Individualisiertes vor mir, -- obgleich ich in deine Seele nicht schauen kann, sondern mich an den sogenannten Leib halten muß. Und wenn du dich hier im Wasser abgespiegelt besiehst, also dich dir selber objektivierst, so siehst du da auch an dir einen Menschenkörper, der als solcher seine Besonderheiten wohl gegenüber allen anderen auf Erden hat.
Das ist nun alles klar und hübsch, und wenn wir etz¬ welche Kunstausdrücke fortlassen, so wirst du sagen, daß das im Grunde eine wahre Bauern- und Barbiersweisheit sei, so selbstverständlich, daß es überhaupt nicht noch einmal gesagt zu werden brauchte. Nun habe ich dir aber früher einmal bekannt, du müßtest gerade zu dem Wörtchen Individuum noch ziemlich viel hinzulernen, um dieses Wortschifflein wieder ordentlich flott zu kriegen auf dem wilden Ozean moderner Welt-Ideen. Und da ist eine Hauptsache dieses.
Du mußt dir sagen, daß eine Individualität zunächst nach unten zusammengesetzt sein kann aus so und so viel kleineren Individualitäten.
Das sieht ja im ersten Moment aus wie eine Ungeheuer¬ lichkeit. "Ich" soll aus etwas zusammengesetzt sein. Indivi¬ duum heißt ja grade: das Unteilbare. Ich bin ich und bin also nicht teilbar. Gemach. Nehmen wir einmal an, die Welt sei wirklich grob dualistisch geschieden in Seelisches und Körperliches. Ich halte diese Unterscheidung im Wesen für falsch und nehme sie ernstlich nur als nachträgliche begriffliche Trennung, die einen gewissen Finde-Wert hat. Aber einerlei. Es seien hier einmal wirklich zwei Wege des Erkennens. Und so nehmen wir also ein grobes Beispiel aus der körperlichen Welt.
[Abbildung]
Individualiſiertes vor mir, — obgleich ich in deine Seele nicht ſchauen kann, ſondern mich an den ſogenannten Leib halten muß. Und wenn du dich hier im Waſſer abgeſpiegelt beſiehſt, alſo dich dir ſelber objektivierſt, ſo ſiehſt du da auch an dir einen Menſchenkörper, der als ſolcher ſeine Beſonderheiten wohl gegenüber allen anderen auf Erden hat.
Das iſt nun alles klar und hübſch, und wenn wir etz¬ welche Kunſtausdrücke fortlaſſen, ſo wirſt du ſagen, daß das im Grunde eine wahre Bauern- und Barbiersweisheit ſei, ſo ſelbſtverſtändlich, daß es überhaupt nicht noch einmal geſagt zu werden brauchte. Nun habe ich dir aber früher einmal bekannt, du müßteſt gerade zu dem Wörtchen Individuum noch ziemlich viel hinzulernen, um dieſes Wortſchifflein wieder ordentlich flott zu kriegen auf dem wilden Ozean moderner Welt-Ideen. Und da iſt eine Hauptſache dieſes.
Du mußt dir ſagen, daß eine Individualität zunächſt nach unten zuſammengeſetzt ſein kann aus ſo und ſo viel kleineren Individualitäten.
Das ſieht ja im erſten Moment aus wie eine Ungeheuer¬ lichkeit. „Ich“ ſoll aus etwas zuſammengeſetzt ſein. Indivi¬ duum heißt ja grade: das Unteilbare. Ich bin ich und bin alſo nicht teilbar. Gemach. Nehmen wir einmal an, die Welt ſei wirklich grob dualiſtiſch geſchieden in Seeliſches und Körperliches. Ich halte dieſe Unterſcheidung im Weſen für falſch und nehme ſie ernſtlich nur als nachträgliche begriffliche Trennung, die einen gewiſſen Finde-Wert hat. Aber einerlei. Es ſeien hier einmal wirklich zwei Wege des Erkennens. Und ſo nehmen wir alſo ein grobes Beiſpiel aus der körperlichen Welt.
