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Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 2. Leipzig, 1900.

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Tischdecke darum herum überpulvert mit goldenem Staub, --
mit dem Haselsamen. Wo immer du in ihrer Liebeszeit unter
den grünen Sonnenkindern wandelst, da umschwebt dich dieser
Samengruß, aus Millionen und Millionen Köpfchen, Zäpfchen,
Kätzchen auf gut Glück der rauschenden Luftwelle anvertraut.
Vom Grasplan und vom Kornfeld schwillt es wie zarter, be¬
rauschender Duft. Aus den Kiefernkronen des Waldes wogt
es nieder wie aphrodisischer Rauch, jeder Zapfen da oben eine
Liebesflamme, von der ungezählte Pfeile strahlen. Ja, un¬
gezählte, unzählbare. Um den Raum von fünf Metern zwischen
zwei Nesselstauden zu überbrücken, werden Milliarden von
Samenzellen verbraucht. Wo gesellige Pflanzen viele Quadrat¬
meilen des Erdbodens in geringem Abstande voneinander be¬
decken, da wird jene höchste Steigerung fast wahr gemacht, daß
die ganze Luftsäule darüber sich zeitweise mit Samenstaub
durchsetze. Zeus, der auf einer befruchtenden Wolke über
seine schöne Nymphe kam, wird zur Wirklichkeit. Goldene
Wolken erheben sich im Anstoß des Windes vom Kiefernwald
und fallen weithin auf Laubgehölz und Wiesen ein. Der
Regen greift hindurch: da ballt es sich im Gewitternaß zu
goldenen Strömen, die das Volk abergläubisch als Schwefel¬
regen bestaunt. Ja, vor Äonen muß das auf Erden ein
noch viel gigantischeres Schauspiel gewesen sein. Über Erdteile
weg dehnten sich in der sogenannten Steinkohlenperiode endlose
einförmige Urwälder von Farrnkräutern, Schachtelhalmen und
Bärlappgewächsen. Du kennst den Bärlappsamen, das Hexen¬
mehl, das weich wie ein Hauch dahinschwillt. Denke dir Erd¬
teile überwuchert mit solchem Bärlappkraut in haushohen
Stämmen, und davon zur Sonne empordampfend jetzt den
Hexenrauch. Einem fernen Beschauer vom Weltraume her
hätte es vielleicht wie ein zarter Goldschimmer über der Erd¬
kugel geschwebt. Und wenn die ungeheuren Platzregen einer
feuchten Sumpfzeit durch dieses Liebesnetz brachen, rissen sich
schwefelgelbe Schlammströme ihre Bahn und im Flußdelta

