individuum.

Durch das ſchmeichelnde Blau dieſes Gewandes ahnt der
Blick den Leib, der das Kind getragen. Das weiße Tuch über
dem roten Mieder hüllt ſchamhaft die Bruſt, die ihm die erſte
Nahrung bot. Alle dieſe Akte innigſter Verknüpfung von
Mutter und Kind deuten, rein menſchlich genommen, nicht auf
Überweltliches, aber ſie deuten innerhalb des Menſchen und
ſeiner Geſchichte zunächſt ebenſo wie die Zweigeſchlechtlichkeit
noch über ihn hinaus. Zurück in die Tierheit, aus der er
kam. Bloß daß die Anfangsſtelle jetzt ſchon weſentlich näher
liegt. Was weiß die Lotosblume von dieſen Vorgängen, —
ihre Frucht fliegt über die Waſſer hinaus, ſucht ſich ihre Stelle
und wuchert als fremde Pflanze auf. Was ſoll die Eintags¬
fliege davon kennen, die faſt im Augenblick ſtirbt, da ſie
Mutter ward ..... Erſt die höchſte Entwickelung im Bereich
der Wirbeltiere eilt hier konſequent auf ein feſtes Ziel. Von
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hinaus in das wilde Sumpfdickicht Auſtraliens. Dort birgt

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[27/0043] menſchlichen, bloß ins vollkommenſte Ideal erhöhten Form, die der Meiſter uns giebt, dabei nicht gleich des religiöſen Myſteriums zu gedenken, mit dem das Dogma einer be¬ ſtimmten Welle des Chriſtentums gerade die Entſtehung dieſes Kindes — als des Jeſuskindes — umgeben und aus dem allgemein Menſchlichen vollkommen herausgerückt hat. Dem ſchlichten Blick, den dieſe Probleme nicht berühren, erſcheint bloß in wundervoller Verklärung die Mutter. Und es lag in jenem Myſterium der „unbefleckten Empfängnis“ nur etwas, was dem Maler ermöglichte, den Typus der Mutter, des vollendeten Weibes, leiſe, faſt unmerklich diskret zu ver¬ miſchen mit dem zarteſten Zauber unberührter Jungfräulich¬ keit. Die Maria des Bildes als Menſchenweib genommen wird dadurch reicher als eine gewöhnliche Mutter ..... in der einen Geſtalt drängt ſich gleichſam eine ganze Reihe von Momenten zuſammen: die ganze Geſchichte des Weibes als Individuum. Durch das ſchmeichelnde Blau dieſes Gewandes ahnt der Blick den Leib, der das Kind getragen. Das weiße Tuch über dem roten Mieder hüllt ſchamhaft die Bruſt, die ihm die erſte Nahrung bot. Alle dieſe Akte innigſter Verknüpfung von Mutter und Kind deuten, rein menſchlich genommen, nicht auf Überweltliches, aber ſie deuten innerhalb des Menſchen und ſeiner Geſchichte zunächſt ebenſo wie die Zweigeſchlechtlichkeit noch über ihn hinaus. Zurück in die Tierheit, aus der er kam. Bloß daß die Anfangsſtelle jetzt ſchon weſentlich näher liegt. Was weiß die Lotosblume von dieſen Vorgängen, — ihre Frucht fliegt über die Waſſer hinaus, ſucht ſich ihre Stelle und wuchert als fremde Pflanze auf. Was ſoll die Eintags¬ fliege davon kennen, die faſt im Augenblick ſtirbt, da ſie Mutter ward ..... Erſt die höchſte Entwickelung im Bereich der Wirbeltiere eilt hier konſequent auf ein feſtes Ziel. Von den leuchtenden Farben der Madonna wandert dein Blick fern hinaus in das wilde Sumpfdickicht Auſtraliens. Dort birgt

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Zitationshilfe: Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 1. Florenz u. a., 1898, S. 27. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boelsche_liebesleben01_1898/43>, abgerufen am 23.11.2024.