selbst erledigen und plötzlich wird eine Wahrheit sein, was so lange öffentliches Geheimnis war: daß Melusine nicht ein Tier¬ mensch ist, sondern ein Halbgott.
Nicht als ob das Mysterium der Zeugung selbst hinaus¬ gezerrt werden sollte auf die Gasse. So wenig das Mysterium einer Beethovenschen Symphonie anders ausgeteilt und genossen werden kann, als von Wenigen in abgeschlossener Weihe der Stimmung und des Orts, -- so wenig wird dieses allertiefste Mysterium der Menschheit jemals seine heilige Einsamkeit ver¬ lieren, die Einsamkeit des Doppelmenschen, der zum Liebes¬ individuum verschmilzt und dabei jede Gegenwart eines Dritten als profanste Störung empfindet, weil er in dem Augenblick sich als die ganze Menschheit fühlt und keine fremden Einzel¬ menschen noch abgelöst neben sich dulden kann.
Aber was wir uns zurück erringen müssen, das ist die tiefe sittliche Überzeugung, daß diese Einsamkeit nicht die Iso¬ lierung der Schlechtigkeit, der Unanständigkeit, sondern die heilige Einsamkeit des Opfernden auf dem Altar der Mensch¬ heit bedente. Verhängnisvolle Kette der Irrtümer. Vor das Heilige, das übermenschlich Große wurde ein Schleier gezogen, um es vor Profanierung zu wahren. Und in der profanen Masse wohnte sich der Glanbe ein, der Schleier sei gezogen, um etwas ewig Unanständiges zu verdecken! Was auch nur als äußeres Symbol daran erinnerte, was als einzelner Licht¬ strahl hier und da doch durch den Spalt des Vorhangs drang, das verfiel dem Bann der entfesselten Unanständigkeit. Der heilige Tempelvorhang des Aktes wurde zum Kerker, in dem der unsaubere Geist an Ketten lag, um die unschuldige Welt nicht zu vergiften. Der Zug kehrt in der wirklichen Religions¬ geschichte öfter wieder. Geheimkulte von höchster Reinheit werden in der Meinung schließlich zu schauderhaften Teufels¬ orgien verkehrt. Das keusche Frühlingsopfer im geheimnis¬ vollen nachtverhangenen Maienwalde wird zum Hexenspuk, der das Taglicht ob seiner Unsauberkeit scheut. Mit diesem historisch
ſelbſt erledigen und plötzlich wird eine Wahrheit ſein, was ſo lange öffentliches Geheimnis war: daß Meluſine nicht ein Tier¬ menſch iſt, ſondern ein Halbgott.
Nicht als ob das Myſterium der Zeugung ſelbſt hinaus¬ gezerrt werden ſollte auf die Gaſſe. So wenig das Myſterium einer Beethovenſchen Symphonie anders ausgeteilt und genoſſen werden kann, als von Wenigen in abgeſchloſſener Weihe der Stimmung und des Orts, — ſo wenig wird dieſes allertiefſte Myſterium der Menſchheit jemals ſeine heilige Einſamkeit ver¬ lieren, die Einſamkeit des Doppelmenſchen, der zum Liebes¬ individuum verſchmilzt und dabei jede Gegenwart eines Dritten als profanſte Störung empfindet, weil er in dem Augenblick ſich als die ganze Menſchheit fühlt und keine fremden Einzel¬ menſchen noch abgelöſt neben ſich dulden kann.
