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Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 2. Leipzig, 1900.

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Wir wollen die Sache jetzt nun nicht pathetisch anschauen,
sondern einmal recht friedlich naturgeschichtlich.

Schließlich kommt's ja mit dem "Unappetitlichen" auch so
auf den Standpunkt an.

Da hinten am Seeufer lag eine tote Katze angespült.
Ich glaube wir sind uns darüber einig, daß eine solche
vom Fäulnisgas prall aufgetriebene, von giftigen Fliegen
umschwärmte, die schöne Frühlingsluft weithin verpestende
Wasserleiche so ziemlich den untersten Abgrund alles ästhetisch
Scheußlichen für uns darstellt. Und doch wette ich, wenn ich
dich jetzt zur Größe eines Fäulnisbazillus herabzaubern könnte
und dich dann in diese Wasserleiche versetzte, ohne dir zu
sagen, wo du seiest, -- ich wette, du würdest dich auf einem
Böcklinschen Gefilde der Seligen voller Farbenwunder glauben.
Da wölbte sich über dir eine smaragdgrüne, vom durchglühenden
Lichtäther wunderbar magisch erhellte Himmelskuppel, und in
ihrem Glanze schautest du in eine Landschaft, wie sie ein
modernes Malerherz träumt: blutrote Berge, himmelblaue
Wälder und ein ockergelbes Meer. Ein blauschwarzes Riesen¬
nilpferd wandelte mitten im Feld, und aus dem Meer schnellten
sich silberweiße Delphine in der Größe von Walfischen. Der
Himmel wäre nämlich die verwesungsgrün aufgetriebene Bauch¬
decke der Wasserkatze und die sämtlichen anderen Böcklinfarben
gehörten den unterschiedlichen faulenden Eingeweiden und
Flüssigkeiten an, zwischen die ein Mistkäfer eingedrungen ist
und in denen die Maden wühlen. Es liegt eben alles an
der Stellung. Wenn du umgekehrt als ein ungeheurer Licht¬
geist vom Sirius herabstiegest, so könnte es recht wohl geschehen,
daß dir diese ganze Erde wie eine schmutzige Wasserleiche vor¬
käme, ausgespuckt vom großen Lichtsee der lebendigen Feuer¬
welten. Der heilige azurblaue Himmel mit seinen keuschen
Wasserbläschen, der da oben über dir strahlt, erschiene dir
wie eine ekle Verwesungshaut auf diesem armseligen, nicht
mehr selbstleuchtenden Erdenexkrement, und unter dieser scheu߬

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Wir wollen die Sache jetzt nun nicht pathetiſch anſchauen,
ſondern einmal recht friedlich naturgeſchichtlich.

Schließlich kommt's ja mit dem „Unappetitlichen“ auch ſo
auf den Standpunkt an.

Da hinten am Seeufer lag eine tote Katze angeſpült.
Ich glaube wir ſind uns darüber einig, daß eine ſolche
vom Fäulnisgas prall aufgetriebene, von giftigen Fliegen
umſchwärmte, die ſchöne Frühlingsluft weithin verpeſtende
Waſſerleiche ſo ziemlich den unterſten Abgrund alles äſthetiſch
Scheußlichen für uns darſtellt. Und doch wette ich, wenn ich
dich jetzt zur Größe eines Fäulnisbazillus herabzaubern könnte
und dich dann in dieſe Waſſerleiche verſetzte, ohne dir zu
ſagen, wo du ſeieſt, — ich wette, du würdeſt dich auf einem
Böcklinſchen Gefilde der Seligen voller Farbenwunder glauben.
Da wölbte ſich über dir eine ſmaragdgrüne, vom durchglühenden
Lichtäther wunderbar magiſch erhellte Himmelskuppel, und in
ihrem Glanze ſchauteſt du in eine Landſchaft, wie ſie ein
modernes Malerherz träumt: blutrote Berge, himmelblaue
Wälder und ein ockergelbes Meer. Ein blauſchwarzes Rieſen¬
nilpferd wandelte mitten im Feld, und aus dem Meer ſchnellten
ſich ſilberweiße Delphine in der Größe von Walfiſchen. Der
Himmel wäre nämlich die verweſungsgrün aufgetriebene Bauch¬
decke der Waſſerkatze und die ſämtlichen anderen Böcklinfarben
gehörten den unterſchiedlichen faulenden Eingeweiden und
Flüſſigkeiten an, zwiſchen die ein Miſtkäfer eingedrungen iſt
und in denen die Maden wühlen. Es liegt eben alles an
der Stellung. Wenn du umgekehrt als ein ungeheurer Licht¬
geiſt vom Sirius herabſtiegeſt, ſo könnte es recht wohl geſchehen,
daß dir dieſe ganze Erde wie eine ſchmutzige Waſſerleiche vor¬
käme, ausgeſpuckt vom großen Lichtſee der lebendigen Feuer¬
welten. Der heilige azurblaue Himmel mit ſeinen keuſchen
Waſſerbläschen, der da oben über dir ſtrahlt, erſchiene dir
wie eine ekle Verweſungshaut auf dieſem armſeligen, nicht
mehr ſelbſtleuchtenden Erdenexkrement, und unter dieſer ſcheu߬

