von Jahrzehnten später hatte ein holländischer Student den Mut, warmen, lebendigen Mannessamen unter die vergrößernden Glaslinsen zu bringen. Alsbald erkannte er jene kaulquappen¬ ähnlichen hüpfenden Körperchen: die Samentierchen. Die Ent¬ deckung wurde von dem ersten bedeutenden Mikroskopiker des siebzehnten Jahrhunderts, Leeuwenhoek, bestätigt und weiter aus¬ gelegt. Der intimste Freund Leeuwenhoeks, Regnier de Graaf, fand gleichzeitig die nach ihm benannten Bläschen am weiblichen Eierstock, in denen die menschlichen Eier entstehen: er hielt sie irrtümlich für die Eier selbst. Das wirkliche Ei selbst sah der große Karl Ernst von Bär sehr viel später, im Jahre 1827.
Seitdem erst datiert auch das allgemeine Verständnis der Zeugungsdinge im modernen Sinn. Jene Details über Aus¬ stoßung der Richtungskörper und Verschmelzung eines Samen¬ kopfs mit dem Kern der Eikugel sind nicht vor 1875, also in den letzten beiden Jahrzehnten, mühsam Stück für Stück be¬ obachtet worden. Immerhin haben wir jetzt in der Lücke, wo vormals die volle Nacht stand, einige Sterne und durch Ana¬ logie sogar bereits eine feste Milchstraße. Der Prozeß, der früher abriß in der Sekunde, da der Mann sich vom Weibe wieder löste, fängt für uns nach diesem erst recht an: nun erst beginnt das geheime Werk zwischen Samentierchen und Ei, das in der Form, wie wir es oben mit erlebt haben, zu der echten, der entscheidenden Zeugung erst führt. Die schließliche Ge¬ burt des reifen Kindes erscheint uns dann wieder bloß als eine einfache Konsequenz von diesem intimsten Akte.
Und doch: auch diese unendlich verbesserte Kenntnis des wirklichen Sachverhalts ändert im tiefsten Wesen nichts an dem Herzteil einer Philosophie der Zeugung, die thatsächlich schon so alt ist wie die menschliche Philosophie überhaupt.
Durch den Wechsel der Weltanschauungen von mindestens viertausend Jahren klingt sie herauf wie eine große Melodie, die niemals wieder verstummen konnte, nachdem gewisse Ge¬ dankengänge einmal angeregt waren. Was wir heute davon
von Jahrzehnten ſpäter hatte ein holländiſcher Student den Mut, warmen, lebendigen Mannesſamen unter die vergrößernden Glaslinſen zu bringen. Alsbald erkannte er jene kaulquappen¬ ähnlichen hüpfenden Körperchen: die Samentierchen. Die Ent¬ deckung wurde von dem erſten bedeutenden Mikroſkopiker des ſiebzehnten Jahrhunderts, Leeuwenhoek, beſtätigt und weiter aus¬ gelegt. Der intimſte Freund Leeuwenhoeks, Regnier de Graaf, fand gleichzeitig die nach ihm benannten Bläschen am weiblichen Eierſtock, in denen die menſchlichen Eier entſtehen: er hielt ſie irrtümlich für die Eier ſelbſt. Das wirkliche Ei ſelbſt ſah der große Karl Ernſt von Bär ſehr viel ſpäter, im Jahre 1827.
Seitdem erſt datiert auch das allgemeine Verſtändnis der Zeugungsdinge im modernen Sinn. Jene Details über Aus¬ ſtoßung der Richtungskörper und Verſchmelzung eines Samen¬ kopfs mit dem Kern der Eikugel ſind nicht vor 1875, alſo in den letzten beiden Jahrzehnten, mühſam Stück für Stück be¬ obachtet worden. Immerhin haben wir jetzt in der Lücke, wo vormals die volle Nacht ſtand, einige Sterne und durch Ana¬ logie ſogar bereits eine feſte Milchſtraße. Der Prozeß, der früher abriß in der Sekunde, da der Mann ſich vom Weibe wieder löſte, fängt für uns nach dieſem erſt recht an: nun erſt beginnt das geheime Werk zwiſchen Samentierchen und Ei, das in der Form, wie wir es oben mit erlebt haben, zu der echten, der entſcheidenden Zeugung erſt führt. Die ſchließliche Ge¬ burt des reifen Kindes erſcheint uns dann wieder bloß als eine einfache Konſequenz von dieſem intimſten Akte.
