Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 2. Leipzig, 1900.

Bild:
<< vorherige Seite

sind klein wie Zwergenärmchen. Bloß daß an diesen Ärmchen
auch hier noch keine eigentliche Hand ist. Doch da sind andere
Beuteltiere, die klettern auf Bäume. Ihre Pfoten nähern sich
unverkennbar der Handform, wenn schon noch ohne Erreichen.
Auch der Hüpffuß des Känguruhs ist ja noch durchaus kein
echter Menschenfuß. Alles ist erst wie ein Ahnen. Wie Stücke,
Fragmente, die da, dort herumschwimmen. Wer wird sie einigen,
vervollkommnen? Es scheint geradezu unmöglich. Wie kann
ein Tier zugleich klettern, um Hände zu bekommen -- und
auf den Hinterbeinen hüpfen, um sich echte Füße im mensch¬
lichen Sinne anzulegen? Es giebt ein Känguruh auf Neu-
Guinea, das auf Bäume klettert. Aber es bleibt Zwitterei
ohne echten Fortschritt.

Nun kommen die höchsten Säuger-Gruppen. Die Beutel¬
tierstufe wird überhaupt verlassen. Anpassungen aller Art
werden versucht. Das Prinzip, das wir suchen, scheint zunächst
selbst in seinen Anfängen verloren, aufgegeben. Da ist die un¬
geheuer vielgestaltige Gruppe, die das Wort "Huftiere" zusammen¬
faßt. Von Klettern wie von Hinterbein-Hüpfen keine Spur.
Alle vier Gliedmaßen fassen die Erde. Auf ihnen laufen ist
Trumpf. Es wird so gut gemacht wie denkbar. Da kommen die
Elefanten. Da die Nilpferde, die Schweine, die Kameele, die
Hirsche, die Ochsen und Schafe. Da kommen der Tapir, das
Rhinoceros, das Pferd. Nicht zu rechnen so und so viel heute
schon ausgestorbene Urweltler. Im Pferde ist das Lauf-Problem
auf dem Gipfel seiner Lösung. Alle vier Beine stelzen nur
noch auf einer einzigen Zehe, die ein solider Huf schützt.
Weiter ab vom Problem "Hand und Fuß, Greifhand und Geh¬
fuß" konnte die Entwickelung sich kaum verlieren. Also "vor¬
über, ihr Schafe, vorüber."

Um deinen Zauberstuhl rauscht auf einmal das Meer.
Als wollten die Fische noch einmal wiederkommen. Es kommen
aber nur Säugetier-Gruppen, die sich nochmals dem Leben im
Wasser rückwärts angepaßt haben. Walfische und Seekühe.

ſind klein wie Zwergenärmchen. Bloß daß an dieſen Ärmchen
auch hier noch keine eigentliche Hand iſt. Doch da ſind andere
Beuteltiere, die klettern auf Bäume. Ihre Pfoten nähern ſich
unverkennbar der Handform, wenn ſchon noch ohne Erreichen.
Auch der Hüpffuß des Känguruhs iſt ja noch durchaus kein
echter Menſchenfuß. Alles iſt erſt wie ein Ahnen. Wie Stücke,
Fragmente, die da, dort herumſchwimmen. Wer wird ſie einigen,
vervollkommnen? Es ſcheint geradezu unmöglich. Wie kann
ein Tier zugleich klettern, um Hände zu bekommen — und
auf den Hinterbeinen hüpfen, um ſich echte Füße im menſch¬
lichen Sinne anzulegen? Es giebt ein Känguruh auf Neu-
Guinea, das auf Bäume klettert. Aber es bleibt Zwitterei
ohne echten Fortſchritt.

