gleichzeitig die Bewegungsorgane, Flossen, Füße, Flügel, Hände, das Einzelindividuum, die "Person", mehr und mehr vom "Haften an der Scholle" befreiten und wirklich auf Distancen einschulten. Nun zu allem das rapide Wachsen des Überlegens, des Denkens, des Schließens im Gehirn: die Schallwellen werden zur Verständigungssprache benutzt, die Hand formt Werkzeuge ... aus dem Nebel taucht gerade auf diesem Wege das Tier der Tiere: der Mensch. Das äußerste, höchste Distancewesen der uns bekannten Welt ist ausgesucht dieser Mensch. Denke an sein Auge, das, im Werkzeug zum Fernrohr vervollkommnet, die Monde des Jupiter zählt, im Spektroskop die Chemie von Fixsternen analysiert, die hundert Billionen Meilen von uns entfernt sind, und den Durchmesser unserer Erdbahn um die Sonne, vierzig Millionen Meilen, als Basis eines Dreiecks benutzt, um die Parallaxen und damit die Entfernungen solcher Billionenmeilensterne zu errechnen.
Du siehst aber in derselben Entwickelungsbahn noch anderes hervortreten. Diese Tiere, die Zellstaaten geworden sind und alle Sorten von Distancegaben räumlich entwickelt haben, legen sich auch mehr und mehr aufs Zeitliche. Das Erinnerungsvermögen wächst, und zugleich der Zukunftsblick. Alte Traditionen geben einen geheimnisvollen Zusammenschluß. Die Generationen kommen sich geistig immer näher. Die nächste wird schon ge¬ schaut, die letztvergangene noch erinnert. Jene höheren sozialen Zusammenschlüsse, die über die Person hinausgehen, dehnen sich nicht bloß räumlich, sondern auch zeitlich aus. Der Mensch endlich hat eine Geschichte, die über Jahrmillionen reicht, aber er denkt zugleich Kinder und Enkel greifbar in eben solche Millionen hinein.
Du begreifst: das erst ist der goldene Boden, auf dem die wahre Distance- und Dauerliebe allmählich blühen konnten. Blühen Hand in Hand mit dieser ganzen ansteigenden Ent¬ wickelungslinie der höheren Tierwelt, -- als eine parallele Entwickelung in der Liebe!
11*
gleichzeitig die Bewegungsorgane, Floſſen, Füße, Flügel, Hände, das Einzelindividuum, die „Perſon“, mehr und mehr vom „Haften an der Scholle“ befreiten und wirklich auf Diſtancen einſchulten. Nun zu allem das rapide Wachſen des Überlegens, des Denkens, des Schließens im Gehirn: die Schallwellen werden zur Verſtändigungsſprache benutzt, die Hand formt Werkzeuge ... aus dem Nebel taucht gerade auf dieſem Wege das Tier der Tiere: der Menſch. Das äußerſte, höchſte Diſtanceweſen der uns bekannten Welt iſt ausgeſucht dieſer Menſch. Denke an ſein Auge, das, im Werkzeug zum Fernrohr vervollkommnet, die Monde des Jupiter zählt, im Spektroſkop die Chemie von Fixſternen analyſiert, die hundert Billionen Meilen von uns entfernt ſind, und den Durchmeſſer unſerer Erdbahn um die Sonne, vierzig Millionen Meilen, als Baſis eines Dreiecks benutzt, um die Parallaxen und damit die Entfernungen ſolcher Billionenmeilenſterne zu errechnen.
Du ſiehſt aber in derſelben Entwickelungsbahn noch anderes hervortreten. Dieſe Tiere, die Zellſtaaten geworden ſind und alle Sorten von Diſtancegaben räumlich entwickelt haben, legen ſich auch mehr und mehr aufs Zeitliche. Das Erinnerungsvermögen wächſt, und zugleich der Zukunftsblick. Alte Traditionen geben einen geheimnisvollen Zuſammenſchluß. Die Generationen kommen ſich geiſtig immer näher. Die nächſte wird ſchon ge¬ ſchaut, die letztvergangene noch erinnert. Jene höheren ſozialen Zuſammenſchlüſſe, die über die Perſon hinausgehen, dehnen ſich nicht bloß räumlich, ſondern auch zeitlich aus. Der Menſch endlich hat eine Geſchichte, die über Jahrmillionen reicht, aber er denkt zugleich Kinder und Enkel greifbar in eben ſolche Millionen hinein.
Du begreifſt: das erſt iſt der goldene Boden, auf dem die wahre Diſtance- und Dauerliebe allmählich blühen konnten. Blühen Hand in Hand mit dieſer ganzen anſteigenden Ent¬ wickelungslinie der höheren Tierwelt, — als eine parallele Entwickelung in der Liebe!
