Da tauchen auf der sonnenerwärmten Erde lebende Wesen auf. Sie empfinden Licht, empfinden Klang. Erst dumpf und matt. Dann erzeugt der Lebenskampf, erzeugt die Entwicke¬ lung ihnen Sinnesorgane von fester Art, Auge und Ohr. Ihr erster Zweck ist Verteidigung. Angstvoll starrt das Tier um sich in die drohende Welt, lauscht auf die Gefahr. Alles ist Angriff um es her. Oder es behauptet sich selbst. Greift an. Dann ist alles Beute, die mit wilder Gier erjagt, zer¬ rissen werden kann. Da auf einmal im Leben des Individuums aber eine Stunde von ganz anderer Wertung. Die Liebe. Das Tier sucht ein anderes seiner Art. Sucht es nicht als Feind, sondern mit der Sehnsucht der Liebe. Mit den Augen der Liebe. Das Auge der Liebe, -- es war das erste Auge des Ideals. Und die Kraft der Liebe: sie zeugte die erste "Schönheit" im aktiven Sinne an den Liebenden selbst. Sie malte den Schmetterling, gab dem Vogel sein Hochzeitskleid. Sie komponierte der Nachti¬ gall ihr Lied. Die Liebe war der Spiegel, der zunächst äußer¬ lich alle Harmonie, allen Rhythmus, alle blind angebahnte Schönheit der lebendigen Natur in einen Brennpunkt fing.
Nun aber wuchs der Geist mehr und mehr dazu. Zu dem schauenden Auge draußen trat das innerlich schaffende Auge: die Phantasie. Es kam der Menschengeist. Der Mensch er¬ zeugte sich am Leibe selbst keine bunten Flügel, kein Hochzeits¬ gefieder mehr. Er sah das alles innerlich, als Licht und Harmonie, Sehnsucht und Ideal -- in der Phantasie. Wie er nicht mehr Löwenklauen und Gürteltierpanzer sich am eigenen Leibe zum Schutze wachsen ließ. Sondern im Geiste sann und in der Phantasie das Werkzeug sah. Wie aber seine Hand, weich und bildsam geblieben und ganz nur Schüler noch des Gehirns, diese Werkzeuge dann wirklich formte aus Stein, Horn und Metall, sie in die Wirklichkeit hinein projizierte mit selbst¬ thätig schaffender Kraft und die Technik begründete als Kern aller künftigen Naturbeherrschung: -- so formte er mit der¬ selben Hand, was die Phantasie an rhythmischen Bildern, Sehn¬
Da tauchen auf der ſonnenerwärmten Erde lebende Weſen auf. Sie empfinden Licht, empfinden Klang. Erſt dumpf und matt. Dann erzeugt der Lebenskampf, erzeugt die Entwicke¬ lung ihnen Sinnesorgane von feſter Art, Auge und Ohr. Ihr erſter Zweck iſt Verteidigung. Angſtvoll ſtarrt das Tier um ſich in die drohende Welt, lauſcht auf die Gefahr. Alles iſt Angriff um es her. Oder es behauptet ſich ſelbſt. Greift an. Dann iſt alles Beute, die mit wilder Gier erjagt, zer¬ riſſen werden kann. Da auf einmal im Leben des Individuums aber eine Stunde von ganz anderer Wertung. Die Liebe. Das Tier ſucht ein anderes ſeiner Art. Sucht es nicht als Feind, ſondern mit der Sehnſucht der Liebe. Mit den Augen der Liebe. Das Auge der Liebe, — es war das erſte Auge des Ideals. Und die Kraft der Liebe: ſie zeugte die erſte „Schönheit“ im aktiven Sinne an den Liebenden ſelbſt. Sie malte den Schmetterling, gab dem Vogel ſein Hochzeitskleid. Sie komponierte der Nachti¬ gall ihr Lied. Die Liebe war der Spiegel, der zunächſt äußer¬ lich alle Harmonie, allen Rhythmus, alle blind angebahnte Schönheit der lebendigen Natur in einen Brennpunkt fing.
