Zellmaterial unseres Körpers glatt nebeneinander aufgereiht dächte. Die roten Blutkörperchen, die deinem Blute die rote Farbe geben und von denen jedes wenigstens eine verkümmerte Zelle darstellt, sind noch viel kleiner als die einzelnen Eizellen, und mit bloßem Auge gewahrst du bloß die rote Farbe am Blut, erkennst aber keines der Einzelkörperchen. Aber ihre Zahl geht in dir allein bis auf fünfundzwanzig Milliarden. Und denkst du dir diese fünfundzwanzig Milliarden roter Blut¬ körperchen ebenso als Perlenschnur aneinander gereiht, so kommt die ungeheuerliche Strecke jetzt heraus von rund zweihundert Kilometern, also mehr als die Kilometerlänge etwa der direkten Eisenbahnlinie zwischen Berlin und Dresden.
Aber diese Masse der Blutkörperchen hat einen tiefen Sinn. Ihre enorme Fläche in den Menschenleib hinein auf¬ gewickelt und langsam immerzu wie an einer Walze durch die Lunge gezogen, giebt das riesige Saugfeld ab, das den dir nötigen Sauerstoff aus der Luft in sich nimmt und damit dein ganzes Leben nährt und erhält. Bei jenen zahllos verpulverten Eiern ist dagegen ein Zweck in diesem Sinne nicht zu entdecken. Wohl aber stellt sich gerade hier der Gedanke ein, welch köst¬ liches Gut an sich gerade da verpulvert werde. In jeder dieser Eizellen steckt nicht nur ein Individuum, ein Zellseelchen, -- es steckt darin jene konzentrierteste Kraft des ganzen Eltern¬ daseins und aller Ahnenvergangenheit, -- jene mysteriöse Kraft, die gerade solche Eizelle befähigt, im günstigen Falle (nach ihrer Vermählung mit der Samenzelle) einen ganzen neuen Menschen wieder auf den Plan zu stellen. Körper wie Seele der Mutter, alles, was das Kind von der Mutter un¬ mittelbar mitbekommt, liegen in diesem Zellchen schon wie der Halm im Weizenkörnlein eingegraben. Ein winzigstes Krystall¬ spiegelchen ist dieses lebendige Stäubchen Stoff, aber in diesem Spiegel steht noch einmal das ganze riesige Körperbild, -- als wahrer Mikrokosmos enthält jedes dieser Eistäubchen den ganzen Makrokosmos der Mutter und all ihrer Ahnen noch einmal
Zellmaterial unſeres Körpers glatt nebeneinander aufgereiht dächte. Die roten Blutkörperchen, die deinem Blute die rote Farbe geben und von denen jedes wenigſtens eine verkümmerte Zelle darſtellt, ſind noch viel kleiner als die einzelnen Eizellen, und mit bloßem Auge gewahrſt du bloß die rote Farbe am Blut, erkennſt aber keines der Einzelkörperchen. Aber ihre Zahl geht in dir allein bis auf fünfundzwanzig Milliarden. Und denkſt du dir dieſe fünfundzwanzig Milliarden roter Blut¬ körperchen ebenſo als Perlenſchnur aneinander gereiht, ſo kommt die ungeheuerliche Strecke jetzt heraus von rund zweihundert Kilometern, alſo mehr als die Kilometerlänge etwa der direkten Eiſenbahnlinie zwiſchen Berlin und Dresden.