Aber was wir uns zurück erringen müſſen, das iſt die tiefe ſittliche Überzeugung, daß dieſe Einſamkeit nicht die Iſo¬ lierung der Schlechtigkeit, der Unanſtändigkeit, ſondern die heilige Einſamkeit des Opfernden auf dem Altar der Menſch¬ heit bedente. Verhängnisvolle Kette der Irrtümer. Vor das Heilige, das übermenſchlich Große wurde ein Schleier gezogen, um es vor Profanierung zu wahren. Und in der profanen Maſſe wohnte ſich der Glanbe ein, der Schleier ſei gezogen, um etwas ewig Unanſtändiges zu verdecken! Was auch nur als äußeres Symbol daran erinnerte, was als einzelner Licht¬ ſtrahl hier und da doch durch den Spalt des Vorhangs drang, das verfiel dem Bann der entfeſſelten Unanſtändigkeit. Der heilige Tempelvorhang des Aktes wurde zum Kerker, in dem der unſaubere Geiſt an Ketten lag, um die unſchuldige Welt nicht zu vergiften. Der Zug kehrt in der wirklichen Religions¬ geſchichte öfter wieder. Geheimkulte von höchſter Reinheit werden in der Meinung ſchließlich zu ſchauderhaften Teufels¬ orgien verkehrt. Das keuſche Frühlingsopfer im geheimnis¬ vollen nachtverhangenen Maienwalde wird zum Hexenſpuk, der das Taglicht ob ſeiner Unſauberkeit ſcheut. Mit dieſem hiſtoriſch
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ſelbſt erledigen und plötzlich wird eine Wahrheit ſein, was ſo lange
öffentliches Geheimnis war: daß Meluſine nicht ein Tier¬
menſch iſt, ſondern ein Halbgott.
Nicht als ob das Myſterium der Zeugung ſelbſt hinaus¬
gezerrt werden ſollte auf die Gaſſe. So wenig das Myſterium
einer Beethovenſchen Symphonie anders ausgeteilt und genoſſen
werden kann, als von Wenigen in abgeſchloſſener Weihe der
Stimmung und des Orts, — ſo wenig wird dieſes allertiefſte
Myſterium der Menſchheit jemals ſeine heilige Einſamkeit ver¬
lieren, die Einſamkeit des Doppelmenſchen, der zum Liebes¬
individuum verſchmilzt und dabei jede Gegenwart eines Dritten
als profanſte Störung empfindet, weil er in dem Augenblick
ſich als die ganze Menſchheit fühlt und keine fremden Einzel¬
menſchen noch abgelöſt neben ſich dulden kann.
Aber was wir uns zurück erringen müſſen, das iſt die
tiefe ſittliche Überzeugung, daß dieſe Einſamkeit nicht die Iſo¬
lierung der Schlechtigkeit, der Unanſtändigkeit, ſondern die
heilige Einſamkeit des Opfernden auf dem Altar der Menſch¬
heit bedente. Verhängnisvolle Kette der Irrtümer. Vor das
Heilige, das übermenſchlich Große wurde ein Schleier gezogen,
um es vor Profanierung zu wahren. Und in der profanen
Maſſe wohnte ſich der Glanbe ein, der Schleier ſei gezogen,
um etwas ewig Unanſtändiges zu verdecken! Was auch nur
als äußeres Symbol daran erinnerte, was als einzelner Licht¬
ſtrahl hier und da doch durch den Spalt des Vorhangs drang,
das verfiel dem Bann der entfeſſelten Unanſtändigkeit. Der
heilige Tempelvorhang des Aktes wurde zum Kerker, in dem
der unſaubere Geiſt an Ketten lag, um die unſchuldige Welt
nicht zu vergiften. Der Zug kehrt in der wirklichen Religions¬
geſchichte öfter wieder. Geheimkulte von höchſter Reinheit
werden in der Meinung ſchließlich zu ſchauderhaften Teufels¬
orgien verkehrt. Das keuſche Frühlingsopfer im geheimnis¬
vollen nachtverhangenen Maienwalde wird zum Hexenſpuk, der
das Taglicht ob ſeiner Unſauberkeit ſcheut. Mit dieſem hiſtoriſch
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Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 2. Leipzig, 1900, S. 266. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boelsche_liebesleben02_1900/282>, abgerufen am 22.11.2024.
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