[Abbildung]
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0133"n="117"/>
Individualiſiertes vor mir, — obgleich ich in deine Seele nicht<lb/>ſchauen kann, ſondern mich an den ſogenannten Leib halten muß.<lb/>
Und wenn du dich hier im Waſſer abgeſpiegelt beſiehſt, alſo dich<lb/>
dir ſelber objektivierſt, ſo ſiehſt du da auch an dir einen<lb/>
Menſchenkörper, der als ſolcher ſeine Beſonderheiten wohl<lb/>
gegenüber allen anderen auf Erden hat.</p><lb/><p>Das iſt nun alles klar und hübſch, und wenn wir etz¬<lb/>
welche Kunſtausdrücke fortlaſſen, ſo wirſt du ſagen, daß das im<lb/>
Grunde eine wahre Bauern- und Barbiersweisheit ſei, ſo<lb/>ſelbſtverſtändlich, daß es überhaupt nicht noch einmal geſagt<lb/>
zu werden brauchte. Nun habe ich dir aber früher einmal<lb/>
bekannt, du müßteſt gerade zu dem Wörtchen Individuum noch<lb/>
ziemlich viel hinzulernen, um dieſes Wortſchifflein wieder<lb/>
ordentlich flott zu kriegen auf dem wilden Ozean moderner<lb/>
Welt-Ideen. Und da iſt eine Hauptſache dieſes.</p><lb/><p>Du mußt dir ſagen, daß eine Individualität zunächſt nach<lb/><hirendition="#g">unten</hi> zuſammengeſetzt ſein kann aus ſo und ſo viel <hirendition="#g">kleineren</hi><lb/>
Individualitäten.</p><lb/><p>Das ſieht ja im erſten Moment aus wie eine Ungeheuer¬<lb/>
lichkeit. „Ich“ſoll aus etwas zuſammengeſetzt ſein. Indivi¬<lb/>
duum heißt ja grade: das Unteilbare. Ich bin ich und bin<lb/>
alſo nicht teilbar. Gemach. Nehmen wir einmal an, die<lb/>
Welt ſei wirklich grob dualiſtiſch geſchieden in Seeliſches und<lb/>
Körperliches. Ich halte dieſe Unterſcheidung im Weſen für<lb/>
falſch und nehme ſie ernſtlich nur als nachträgliche begriffliche<lb/>
Trennung, die einen gewiſſen Finde-Wert hat. Aber einerlei.<lb/>
Es ſeien hier einmal wirklich zwei Wege des Erkennens.<lb/>
Und ſo nehmen wir alſo ein grobes Beiſpiel aus der<lb/>
körperlichen Welt.</p><lb/><figure/></div></body></text></TEI>
[117/0133]
Individualiſiertes vor mir, — obgleich ich in deine Seele nicht
ſchauen kann, ſondern mich an den ſogenannten Leib halten muß.
Und wenn du dich hier im Waſſer abgeſpiegelt beſiehſt, alſo dich
dir ſelber objektivierſt, ſo ſiehſt du da auch an dir einen
Menſchenkörper, der als ſolcher ſeine Beſonderheiten wohl
gegenüber allen anderen auf Erden hat.
Das iſt nun alles klar und hübſch, und wenn wir etz¬
welche Kunſtausdrücke fortlaſſen, ſo wirſt du ſagen, daß das im
Grunde eine wahre Bauern- und Barbiersweisheit ſei, ſo
ſelbſtverſtändlich, daß es überhaupt nicht noch einmal geſagt
zu werden brauchte. Nun habe ich dir aber früher einmal
bekannt, du müßteſt gerade zu dem Wörtchen Individuum noch
ziemlich viel hinzulernen, um dieſes Wortſchifflein wieder
ordentlich flott zu kriegen auf dem wilden Ozean moderner
Welt-Ideen. Und da iſt eine Hauptſache dieſes.
Du mußt dir ſagen, daß eine Individualität zunächſt nach
unten zuſammengeſetzt ſein kann aus ſo und ſo viel kleineren
Individualitäten.
Das ſieht ja im erſten Moment aus wie eine Ungeheuer¬
lichkeit. „Ich“ ſoll aus etwas zuſammengeſetzt ſein. Indivi¬
duum heißt ja grade: das Unteilbare. Ich bin ich und bin
alſo nicht teilbar. Gemach. Nehmen wir einmal an, die
Welt ſei wirklich grob dualiſtiſch geſchieden in Seeliſches und
Körperliches. Ich halte dieſe Unterſcheidung im Weſen für
falſch und nehme ſie ernſtlich nur als nachträgliche begriffliche
Trennung, die einen gewiſſen Finde-Wert hat. Aber einerlei.
Es ſeien hier einmal wirklich zwei Wege des Erkennens.
Und ſo nehmen wir alſo ein grobes Beiſpiel aus der
körperlichen Welt.
[Abbildung]
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 2. Leipzig, 1900, S. 117. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boelsche_liebesleben02_1900/133>, abgerufen am 24.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.