Aber dieſe Maſſe der Blutkörperchen hat einen tiefen Sinn. Ihre enorme Fläche in den Menſchenleib hinein auf¬ gewickelt und langſam immerzu wie an einer Walze durch die Lunge gezogen, giebt das rieſige Saugfeld ab, das den dir nötigen Sauerſtoff aus der Luft in ſich nimmt und damit dein ganzes Leben nährt und erhält. Bei jenen zahllos verpulverten Eiern iſt dagegen ein Zweck in dieſem Sinne nicht zu entdecken. Wohl aber ſtellt ſich gerade hier der Gedanke ein, welch köſt¬ liches Gut an ſich gerade da verpulvert werde. In jeder dieſer Eizellen ſteckt nicht nur ein Individuum, ein Zellſeelchen, — es ſteckt darin jene konzentrierteſte Kraft des ganzen Eltern¬ daſeins und aller Ahnenvergangenheit, — jene myſteriöſe Kraft, die gerade ſolche Eizelle befähigt, im günſtigen Falle (nach ihrer Vermählung mit der Samenzelle) einen ganzen neuen Menſchen wieder auf den Plan zu ſtellen. Körper wie Seele der Mutter, alles, was das Kind von der Mutter un¬ mittelbar mitbekommt, liegen in dieſem Zellchen ſchon wie der Halm im Weizenkörnlein eingegraben. Ein winzigſtes Kryſtall¬ ſpiegelchen iſt dieſes lebendige Stäubchen Stoff, aber in dieſem Spiegel ſteht noch einmal das ganze rieſige Körperbild, — als wahrer Mikrokosmos enthält jedes dieſer Eiſtäubchen den ganzen Makrokosmos der Mutter und all ihrer Ahnen noch einmal
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Zellmaterial unſeres Körpers glatt nebeneinander aufgereiht
dächte. Die roten Blutkörperchen, die deinem Blute die rote
Farbe geben und von denen jedes wenigſtens eine verkümmerte
Zelle darſtellt, ſind noch viel kleiner als die einzelnen Eizellen,
und mit bloßem Auge gewahrſt du bloß die rote Farbe am
Blut, erkennſt aber keines der Einzelkörperchen. Aber ihre
Zahl geht in dir allein bis auf fünfundzwanzig Milliarden.
Und denkſt du dir dieſe fünfundzwanzig Milliarden roter Blut¬
körperchen ebenſo als Perlenſchnur aneinander gereiht, ſo kommt
die ungeheuerliche Strecke jetzt heraus von rund zweihundert
Kilometern, alſo mehr als die Kilometerlänge etwa der direkten
Eiſenbahnlinie zwiſchen Berlin und Dresden.
Aber dieſe Maſſe der Blutkörperchen hat einen tiefen
Sinn. Ihre enorme Fläche in den Menſchenleib hinein auf¬
gewickelt und langſam immerzu wie an einer Walze durch die
Lunge gezogen, giebt das rieſige Saugfeld ab, das den dir
nötigen Sauerſtoff aus der Luft in ſich nimmt und damit dein
ganzes Leben nährt und erhält. Bei jenen zahllos verpulverten
Eiern iſt dagegen ein Zweck in dieſem Sinne nicht zu entdecken.
Wohl aber ſtellt ſich gerade hier der Gedanke ein, welch köſt¬
liches Gut an ſich gerade da verpulvert werde. In jeder dieſer
Eizellen ſteckt nicht nur ein Individuum, ein Zellſeelchen, —
es ſteckt darin jene konzentrierteſte Kraft des ganzen Eltern¬
daſeins und aller Ahnenvergangenheit, — jene myſteriöſe
Kraft, die gerade ſolche Eizelle befähigt, im günſtigen Falle
(nach ihrer Vermählung mit der Samenzelle) einen ganzen
neuen Menſchen wieder auf den Plan zu ſtellen. Körper wie
Seele der Mutter, alles, was das Kind von der Mutter un¬
mittelbar mitbekommt, liegen in dieſem Zellchen ſchon wie der
Halm im Weizenkörnlein eingegraben. Ein winzigſtes Kryſtall¬
ſpiegelchen iſt dieſes lebendige Stäubchen Stoff, aber in dieſem
Spiegel ſteht noch einmal das ganze rieſige Körperbild, — als
wahrer Mikrokosmos enthält jedes dieſer Eiſtäubchen den ganzen
Makrokosmos der Mutter und all ihrer Ahnen noch einmal
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Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 2. Leipzig, 1900, S. 172. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boelsche_liebesleben02_1900/188>, abgerufen am 22.11.2024.
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