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Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 2. Leipzig, 1900.

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bestimmt hat. Tief im Schooße eines liebenden Weibes die
Ei-Zelle. Aus der Verschmelzung beider erwächst ein Kind.
Es lacht dich an mit seinen lichten neuen Augen und greift
nach dir mit seinen rosigen Händchen, -- diesem Kinde wirst
du doch die Seele nicht absprechen?

Woher aber stammt sie?

Aus jenen zwei vereinigten Zellen, der Samenzelle und
Eizelle. Und du entdeckst im Charakter, in der Seele des
Kindes Züge von dir. Es muß nicht bloß eine körperliche
Zelle, -- es muß Seele von dir eingeströmt sein in dieses
Kind beim Zeugungsakt, -- Seele mit jener einzelnen los¬
gelösten Zelle deines Leibes, der Samenzelle. Eine Seele
mußte wohnen in diesem Zellchen, eine "Zell-Seele", die,
obwohl nur ein unendliches Bruchteilchen deines großen
Mannes-Ich, doch eine Note trug von dir, ein geheimstes
Erkennungszeichen, das der neuen Kindesseele einen Zug gab
von "dir".

Was aber die Samen-Zelle bei dir besitzt, wenn du Mann
bist, -- die Ei-Zelle, wenn du Weib bist, -- -- warum soll
es nicht jede Zelle deines Leibes besitzen? Jede auch eine
Zell-Seele, jede auch einen seelischen Orientierungspunkt, ein
"Ich", eine echte geistige Individualität. Aus solchen Zell-
Seelen, solchen geistigen Individualitäten setzt sich dann deine
ganze Seele, deine geistige Ganz-Individualität genau so
zusammen wie dein ganzer Körper, deine körperliche Ganz-
Individualität aus den kleinen Zell-Leiblein. Dein "Ich",
subjektiv für dich die absolute Einheit, ist vom Standpunkt der
kleinen Zellen-Ichs nur eine Klammer, ein Zusammenschluß.
In der Klammer liegen die Zell-Seelen, vielleicht noch zu
Organ-Seelen vereint, als Millionen subjektiver "Ichs". Die
Klammer aber ist abermals ein neues, höheres Ich, -- als
"Ich" nicht teilbar, so wenig die Klammer als solche teilbar
ist, -- aber objektiv teilbar in dem, was innerhalb der
Klammer steht.

beſtimmt hat. Tief im Schooße eines liebenden Weibes die
Ei-Zelle. Aus der Verſchmelzung beider erwächſt ein Kind.
Es lacht dich an mit ſeinen lichten neuen Augen und greift
nach dir mit ſeinen roſigen Händchen, — dieſem Kinde wirſt
du doch die Seele nicht abſprechen?

Woher aber ſtammt ſie?

Aus jenen zwei vereinigten Zellen, der Samenzelle und
Eizelle. Und du entdeckſt im Charakter, in der Seele des
Kindes Züge von dir. Es muß nicht bloß eine körperliche
Zelle, — es muß Seele von dir eingeſtrömt ſein in dieſes
Kind beim Zeugungsakt, — Seele mit jener einzelnen los¬
gelöſten Zelle deines Leibes, der Samenzelle. Eine Seele
mußte wohnen in dieſem Zellchen, eine „Zell-Seele“, die,
obwohl nur ein unendliches Bruchteilchen deines großen
Mannes-Ich, doch eine Note trug von dir, ein geheimſtes
Erkennungszeichen, das der neuen Kindesſeele einen Zug gab
von „dir“.

Was aber die Samen-Zelle bei dir beſitzt, wenn du Mann
biſt, — die Ei-Zelle, wenn du Weib biſt, — — warum ſoll
es nicht jede Zelle deines Leibes beſitzen? Jede auch eine
Zell-Seele, jede auch einen ſeeliſchen Orientierungspunkt, ein
„Ich“, eine echte geiſtige Individualität. Aus ſolchen Zell-
Seelen, ſolchen geiſtigen Individualitäten ſetzt ſich dann deine
ganze Seele, deine geiſtige Ganz-Individualität genau ſo
zuſammen wie dein ganzer Körper, deine körperliche Ganz-
Individualität aus den kleinen Zell-Leiblein. Dein „Ich“,
ſubjektiv für dich die abſolute Einheit, iſt vom Standpunkt der
kleinen Zellen-Ichs nur eine Klammer, ein Zuſammenſchluß.
In der Klammer liegen die Zell-Seelen, vielleicht noch zu
Organ-Seelen vereint, als Millionen ſubjektiver „Ichs“. Die
Klammer aber iſt abermals ein neues, höheres Ich, — als
„Ich“ nicht teilbar, ſo wenig die Klammer als ſolche teilbar
iſt, — aber objektiv teilbar in dem, was innerhalb der
Klammer ſteht.

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Zitationshilfe: Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 2. Leipzig, 1900, S. 122. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boelsche_liebesleben02_1900/138>, abgerufen am 21.11.2024.