Nun kommen die höchſten Säuger-Gruppen. Die Beutel¬
tierſtufe wird überhaupt verlaſſen. Anpaſſungen aller Art
werden verſucht. Das Prinzip, das wir ſuchen, ſcheint zunächſt
ſelbſt in ſeinen Anfängen verloren, aufgegeben. Da iſt die un¬
geheuer vielgeſtaltige Gruppe, die das Wort „Huftiere“ zuſammen¬
faßt. Von Klettern wie von Hinterbein-Hüpfen keine Spur.
Alle vier Gliedmaßen faſſen die Erde. Auf ihnen laufen iſt
Trumpf. Es wird ſo gut gemacht wie denkbar. Da kommen die
Elefanten. Da die Nilpferde, die Schweine, die Kameele, die
Hirſche, die Ochſen und Schafe. Da kommen der Tapir, das
Rhinoceros, das Pferd. Nicht zu rechnen ſo und ſo viel heute
ſchon ausgeſtorbene Urweltler. Im Pferde iſt das Lauf-Problem
auf dem Gipfel ſeiner Löſung. Alle vier Beine ſtelzen nur
noch auf einer einzigen Zehe, die ein ſolider Huf ſchützt.
Weiter ab vom Problem „Hand und Fuß, Greifhand und Geh¬
fuß“ konnte die Entwickelung ſich kaum verlieren. Alſo „vor¬
über, ihr Schafe, vorüber.“

Um deinen Zauberſtuhl rauſcht auf einmal das Meer.
Als wollten die Fiſche noch einmal wiederkommen. Es kommen
aber nur Säugetier-Gruppen, die ſich nochmals dem Leben im
Waſſer rückwärts angepaßt haben. Walfiſche und Seekühe.