Nun aber wuchs der Geiſt mehr und mehr dazu. Zu dem ſchauenden Auge draußen trat das innerlich ſchaffende Auge: die Phantaſie. Es kam der Menſchengeiſt. Der Menſch er¬ zeugte ſich am Leibe ſelbſt keine bunten Flügel, kein Hochzeits¬ gefieder mehr. Er ſah das alles innerlich, als Licht und Harmonie, Sehnſucht und Ideal — in der Phantaſie. Wie er nicht mehr Löwenklauen und Gürteltierpanzer ſich am eigenen Leibe zum Schutze wachſen ließ. Sondern im Geiſte ſann und in der Phantaſie das Werkzeug ſah. Wie aber ſeine Hand, weich und bildſam geblieben und ganz nur Schüler noch des Gehirns, dieſe Werkzeuge dann wirklich formte aus Stein, Horn und Metall, ſie in die Wirklichkeit hinein projizierte mit ſelbſt¬ thätig ſchaffender Kraft und die Technik begründete als Kern aller künftigen Naturbeherrſchung: — ſo formte er mit der¬ ſelben Hand, was die Phantaſie an rhythmiſchen Bildern, Sehn¬
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Da tauchen auf der ſonnenerwärmten Erde lebende Weſen
auf. Sie empfinden Licht, empfinden Klang. Erſt dumpf und
matt. Dann erzeugt der Lebenskampf, erzeugt die Entwicke¬
lung ihnen Sinnesorgane von feſter Art, Auge und Ohr.
Ihr erſter Zweck iſt Verteidigung. Angſtvoll ſtarrt das Tier
um ſich in die drohende Welt, lauſcht auf die Gefahr. Alles
iſt Angriff um es her. Oder es behauptet ſich ſelbſt. Greift
an. Dann iſt alles Beute, die mit wilder Gier erjagt, zer¬
riſſen werden kann. Da auf einmal im Leben des Individuums
aber eine Stunde von ganz anderer Wertung. Die Liebe. Das
Tier ſucht ein anderes ſeiner Art. Sucht es nicht als Feind,
ſondern mit der Sehnſucht der Liebe. Mit den Augen der Liebe.
Das Auge der Liebe, — es war das erſte Auge des Ideals. Und
die Kraft der Liebe: ſie zeugte die erſte „Schönheit“ im aktiven
Sinne an den Liebenden ſelbſt. Sie malte den Schmetterling,
gab dem Vogel ſein Hochzeitskleid. Sie komponierte der Nachti¬
gall ihr Lied. Die Liebe war der Spiegel, der zunächſt äußer¬
lich alle Harmonie, allen Rhythmus, alle blind angebahnte
Schönheit der lebendigen Natur in einen Brennpunkt fing.
Nun aber wuchs der Geiſt mehr und mehr dazu. Zu
dem ſchauenden Auge draußen trat das innerlich ſchaffende Auge:
die Phantaſie. Es kam der Menſchengeiſt. Der Menſch er¬
zeugte ſich am Leibe ſelbſt keine bunten Flügel, kein Hochzeits¬
gefieder mehr. Er ſah das alles innerlich, als Licht und
Harmonie, Sehnſucht und Ideal — in der Phantaſie. Wie
er nicht mehr Löwenklauen und Gürteltierpanzer ſich am eigenen
Leibe zum Schutze wachſen ließ. Sondern im Geiſte ſann und
in der Phantaſie das Werkzeug ſah. Wie aber ſeine Hand,
weich und bildſam geblieben und ganz nur Schüler noch des
Gehirns, dieſe Werkzeuge dann wirklich formte aus Stein, Horn
und Metall, ſie in die Wirklichkeit hinein projizierte mit ſelbſt¬
thätig ſchaffender Kraft und die Technik begründete als Kern
aller künftigen Naturbeherrſchung: — ſo formte er mit der¬
ſelben Hand, was die Phantaſie an rhythmiſchen Bildern, Sehn¬
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Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 1. Florenz u. a., 1898, S. 42. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boelsche_liebesleben01_1898/58>, abgerufen am 21.11.2024.
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