"Der Mensch hat eher nicht Vollkommne Seligkeit, Bis daß die Einheit hat Verschluckt die Anderheit."
Angelus Silesius.
Unsterblichkeit!
Die Jahrtausende des menschlichen Denkens wachsen im Flackerglanz dieses Wortes auf einmal zu gewaltig klingenden Säulen aus, -- mit einem Klang, der in mehrfachem Sinne an jene alte Stimme der berühmten Memnonssäule in Ägypten erinnert, über die sich bekanntlich hundert Privatmeinungen der Reisenden in den Haaren lagen und von der man heute noch nicht weiß, ob sie einem Priesterbetrug, einer Sinnestäuschung oder einer realen, mechanischen Wirkung (allerdings Sonnen¬ wirkung) ihren Ursprung verdankte.
So weit jene philosophische Erkenntnis des einfachen Sachverhalts von Tod und Zeugung in der Denkgeschichte zurückreicht, so weit gehen auch zwei Fassungen des Unsterb¬ lichkeitsgedankens zurück. Zwei Fassungen, die zwar ideell einander nicht ausschließen, aber doch an den beiden denkbar verschiedensten Ecken einsetzen.
Die eine Fassung klammert sich an den Begriff des Indi¬ viduums. Das Individuum ist ihr das Höchste. Jedes Individuum ist ihr eine Welt für sich, die sich emporentwickelt. Aus Dunklem herauf, auf Dunkles zu. Aber immer vorwärts. Ein solcher Gedankengang muß den äußersten Versuch machen,
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„Der Menſch hat eher nicht Vollkommne Seligkeit, Bis daß die Einheit hat Verſchluckt die Anderheit.“
Angelus Sileſius.
Unſterblichkeit!
Die Jahrtauſende des menſchlichen Denkens wachſen im Flackerglanz dieſes Wortes auf einmal zu gewaltig klingenden Säulen aus, — mit einem Klang, der in mehrfachem Sinne an jene alte Stimme der berühmten Memnonsſäule in Ägypten erinnert, über die ſich bekanntlich hundert Privatmeinungen der Reiſenden in den Haaren lagen und von der man heute noch nicht weiß, ob ſie einem Prieſterbetrug, einer Sinnestäuſchung oder einer realen, mechaniſchen Wirkung (allerdings Sonnen¬ wirkung) ihren Urſprung verdankte.
So weit jene philoſophiſche Erkenntnis des einfachen Sachverhalts von Tod und Zeugung in der Denkgeſchichte zurückreicht, ſo weit gehen auch zwei Faſſungen des Unſterb¬ lichkeitsgedankens zurück. Zwei Faſſungen, die zwar ideell einander nicht ausſchließen, aber doch an den beiden denkbar verſchiedenſten Ecken einſetzen.
Die eine Faſſung klammert ſich an den Begriff des Indi¬ viduums. Das Individuum iſt ihr das Höchſte. Jedes Individuum iſt ihr eine Welt für ſich, die ſich emporentwickelt. Aus Dunklem herauf, auf Dunkles zu. Aber immer vorwärts. Ein ſolcher Gedankengang muß den äußerſten Verſuch machen,
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„Der Menſch hat eher nicht
Vollkommne Seligkeit,
Bis daß die Einheit hat
Verſchluckt die Anderheit.“
Angelus Sileſius.
Unſterblichkeit!
Die Jahrtauſende des menſchlichen Denkens wachſen im
Flackerglanz dieſes Wortes auf einmal zu gewaltig klingenden
Säulen aus, — mit einem Klang, der in mehrfachem Sinne
an jene alte Stimme der berühmten Memnonsſäule in Ägypten
erinnert, über die ſich bekanntlich hundert Privatmeinungen der
Reiſenden in den Haaren lagen und von der man heute noch
nicht weiß, ob ſie einem Prieſterbetrug, einer Sinnestäuſchung
oder einer realen, mechaniſchen Wirkung (allerdings Sonnen¬
wirkung) ihren Urſprung verdankte.
So weit jene philoſophiſche Erkenntnis des einfachen
Sachverhalts von Tod und Zeugung in der Denkgeſchichte
zurückreicht, ſo weit gehen auch zwei Faſſungen des Unſterb¬
lichkeitsgedankens zurück. Zwei Faſſungen, die zwar ideell
einander nicht ausſchließen, aber doch an den beiden denkbar
verſchiedenſten Ecken einſetzen.
Die eine Faſſung klammert ſich an den Begriff des Indi¬
viduums. Das Individuum iſt ihr das Höchſte. Jedes
Individuum iſt ihr eine Welt für ſich, die ſich emporentwickelt.
Aus Dunklem herauf, auf Dunkles zu. Aber immer vorwärts.
Ein ſolcher Gedankengang muß den äußerſten Verſuch machen,
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Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 1. Florenz u. a., 1898, S. 70. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boelsche_liebesleben01_1898/86>, abgerufen am 21.11.2024.
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