Bis an diese Stufe der Entwickelung heran ist der Sachverhalt vielfältig, ja ursprünglich vielleicht ganz allgemein, so gewesen, daß deine Ahnen Hermaphroditen waren.
Das heißt: jedes Einzeltier erzeugte sowohl Samen wie Eier in sich.
Erinnere dich an das, was ich dir früher von den Schnecken und den Blutegeln erzählt habe. Diese Zwitter- Anlage bedeutet nicht, daß jedes Wesen nun nach Begehr sich selber begatten konnte. Immer auch so mußten zwei Einzel¬ wesen zusammen. Bloß daß strenggenommen keines ganz Männchen, keines ganz Weibchen war. Jedes gab dem anderen Samen für dessen Eier und erhielt umgekehrt für seine eigenen Eier auch wieder Samen von dort. Jedes war zeitlebens ein "Hermaphroditos." Du kennst die hübsche Ge¬ schichte aus der griechischen Mythologie? Dieser Mythologie eines Volkes von Weisen, das alles dumpfe Grübeln des Orients in liebliche Kunstbilder umgeschaffen hat. Der brave Hermaphroditos ist ein Sohn des Hermes und der -- mytho¬ logisch stets bereiten, obwohl anderweitig verheirateten, Aphrodite. Er badet in einer Quelle, die Quellnymphe, deren Wasserleib seine schönen Jünglingsglieder berühren, verliebt sich in ihn, und auf ihr Gebet lassen die Götter der Beiden Leiber zu einem einzigen Wesen zusamenschmelzen, das nun Weib zu¬ gleich ist und Mann.
So hübsch kann die Zoologie es ja nicht erzählen. Sie berichtet dir von Schnecken und Regenwürmern. Aber als Thatsache jenseits von aller luftigen Mythologie stellt sie jedenfalls fest, daß auch ziemlich hoch in deinen Menschen¬ stammbaum hinauf noch eine ganz naive, uralthergebrachte Hermaphroditerei geherrscht hat.
Bei deinen Wurmvätern war sie einfach gang und gebe. Jene kartoffelartig scheußlichen Ascidien an der Schwelle des Wirbeltiers, Onkels wohl mindestens von dir, wissen es noch nicht anders als so. Aber selbst echte Fische "zwittern" ganz
Bis an dieſe Stufe der Entwickelung heran iſt der Sachverhalt vielfältig, ja urſprünglich vielleicht ganz allgemein, ſo geweſen, daß deine Ahnen Hermaphroditen waren.
Das heißt: jedes Einzeltier erzeugte ſowohl Samen wie Eier in ſich.
Erinnere dich an das, was ich dir früher von den Schnecken und den Blutegeln erzählt habe. Dieſe Zwitter- Anlage bedeutet nicht, daß jedes Weſen nun nach Begehr ſich ſelber begatten konnte. Immer auch ſo mußten zwei Einzel¬ weſen zuſammen. Bloß daß ſtrenggenommen keines ganz Männchen, keines ganz Weibchen war. Jedes gab dem anderen Samen für deſſen Eier und erhielt umgekehrt für ſeine eigenen Eier auch wieder Samen von dort. Jedes war zeitlebens ein „Hermaphroditos.“ Du kennſt die hübſche Ge¬ ſchichte aus der griechiſchen Mythologie? Dieſer Mythologie eines Volkes von Weiſen, das alles dumpfe Grübeln des Orients in liebliche Kunſtbilder umgeſchaffen hat. Der brave Hermaphroditos iſt ein Sohn des Hermes und der — mytho¬ logiſch ſtets bereiten, obwohl anderweitig verheirateten, Aphrodite. Er badet in einer Quelle, die Quellnymphe, deren Waſſerleib ſeine ſchönen Jünglingsglieder berühren, verliebt ſich in ihn, und auf ihr Gebet laſſen die Götter der Beiden Leiber zu einem einzigen Weſen zuſamenſchmelzen, das nun Weib zu¬ gleich iſt und Mann.
So hübſch kann die Zoologie es ja nicht erzählen. Sie berichtet dir von Schnecken und Regenwürmern. Aber als Thatſache jenſeits von aller luftigen Mythologie ſtellt ſie jedenfalls feſt, daß auch ziemlich hoch in deinen Menſchen¬ ſtammbaum hinauf noch eine ganz naive, uralthergebrachte Hermaphroditerei geherrſcht hat.
Bei deinen Wurmvätern war ſie einfach gang und gebe. Jene kartoffelartig ſcheußlichen Ascidien an der Schwelle des Wirbeltiers, Onkels wohl mindeſtens von dir, wiſſen es noch nicht anders als ſo. Aber ſelbſt echte Fiſche „zwittern“ ganz
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Bis an dieſe Stufe der Entwickelung heran iſt der
Sachverhalt vielfältig, ja urſprünglich vielleicht ganz allgemein,
ſo geweſen, daß deine Ahnen Hermaphroditen waren.
Das heißt: jedes Einzeltier erzeugte ſowohl Samen wie
Eier in ſich.
Erinnere dich an das, was ich dir früher von den
Schnecken und den Blutegeln erzählt habe. Dieſe Zwitter-
Anlage bedeutet nicht, daß jedes Weſen nun nach Begehr ſich
ſelber begatten konnte. Immer auch ſo mußten zwei Einzel¬
weſen zuſammen. Bloß daß ſtrenggenommen keines ganz
Männchen, keines ganz Weibchen war. Jedes gab dem
anderen Samen für deſſen Eier und erhielt umgekehrt für
ſeine eigenen Eier auch wieder Samen von dort. Jedes war
zeitlebens ein „Hermaphroditos.“ Du kennſt die hübſche Ge¬
ſchichte aus der griechiſchen Mythologie? Dieſer Mythologie
eines Volkes von Weiſen, das alles dumpfe Grübeln des
Orients in liebliche Kunſtbilder umgeſchaffen hat. Der brave
Hermaphroditos iſt ein Sohn des Hermes und der — mytho¬
logiſch ſtets bereiten, obwohl anderweitig verheirateten, Aphrodite.
Er badet in einer Quelle, die Quellnymphe, deren Waſſerleib
ſeine ſchönen Jünglingsglieder berühren, verliebt ſich in ihn,
und auf ihr Gebet laſſen die Götter der Beiden Leiber zu
einem einzigen Weſen zuſamenſchmelzen, das nun Weib zu¬
gleich iſt und Mann.
So hübſch kann die Zoologie es ja nicht erzählen. Sie
berichtet dir von Schnecken und Regenwürmern. Aber als
Thatſache jenſeits von aller luftigen Mythologie ſtellt ſie
jedenfalls feſt, daß auch ziemlich hoch in deinen Menſchen¬
ſtammbaum hinauf noch eine ganz naive, uralthergebrachte
Hermaphroditerei geherrſcht hat.
Bei deinen Wurmvätern war ſie einfach gang und gebe.
Jene kartoffelartig ſcheußlichen Ascidien an der Schwelle des
Wirbeltiers, Onkels wohl mindeſtens von dir, wiſſen es noch
nicht anders als ſo. Aber ſelbſt echte Fiſche „zwittern“ ganz
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Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 2. Leipzig, 1900, S. 250. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boelsche_liebesleben02_1900/266>, abgerufen am 25.11.2024.
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