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Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 2. Leipzig, 1900.

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Dieses weitere Verhalten des einen Partners im Liebes-
Individuum, der Mutter, zum Erzeugnis, zum Kinde, macht
aber dann nur dasselbe, was der andere Partner, der Vater,
vom Zeitpunkt unmittelbar nach dem großen begründenden
Mischakt an überhaupt nur gemacht hat. Dieser Vater wartet
ja nicht einmal die wahre Vermischung von Samenzelle und
Eizelle ab. Im Moment, wo die Samenzelle ihn durch
einen letztlich rein automatischen Akt seiner Körperweisheit ver¬
lassen hat und er sich nur mehr als leere Attrappe fühlt,
aus der der eigentliche Vermischungskernteil endgültig einmal
wieder ausgeschieden ist, -- in demselben Moment ist auch
seine ganze Mischrolle dem Kinde gegenüber schon ausgespielt.
Weibes-Mischakt und Kindes-Mischakt fällt für ihn in eins
zusammen. Der gesamte Rest all seiner Beziehungen zum
Kinde aber ist fortan Distanceakt! Auch hier mögen die Vater¬
liebe und Kindesliebe als solche so stark bleiben wie sie wollen,
ja sich sogar noch wachsend mit den Jahren vertiefen und
verstärken: das Verhältnis bleibt Distanceverhältnis. Bleibt
doch sogar jenes auf uralter Naturweisheit beruhende Wider¬
streben des Vaters übrig, mit der eigenen Tochter (und der
Mutter mit dem eigenen Sohne) nachträglich noch einmal eine
echte neue Liebesindividualität im Sinne von Mann und
Weib einzugehen, da hier abermals dann echte Vermischung
zum Muß würde.

Auf alle Fälle siehst du, daß in diesem Verhältnis des
Liebes-Individuums zu seinen Kindern Mischakte und Distance¬
akte im seltsamsten Durcheinander auftreten. Und wenn wir
ein charakteristisches Unterscheidungsmerkmal gegen jene erste
reine Mischrubrik und jene zweite reine Distancerubrik für
dieses dritte Verhältnis finden wollen, so müssen wir noch
einen anderen Umstand dabei ins Auge fassen.

Mischung wie Distance bedeuten räumliche Verhältnisse.
Für das Kind aber kommt in ganz besonders aufdringlicher
Weise die Dauer in Betracht, also ein zeitliches Verhältnis.

Dieſes weitere Verhalten des einen Partners im Liebes-
Individuum, der Mutter, zum Erzeugnis, zum Kinde, macht
aber dann nur dasſelbe, was der andere Partner, der Vater,
vom Zeitpunkt unmittelbar nach dem großen begründenden
Miſchakt an überhaupt nur gemacht hat. Dieſer Vater wartet
ja nicht einmal die wahre Vermiſchung von Samenzelle und
Eizelle ab. Im Moment, wo die Samenzelle ihn durch
einen letztlich rein automatiſchen Akt ſeiner Körperweisheit ver¬
laſſen hat und er ſich nur mehr als leere Attrappe fühlt,
aus der der eigentliche Vermiſchungskernteil endgültig einmal
wieder ausgeſchieden iſt, — in demſelben Moment iſt auch
ſeine ganze Miſchrolle dem Kinde gegenüber ſchon ausgeſpielt.
Weibes-Miſchakt und Kindes-Miſchakt fällt für ihn in eins
zuſammen. Der geſamte Reſt all ſeiner Beziehungen zum
Kinde aber iſt fortan Diſtanceakt! Auch hier mögen die Vater¬
liebe und Kindesliebe als ſolche ſo ſtark bleiben wie ſie wollen,
ja ſich ſogar noch wachſend mit den Jahren vertiefen und
verſtärken: das Verhältnis bleibt Diſtanceverhältnis. Bleibt
doch ſogar jenes auf uralter Naturweisheit beruhende Wider¬
ſtreben des Vaters übrig, mit der eigenen Tochter (und der
Mutter mit dem eigenen Sohne) nachträglich noch einmal eine
echte neue Liebesindividualität im Sinne von Mann und
Weib einzugehen, da hier abermals dann echte Vermiſchung
zum Muß würde.

Auf alle Fälle ſiehſt du, daß in dieſem Verhältnis des
Liebes-Individuums zu ſeinen Kindern Miſchakte und Diſtance¬
akte im ſeltſamſten Durcheinander auftreten. Und wenn wir
ein charakteriſtiſches Unterſcheidungsmerkmal gegen jene erſte
reine Miſchrubrik und jene zweite reine Diſtancerubrik für
dieſes dritte Verhältnis finden wollen, ſo müſſen wir noch
einen anderen Umſtand dabei ins Auge faſſen.

Miſchung wie Diſtance bedeuten räumliche Verhältniſſe.
Für das Kind aber kommt in ganz beſonders aufdringlicher
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[148/0164] Dieſes weitere Verhalten des einen Partners im Liebes- Individuum, der Mutter, zum Erzeugnis, zum Kinde, macht aber dann nur dasſelbe, was der andere Partner, der Vater, vom Zeitpunkt unmittelbar nach dem großen begründenden Miſchakt an überhaupt nur gemacht hat. Dieſer Vater wartet ja nicht einmal die wahre Vermiſchung von Samenzelle und Eizelle ab. Im Moment, wo die Samenzelle ihn durch einen letztlich rein automatiſchen Akt ſeiner Körperweisheit ver¬ laſſen hat und er ſich nur mehr als leere Attrappe fühlt, aus der der eigentliche Vermiſchungskernteil endgültig einmal wieder ausgeſchieden iſt, — in demſelben Moment iſt auch ſeine ganze Miſchrolle dem Kinde gegenüber ſchon ausgeſpielt. Weibes-Miſchakt und Kindes-Miſchakt fällt für ihn in eins zuſammen. Der geſamte Reſt all ſeiner Beziehungen zum Kinde aber iſt fortan Diſtanceakt! Auch hier mögen die Vater¬ liebe und Kindesliebe als ſolche ſo ſtark bleiben wie ſie wollen, ja ſich ſogar noch wachſend mit den Jahren vertiefen und verſtärken: das Verhältnis bleibt Diſtanceverhältnis. Bleibt doch ſogar jenes auf uralter Naturweisheit beruhende Wider¬ ſtreben des Vaters übrig, mit der eigenen Tochter (und der Mutter mit dem eigenen Sohne) nachträglich noch einmal eine echte neue Liebesindividualität im Sinne von Mann und Weib einzugehen, da hier abermals dann echte Vermiſchung zum Muß würde. Auf alle Fälle ſiehſt du, daß in dieſem Verhältnis des Liebes-Individuums zu ſeinen Kindern Miſchakte und Diſtance¬ akte im ſeltſamſten Durcheinander auftreten. Und wenn wir ein charakteriſtiſches Unterſcheidungsmerkmal gegen jene erſte reine Miſchrubrik und jene zweite reine Diſtancerubrik für dieſes dritte Verhältnis finden wollen, ſo müſſen wir noch einen anderen Umſtand dabei ins Auge faſſen. Miſchung wie Diſtance bedeuten räumliche Verhältniſſe. Für das Kind aber kommt in ganz beſonders aufdringlicher Weiſe die Dauer in Betracht, alſo ein zeitliches Verhältnis.

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Zitationshilfe: Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 2. Leipzig, 1900, S. 148. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boelsche_liebesleben02_1900/164>, abgerufen am 22.11.2024.