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[241/0257] Wir wollen die Sache jetzt nun nicht pathetiſch anſchauen, ſondern einmal recht friedlich naturgeſchichtlich. Schließlich kommt's ja mit dem „Unappetitlichen“ auch ſo auf den Standpunkt an. Da hinten am Seeufer lag eine tote Katze angeſpült. Ich glaube wir ſind uns darüber einig, daß eine ſolche vom Fäulnisgas prall aufgetriebene, von giftigen Fliegen umſchwärmte, die ſchöne Frühlingsluft weithin verpeſtende Waſſerleiche ſo ziemlich den unterſten Abgrund alles äſthetiſch Scheußlichen für uns darſtellt. Und doch wette ich, wenn ich dich jetzt zur Größe eines Fäulnisbazillus herabzaubern könnte und dich dann in dieſe Waſſerleiche verſetzte, ohne dir zu ſagen, wo du ſeieſt, — ich wette, du würdeſt dich auf einem Böcklinſchen Gefilde der Seligen voller Farbenwunder glauben. Da wölbte ſich über dir eine ſmaragdgrüne, vom durchglühenden Lichtäther wunderbar magiſch erhellte Himmelskuppel, und in ihrem Glanze ſchauteſt du in eine Landſchaft, wie ſie ein modernes Malerherz träumt: blutrote Berge, himmelblaue Wälder und ein ockergelbes Meer. Ein blauſchwarzes Rieſen¬ nilpferd wandelte mitten im Feld, und aus dem Meer ſchnellten ſich ſilberweiße Delphine in der Größe von Walfiſchen. Der Himmel wäre nämlich die verweſungsgrün aufgetriebene Bauch¬ decke der Waſſerkatze und die ſämtlichen anderen Böcklinfarben gehörten den unterſchiedlichen faulenden Eingeweiden und Flüſſigkeiten an, zwiſchen die ein Miſtkäfer eingedrungen iſt und in denen die Maden wühlen. Es liegt eben alles an der Stellung. Wenn du umgekehrt als ein ungeheurer Licht¬ geiſt vom Sirius herabſtiegeſt, ſo könnte es recht wohl geſchehen, daß dir dieſe ganze Erde wie eine ſchmutzige Waſſerleiche vor¬ käme, ausgeſpuckt vom großen Lichtſee der lebendigen Feuer¬ welten. Der heilige azurblaue Himmel mit ſeinen keuſchen Waſſerbläschen, der da oben über dir ſtrahlt, erſchiene dir wie eine ekle Verweſungshaut auf dieſem armſeligen, nicht mehr ſelbſtleuchtenden Erdenexkrement, und unter dieſer ſcheu߬ 16

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Zitationshilfe: Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 2. Leipzig, 1900, S. 241. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boelsche_liebesleben02_1900/257>, abgerufen am 22.11.2024.