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0118" n="102"/>
&#x017F;ind klein wie Zwergenärmchen. Bloß daß an die&#x017F;en Ärmchen<lb/>
auch hier noch keine eigentliche Hand i&#x017F;t. Doch da &#x017F;ind andere<lb/>
Beuteltiere, die klettern auf Bäume. Ihre Pfoten nähern &#x017F;ich<lb/>
unverkennbar der Handform, wenn &#x017F;chon noch ohne Erreichen.<lb/>
Auch der Hüpffuß des Känguruhs i&#x017F;t ja noch durchaus kein<lb/>
echter Men&#x017F;chenfuß. Alles i&#x017F;t er&#x017F;t wie ein Ahnen. Wie Stücke,<lb/>
Fragmente, die da, dort herum&#x017F;chwimmen. Wer wird &#x017F;ie einigen,<lb/>
vervollkommnen? Es &#x017F;cheint geradezu unmöglich. Wie kann<lb/>
ein Tier <hi rendition="#g">zugleich</hi> klettern, um <hi rendition="#g">Hände</hi> zu bekommen &#x2014; und<lb/>
auf den Hinterbeinen hüpfen, um &#x017F;ich echte <hi rendition="#g">Füße</hi> im men&#x017F;ch¬<lb/>
lichen Sinne anzulegen? Es giebt ein Känguruh auf Neu-<lb/>
Guinea, das auf Bäume klettert. Aber es bleibt Zwitterei<lb/>
ohne echten Fort&#x017F;chritt.</p><lb/>
        <p>Nun kommen die höch&#x017F;ten Säuger-Gruppen. Die Beutel¬<lb/>
tier&#x017F;tufe wird überhaupt verla&#x017F;&#x017F;en. Anpa&#x017F;&#x017F;ungen aller Art<lb/>
werden ver&#x017F;ucht. Das Prinzip, das wir &#x017F;uchen, &#x017F;cheint zunäch&#x017F;t<lb/>
&#x017F;elb&#x017F;t in &#x017F;einen Anfängen verloren, aufgegeben. Da i&#x017F;t die un¬<lb/>
geheuer vielge&#x017F;taltige Gruppe, die das Wort &#x201E;Huftiere&#x201C; zu&#x017F;ammen¬<lb/>
faßt. Von Klettern wie von Hinterbein-Hüpfen keine Spur.<lb/>
Alle vier Gliedmaßen fa&#x017F;&#x017F;en die Erde. Auf ihnen laufen i&#x017F;t<lb/>
Trumpf. Es wird &#x017F;o gut gemacht wie denkbar. Da kommen die<lb/>
Elefanten. Da die Nilpferde, die Schweine, die Kameele, die<lb/>
Hir&#x017F;che, die Och&#x017F;en und Schafe. Da kommen der Tapir, das<lb/>
Rhinoceros, das Pferd. Nicht zu rechnen &#x017F;o und &#x017F;o viel heute<lb/>
&#x017F;chon ausge&#x017F;torbene Urweltler. Im Pferde i&#x017F;t das Lauf-Problem<lb/>
auf dem Gipfel &#x017F;einer Lö&#x017F;ung. Alle vier Beine &#x017F;telzen nur<lb/>
noch auf einer einzigen Zehe, die ein &#x017F;olider Huf &#x017F;chützt.<lb/>
Weiter ab vom Problem &#x201E;Hand und Fuß, Greifhand und Geh¬<lb/>
fuß&#x201C; konnte die Entwickelung &#x017F;ich kaum verlieren. Al&#x017F;o &#x201E;vor¬<lb/>
über, ihr Schafe, vorüber.&#x201C;</p><lb/>
        <p>Um deinen Zauber&#x017F;tuhl rau&#x017F;cht auf einmal das Meer.<lb/>
Als wollten die Fi&#x017F;che noch einmal wiederkommen. Es kommen<lb/>
aber nur Säugetier-Gruppen, die &#x017F;ich nochmals dem Leben im<lb/>
Wa&#x017F;&#x017F;er rückwärts angepaßt haben. Walfi&#x017F;che und Seekühe.<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[102/0118] ſind klein wie Zwergenärmchen. Bloß daß an dieſen Ärmchen auch hier noch keine eigentliche Hand iſt. Doch da ſind andere Beuteltiere, die klettern auf Bäume. Ihre Pfoten nähern ſich unverkennbar der Handform, wenn ſchon noch ohne Erreichen. Auch der Hüpffuß des Känguruhs iſt ja noch durchaus kein echter Menſchenfuß. Alles iſt erſt wie ein Ahnen. Wie Stücke, Fragmente, die da, dort herumſchwimmen. Wer wird ſie einigen, vervollkommnen? Es ſcheint geradezu unmöglich. Wie kann ein Tier zugleich klettern, um Hände zu bekommen — und auf den Hinterbeinen hüpfen, um ſich echte Füße im menſch¬ lichen Sinne anzulegen? Es giebt ein Känguruh auf Neu- Guinea, das auf Bäume klettert. Aber es bleibt Zwitterei ohne echten Fortſchritt. Nun kommen die höchſten Säuger-Gruppen. Die Beutel¬ tierſtufe wird überhaupt verlaſſen. Anpaſſungen aller Art werden verſucht. Das Prinzip, das wir ſuchen, ſcheint zunächſt ſelbſt in ſeinen Anfängen verloren, aufgegeben. Da iſt die un¬ geheuer vielgeſtaltige Gruppe, die das Wort „Huftiere“ zuſammen¬ faßt. Von Klettern wie von Hinterbein-Hüpfen keine Spur. Alle vier Gliedmaßen faſſen die Erde. Auf ihnen laufen iſt Trumpf. Es wird ſo gut gemacht wie denkbar. Da kommen die Elefanten. Da die Nilpferde, die Schweine, die Kameele, die Hirſche, die Ochſen und Schafe. Da kommen der Tapir, das Rhinoceros, das Pferd. Nicht zu rechnen ſo und ſo viel heute ſchon ausgeſtorbene Urweltler. Im Pferde iſt das Lauf-Problem auf dem Gipfel ſeiner Löſung. Alle vier Beine ſtelzen nur noch auf einer einzigen Zehe, die ein ſolider Huf ſchützt. Weiter ab vom Problem „Hand und Fuß, Greifhand und Geh¬ fuß“ konnte die Entwickelung ſich kaum verlieren. Alſo „vor¬ über, ihr Schafe, vorüber.“ Um deinen Zauberſtuhl rauſcht auf einmal das Meer. Als wollten die Fiſche noch einmal wiederkommen. Es kommen aber nur Säugetier-Gruppen, die ſich nochmals dem Leben im Waſſer rückwärts angepaßt haben. Walfiſche und Seekühe.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/boelsche_liebesleben02_1900
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/boelsche_liebesleben02_1900/118
Zitationshilfe: Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 2. Leipzig, 1900, S. 102. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boelsche_liebesleben02_1900/118>, abgerufen am 21.11.2024.