11*
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0179"n="163"/>
gleichzeitig die Bewegungsorgane, Floſſen, Füße, Flügel, Hände,<lb/>
das Einzelindividuum, die „Perſon“, mehr und mehr vom<lb/>„Haften an der Scholle“ befreiten und wirklich auf Diſtancen<lb/>
einſchulten. Nun zu allem das rapide Wachſen des Überlegens,<lb/>
des Denkens, des Schließens im Gehirn: die Schallwellen<lb/>
werden zur Verſtändigungsſprache benutzt, die Hand formt<lb/>
Werkzeuge ... aus dem Nebel taucht gerade auf dieſem Wege<lb/>
das Tier der Tiere: der Menſch. Das äußerſte, höchſte<lb/>
Diſtanceweſen der uns bekannten Welt iſt ausgeſucht dieſer<lb/>
Menſch. Denke an ſein Auge, das, im Werkzeug zum Fernrohr<lb/>
vervollkommnet, die Monde des Jupiter zählt, im Spektroſkop<lb/>
die Chemie von Fixſternen analyſiert, die hundert Billionen<lb/>
Meilen von uns entfernt ſind, und den Durchmeſſer unſerer<lb/>
Erdbahn um die Sonne, vierzig Millionen Meilen, als Baſis<lb/>
eines Dreiecks benutzt, um die Parallaxen und damit die<lb/>
Entfernungen ſolcher Billionenmeilenſterne zu errechnen.</p><lb/><p>Du ſiehſt aber in derſelben Entwickelungsbahn noch anderes<lb/>
hervortreten. Dieſe Tiere, die Zellſtaaten geworden ſind und alle<lb/>
Sorten von Diſtancegaben räumlich entwickelt haben, legen ſich<lb/>
auch mehr und mehr aufs Zeitliche. Das Erinnerungsvermögen<lb/>
wächſt, und zugleich der Zukunftsblick. Alte Traditionen<lb/>
geben einen geheimnisvollen Zuſammenſchluß. Die Generationen<lb/>
kommen ſich geiſtig immer näher. Die nächſte wird ſchon ge¬<lb/>ſchaut, die letztvergangene noch erinnert. Jene höheren ſozialen<lb/>
Zuſammenſchlüſſe, die über die Perſon hinausgehen, dehnen ſich<lb/>
nicht bloß räumlich, ſondern auch zeitlich aus. Der Menſch<lb/>
endlich hat eine Geſchichte, die über Jahrmillionen reicht, aber<lb/>
er denkt zugleich Kinder und Enkel greifbar in eben ſolche<lb/>
Millionen hinein.</p><lb/><p>Du begreifſt: das erſt iſt der goldene Boden, auf dem<lb/>
die <hirendition="#g">wahre</hi> Diſtance- und Dauerliebe allmählich blühen konnten.<lb/>
Blühen Hand in Hand mit dieſer ganzen anſteigenden Ent¬<lb/>
wickelungslinie der höheren Tierwelt, — als eine parallele<lb/>
Entwickelung in der Liebe!</p><lb/><fwplace="bottom"type="sig">11*<lb/></fw></div></body></text></TEI>
[163/0179]
gleichzeitig die Bewegungsorgane, Floſſen, Füße, Flügel, Hände,
das Einzelindividuum, die „Perſon“, mehr und mehr vom
„Haften an der Scholle“ befreiten und wirklich auf Diſtancen
einſchulten. Nun zu allem das rapide Wachſen des Überlegens,
des Denkens, des Schließens im Gehirn: die Schallwellen
werden zur Verſtändigungsſprache benutzt, die Hand formt
Werkzeuge ... aus dem Nebel taucht gerade auf dieſem Wege
das Tier der Tiere: der Menſch. Das äußerſte, höchſte
Diſtanceweſen der uns bekannten Welt iſt ausgeſucht dieſer
Menſch. Denke an ſein Auge, das, im Werkzeug zum Fernrohr
vervollkommnet, die Monde des Jupiter zählt, im Spektroſkop
die Chemie von Fixſternen analyſiert, die hundert Billionen
Meilen von uns entfernt ſind, und den Durchmeſſer unſerer
Erdbahn um die Sonne, vierzig Millionen Meilen, als Baſis
eines Dreiecks benutzt, um die Parallaxen und damit die
Entfernungen ſolcher Billionenmeilenſterne zu errechnen.
Du ſiehſt aber in derſelben Entwickelungsbahn noch anderes
hervortreten. Dieſe Tiere, die Zellſtaaten geworden ſind und alle
Sorten von Diſtancegaben räumlich entwickelt haben, legen ſich
auch mehr und mehr aufs Zeitliche. Das Erinnerungsvermögen
wächſt, und zugleich der Zukunftsblick. Alte Traditionen
geben einen geheimnisvollen Zuſammenſchluß. Die Generationen
kommen ſich geiſtig immer näher. Die nächſte wird ſchon ge¬
ſchaut, die letztvergangene noch erinnert. Jene höheren ſozialen
Zuſammenſchlüſſe, die über die Perſon hinausgehen, dehnen ſich
nicht bloß räumlich, ſondern auch zeitlich aus. Der Menſch
endlich hat eine Geſchichte, die über Jahrmillionen reicht, aber
er denkt zugleich Kinder und Enkel greifbar in eben ſolche
Millionen hinein.
Du begreifſt: das erſt iſt der goldene Boden, auf dem
die wahre Diſtance- und Dauerliebe allmählich blühen konnten.
Blühen Hand in Hand mit dieſer ganzen anſteigenden Ent¬
wickelungslinie der höheren Tierwelt, — als eine parallele
Entwickelung in der Liebe!
11*
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 2. Leipzig, 1900, S. 163. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boelsche_liebesleben02_1900/179>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.