Zelle, von der ersten Zelle zum Wurm, Fisch und Molch und endlich bis zum Menschen herauf in dir selber verkörperst.
Je nachdem ich dich heute zerlege mit meinem Geschichts- Maßstab, bist du auch jetzt noch Nebelfleck, Urzelle, Wurm und Fisch. Mit all dem früheren zusammen bildest du eine einzige ungeheure Einheit. In der Sekunde, da ich dich hier an¬ schaue, durchdrungen von dem andächtigen Gefühl "Welch herr¬ liches Kunstwerk ist der Mensch" -- in dieser Sekunde strahlt dein Körper mir alle jene Jahrmillionen der Entwickelung wie aus einem Brennspiegel der Zeit entgegen. Wie dein Leib räumlich nicht hier endet, wo dein Auge lacht, sondern in Wahrheit bis zur Sonne und bis zum Sirius reicht, die er trotz ihrer räumlichen Entfernung von Millionen und Billionen Meilen mit dem kleinen Hautstückchen seiner Netzhaut im Auge noch leibhaftig tastet -- so hört auch dein Zeitleib nicht auf mit dieser Sekunde, noch mit den paar Jahren deiner ganzen sogenannten Menschenexistenz -- er hört nicht auf mit den paar Jahrhunderttausenden der ganzen sogenannten Menschheit; sondern er greift in sich zusammen wie ein kosmischer Winkel¬ ried die Speere aller Jahrmillionen hinter sich und aller Formen in diesen Jahrmillionen, die auf ihn angegangen, die "er selbst" jemals gewesen sind.
Im Sinne dieser höchsten und freiesten philosophischen Betrachtung laß uns jetzt versuchen, unserm weisen Leibe auch die zweite und engere Frage vorzulegen: was ist die Liebe des Menschen?
Die einzelnen Organe, Magen, Hirn, Rückgrat, Lunge, Hand haben uns so ziemlich durchgeholfen für eine Angliederung des heutigen Menschen an einen riesigen Organismus, der in Aonen der Zeit sich fort und fort gewälzt hat und endlich ganz und gar in ihm aufgegangen ist. Unsere zweite Frage jetzt muß nun ein engeres Organ nochmals herausgreifen und in dieser ganzen umfassenden Bahn uns vor Augen stellen. Du begreifst, was allein für ein Organ da in Betracht kommen
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Zelle, von der erſten Zelle zum Wurm, Fiſch und Molch und endlich bis zum Menſchen herauf in dir ſelber verkörperſt.
Je nachdem ich dich heute zerlege mit meinem Geſchichts- Maßſtab, biſt du auch jetzt noch Nebelfleck, Urzelle, Wurm und Fiſch. Mit all dem früheren zuſammen bildeſt du eine einzige ungeheure Einheit. In der Sekunde, da ich dich hier an¬ ſchaue, durchdrungen von dem andächtigen Gefühl „Welch herr¬ liches Kunſtwerk iſt der Menſch“ — in dieſer Sekunde ſtrahlt dein Körper mir alle jene Jahrmillionen der Entwickelung wie aus einem Brennſpiegel der Zeit entgegen. Wie dein Leib räumlich nicht hier endet, wo dein Auge lacht, ſondern in Wahrheit bis zur Sonne und bis zum Sirius reicht, die er trotz ihrer räumlichen Entfernung von Millionen und Billionen Meilen mit dem kleinen Hautſtückchen ſeiner Netzhaut im Auge noch leibhaftig taſtet — ſo hört auch dein Zeitleib nicht auf mit dieſer Sekunde, noch mit den paar Jahren deiner ganzen ſogenannten Menſchenexiſtenz — er hört nicht auf mit den paar Jahrhunderttauſenden der ganzen ſogenannten Menſchheit; ſondern er greift in ſich zuſammen wie ein kosmiſcher Winkel¬ ried die Speere aller Jahrmillionen hinter ſich und aller Formen in dieſen Jahrmillionen, die auf ihn angegangen, die „er ſelbſt“ jemals geweſen ſind.
Im Sinne dieſer höchſten und freieſten philoſophiſchen Betrachtung laß uns jetzt verſuchen, unſerm weiſen Leibe auch die zweite und engere Frage vorzulegen: was iſt die Liebe des Menſchen?
Die einzelnen Organe, Magen, Hirn, Rückgrat, Lunge, Hand haben uns ſo ziemlich durchgeholfen für eine Angliederung des heutigen Menſchen an einen rieſigen Organismus, der in Aonen der Zeit ſich fort und fort gewälzt hat und endlich ganz und gar in ihm aufgegangen iſt. Unſere zweite Frage jetzt muß nun ein engeres Organ nochmals herausgreifen und in dieſer ganzen umfaſſenden Bahn uns vor Augen ſtellen. Du begreifſt, was allein für ein Organ da in Betracht kommen
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Zelle, von der erſten Zelle zum Wurm, Fiſch und Molch und
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Maßſtab, biſt du auch jetzt noch Nebelfleck, Urzelle, Wurm und
Fiſch. Mit all dem früheren zuſammen bildeſt du eine einzige
ungeheure Einheit. In der Sekunde, da ich dich hier an¬
ſchaue, durchdrungen von dem andächtigen Gefühl „Welch herr¬
liches Kunſtwerk iſt der Menſch“ — in dieſer Sekunde ſtrahlt
dein Körper mir alle jene Jahrmillionen der Entwickelung wie
aus einem Brennſpiegel der Zeit entgegen. Wie dein Leib
räumlich nicht hier endet, wo dein Auge lacht, ſondern in
Wahrheit bis zur Sonne und bis zum Sirius reicht, die er
trotz ihrer räumlichen Entfernung von Millionen und Billionen
Meilen mit dem kleinen Hautſtückchen ſeiner Netzhaut im Auge
noch leibhaftig taſtet — ſo hört auch dein Zeitleib nicht auf
mit dieſer Sekunde, noch mit den paar Jahren deiner ganzen
ſogenannten Menſchenexiſtenz — er hört nicht auf mit den
paar Jahrhunderttauſenden der ganzen ſogenannten Menſchheit;
ſondern er greift in ſich zuſammen wie ein kosmiſcher Winkel¬
ried die Speere aller Jahrmillionen hinter ſich und aller
Formen in dieſen Jahrmillionen, die auf ihn angegangen, die
„er ſelbſt“ jemals geweſen ſind.
Im Sinne dieſer höchſten und freieſten philoſophiſchen
Betrachtung laß uns jetzt verſuchen, unſerm weiſen Leibe auch
die zweite und engere Frage vorzulegen: was iſt die Liebe des
Menſchen?
Die einzelnen Organe, Magen, Hirn, Rückgrat, Lunge,
Hand haben uns ſo ziemlich durchgeholfen für eine Angliederung
des heutigen Menſchen an einen rieſigen Organismus, der in
Aonen der Zeit ſich fort und fort gewälzt hat und endlich
ganz und gar in ihm aufgegangen iſt. Unſere zweite Frage
jetzt muß nun ein engeres Organ nochmals herausgreifen und
in dieſer ganzen umfaſſenden Bahn uns vor Augen ſtellen.
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Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 2. Leipzig, 1900, S. 113. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boelsche_liebesleben02_1900/129>, abgerufen am 24.11.2024.
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