Und doch: auch dieſe unendlich verbeſſerte Kenntnis des wirklichen Sachverhalts ändert im tiefſten Weſen nichts an dem Herzteil einer Philoſophie der Zeugung, die thatſächlich ſchon ſo alt iſt wie die menſchliche Philoſophie überhaupt.
Durch den Wechſel der Weltanſchauungen von mindeſtens viertauſend Jahren klingt ſie herauf wie eine große Melodie, die niemals wieder verſtummen konnte, nachdem gewiſſe Ge¬ dankengänge einmal angeregt waren. Was wir heute davon
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von Jahrzehnten ſpäter hatte ein holländiſcher Student den
Mut, warmen, lebendigen Mannesſamen unter die vergrößernden
Glaslinſen zu bringen. Alsbald erkannte er jene kaulquappen¬
ähnlichen hüpfenden Körperchen: die Samentierchen. Die Ent¬
deckung wurde von dem erſten bedeutenden Mikroſkopiker des
ſiebzehnten Jahrhunderts, Leeuwenhoek, beſtätigt und weiter aus¬
gelegt. Der intimſte Freund Leeuwenhoeks, Regnier de Graaf,
fand gleichzeitig die nach ihm benannten Bläschen am weiblichen
Eierſtock, in denen die menſchlichen Eier entſtehen: er hielt ſie
irrtümlich für die Eier ſelbſt. Das wirkliche Ei ſelbſt ſah der
große Karl Ernſt von Bär ſehr viel ſpäter, im Jahre 1827.
Seitdem erſt datiert auch das allgemeine Verſtändnis der
Zeugungsdinge im modernen Sinn. Jene Details über Aus¬
ſtoßung der Richtungskörper und Verſchmelzung eines Samen¬
kopfs mit dem Kern der Eikugel ſind nicht vor 1875, alſo in
den letzten beiden Jahrzehnten, mühſam Stück für Stück be¬
obachtet worden. Immerhin haben wir jetzt in der Lücke, wo
vormals die volle Nacht ſtand, einige Sterne und durch Ana¬
logie ſogar bereits eine feſte Milchſtraße. Der Prozeß, der
früher abriß in der Sekunde, da der Mann ſich vom Weibe
wieder löſte, fängt für uns nach dieſem erſt recht an: nun erſt
beginnt das geheime Werk zwiſchen Samentierchen und Ei, das
in der Form, wie wir es oben mit erlebt haben, zu der echten,
der entſcheidenden Zeugung erſt führt. Die ſchließliche Ge¬
burt des reifen Kindes erſcheint uns dann wieder bloß als
eine einfache Konſequenz von dieſem intimſten Akte.
Und doch: auch dieſe unendlich verbeſſerte Kenntnis des
wirklichen Sachverhalts ändert im tiefſten Weſen nichts an dem
Herzteil einer Philoſophie der Zeugung, die thatſächlich ſchon
ſo alt iſt wie die menſchliche Philoſophie überhaupt.
Durch den Wechſel der Weltanſchauungen von mindeſtens
viertauſend Jahren klingt ſie herauf wie eine große Melodie,
die niemals wieder verſtummen konnte, nachdem gewiſſe Ge¬
dankengänge einmal angeregt waren. Was wir heute davon
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Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 1. Florenz u. a., 1898, S. 66. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boelsche_liebesleben01_1898/82>, abgerufen am 21.11.2024.
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