Tiſchdecke darum herum überpulvert mit goldenem Staub, —
mit dem Haſelſamen. Wo immer du in ihrer Liebeszeit unter
den grünen Sonnenkindern wandelſt, da umſchwebt dich dieſer
Samengruß, aus Millionen und Millionen Köpfchen, Zäpfchen,
Kätzchen auf gut Glück der rauſchenden Luftwelle anvertraut.
Vom Grasplan und vom Kornfeld ſchwillt es wie zarter, be¬
rauſchender Duft. Aus den Kiefernkronen des Waldes wogt
es nieder wie aphrodiſiſcher Rauch, jeder Zapfen da oben eine
Liebesflamme, von der ungezählte Pfeile ſtrahlen. Ja, un¬
gezählte, unzählbare. Um den Raum von fünf Metern zwiſchen
zwei Neſſelſtauden zu überbrücken, werden Milliarden von
Samenzellen verbraucht. Wo geſellige Pflanzen viele Quadrat¬
meilen des Erdbodens in geringem Abſtande voneinander be¬
decken, da wird jene höchſte Steigerung faſt wahr gemacht, daß
die ganze Luftſäule darüber ſich zeitweiſe mit Samenſtaub
durchſetze. Zeus, der auf einer befruchtenden Wolke über
ſeine ſchöne Nymphe kam, wird zur Wirklichkeit. Goldene
Wolken erheben ſich im Anſtoß des Windes vom Kiefernwald
und fallen weithin auf Laubgehölz und Wieſen ein. Der
Regen greift hindurch: da ballt es ſich im Gewitternaß zu
goldenen Strömen, die das Volk abergläubiſch als Schwefel¬
regen beſtaunt. Ja, vor Äonen muß das auf Erden ein
noch viel gigantiſcheres Schauſpiel geweſen ſein. Über Erdteile
weg dehnten ſich in der ſogenannten Steinkohlenperiode endloſe
einförmige Urwälder von Farrnkräutern, Schachtelhalmen und
Bärlappgewächſen. Du kennſt den Bärlappſamen, das Hexen¬
mehl, das weich wie ein Hauch dahinſchwillt. Denke dir Erd¬
teile überwuchert mit ſolchem Bärlappkraut in haushohen
Stämmen, und davon zur Sonne empordampfend jetzt den
Hexenrauch. Einem fernen Beſchauer vom Weltraume her
hätte es vielleicht wie ein zarter Goldſchimmer über der Erd¬
kugel geſchwebt. Und wenn die ungeheuren Platzregen einer
feuchten Sumpfzeit durch dieſes Liebesnetz brachen, riſſen ſich
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[200/0216] Tiſchdecke darum herum überpulvert mit goldenem Staub, — mit dem Haſelſamen. Wo immer du in ihrer Liebeszeit unter den grünen Sonnenkindern wandelſt, da umſchwebt dich dieſer Samengruß, aus Millionen und Millionen Köpfchen, Zäpfchen, Kätzchen auf gut Glück der rauſchenden Luftwelle anvertraut. Vom Grasplan und vom Kornfeld ſchwillt es wie zarter, be¬ rauſchender Duft. Aus den Kiefernkronen des Waldes wogt es nieder wie aphrodiſiſcher Rauch, jeder Zapfen da oben eine Liebesflamme, von der ungezählte Pfeile ſtrahlen. Ja, un¬ gezählte, unzählbare. Um den Raum von fünf Metern zwiſchen zwei Neſſelſtauden zu überbrücken, werden Milliarden von Samenzellen verbraucht. Wo geſellige Pflanzen viele Quadrat¬ meilen des Erdbodens in geringem Abſtande voneinander be¬ decken, da wird jene höchſte Steigerung faſt wahr gemacht, daß die ganze Luftſäule darüber ſich zeitweiſe mit Samenſtaub durchſetze. Zeus, der auf einer befruchtenden Wolke über ſeine ſchöne Nymphe kam, wird zur Wirklichkeit. Goldene Wolken erheben ſich im Anſtoß des Windes vom Kiefernwald und fallen weithin auf Laubgehölz und Wieſen ein. Der Regen greift hindurch: da ballt es ſich im Gewitternaß zu goldenen Strömen, die das Volk abergläubiſch als Schwefel¬ regen beſtaunt. Ja, vor Äonen muß das auf Erden ein noch viel gigantiſcheres Schauſpiel geweſen ſein. Über Erdteile weg dehnten ſich in der ſogenannten Steinkohlenperiode endloſe einförmige Urwälder von Farrnkräutern, Schachtelhalmen und Bärlappgewächſen. Du kennſt den Bärlappſamen, das Hexen¬ mehl, das weich wie ein Hauch dahinſchwillt. Denke dir Erd¬ teile überwuchert mit ſolchem Bärlappkraut in haushohen Stämmen, und davon zur Sonne empordampfend jetzt den Hexenrauch. Einem fernen Beſchauer vom Weltraume her hätte es vielleicht wie ein zarter Goldſchimmer über der Erd¬ kugel geſchwebt. Und wenn die ungeheuren Platzregen einer feuchten Sumpfzeit durch dieſes Liebesnetz brachen, riſſen ſich ſchwefelgelbe Schlammſtröme ihre Bahn und im Flußdelta

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Zitationshilfe: Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 2. Leipzig, 1900, S. 200. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boelsche_liebesleben02_1900/216>, abgerufen am 24.11.2024.