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Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 2. Leipzig, 1900.

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als eine einfach logische Vollziehung, deren Keim schon jetzt
im Herzen gerade jedes echt reinen und keuschen Menschen
lebt und leben muß, weil sich gewisse ganz schlichte, ganz
bettelwahre Thatsachen der Erkenntnis weder mit Schlafrock¬
fetzen noch mit Rosenkränzen mehr dauernd verhängen lassen.

Diese Rehabilitierung eines Unanständigen in etwas Heiliges
wird eine ganz andere Waffe gegen alle wirkliche "Unsittlich¬
keit" darstellen, ja die erste überhaupt brauchbare. Indem sie
von dem an sich Heiligen des Aktes selber ausgeht wie von
einer festen Burg und von da die groben Profanierungen
mißt und verwirft. Während unser heutiger Kampf gegen das
Unsittliche zumeist noch bloß ein versteckter Kampf wider die
Sache selber ist, die man nicht als das höchste und reinste
Mysterium des ganzen Menschenlebens, sondern als eine ver¬
hüllenswerte Schwäche, Niedrigkeit, ja als eine Art leidig
notwendiger Teufelei anzusehen gelernt hat.

Inzwischen wird die geschichtliche Auffassung von der
Entstehung der Dinge aber auch hier ein Stück Weges zur
Verständigung sein auf alle Fälle.

[Abbildung]

Wenn es auf ihn regnet, so wird der Berliner so gut
naß wie der Südsee-Insulaner. Deßwegen braucht weder
die Regenwolke über den beiden die gleiche zu sein, noch
muß der Berliner etwa deßwegen ein Samoaner sein. Ganz
im Sinne dieses schlichten Satzes sind zu ganz verschiedenen
Zeiten am ganz verschiedenen Ort von höchst unterschiedlichen
Tieren doch gleiche Organe gebildet worden. Dieselbe körper¬
liche Erfindung ist so und so oft gemacht worden, je nachdem
der Regen äußerer Nötigung fiel. Die Schnecke, das Insekt,
der Fisch sind an drei grundlegend verschiedenen Ecken der
Tierheit aus dem Wasser ans Land gekrochen und haben im

als eine einfach logiſche Vollziehung, deren Keim ſchon jetzt
im Herzen gerade jedes echt reinen und keuſchen Menſchen
lebt und leben muß, weil ſich gewiſſe ganz ſchlichte, ganz
bettelwahre Thatſachen der Erkenntnis weder mit Schlafrock¬
fetzen noch mit Roſenkränzen mehr dauernd verhängen laſſen.

Dieſe Rehabilitierung eines Unanſtändigen in etwas Heiliges
wird eine ganz andere Waffe gegen alle wirkliche „Unſittlich¬
keit“ darſtellen, ja die erſte überhaupt brauchbare. Indem ſie
von dem an ſich Heiligen des Aktes ſelber ausgeht wie von
einer feſten Burg und von da die groben Profanierungen
mißt und verwirft. Während unſer heutiger Kampf gegen das
Unſittliche zumeiſt noch bloß ein verſteckter Kampf wider die
Sache ſelber iſt, die man nicht als das höchſte und reinſte
Myſterium des ganzen Menſchenlebens, ſondern als eine ver¬
hüllenswerte Schwäche, Niedrigkeit, ja als eine Art leidig
notwendiger Teufelei anzuſehen gelernt hat.

Inzwiſchen wird die geſchichtliche Auffaſſung von der
Entſtehung der Dinge aber auch hier ein Stück Weges zur
Verſtändigung ſein auf alle Fälle.

[Abbildung]

Wenn es auf ihn regnet, ſo wird der Berliner ſo gut
naß wie der Südſee-Inſulaner. Deßwegen braucht weder
die Regenwolke über den beiden die gleiche zu ſein, noch
muß der Berliner etwa deßwegen ein Samoaner ſein. Ganz
im Sinne dieſes ſchlichten Satzes ſind zu ganz verſchiedenen
Zeiten am ganz verſchiedenen Ort von höchſt unterſchiedlichen
Tieren doch gleiche Organe gebildet worden. Dieſelbe körper¬
liche Erfindung iſt ſo und ſo oft gemacht worden, je nachdem
der Regen äußerer Nötigung fiel. Die Schnecke, das Inſekt,
der Fiſch ſind an drei grundlegend verſchiedenen Ecken der
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[268/0284] als eine einfach logiſche Vollziehung, deren Keim ſchon jetzt im Herzen gerade jedes echt reinen und keuſchen Menſchen lebt und leben muß, weil ſich gewiſſe ganz ſchlichte, ganz bettelwahre Thatſachen der Erkenntnis weder mit Schlafrock¬ fetzen noch mit Roſenkränzen mehr dauernd verhängen laſſen. Dieſe Rehabilitierung eines Unanſtändigen in etwas Heiliges wird eine ganz andere Waffe gegen alle wirkliche „Unſittlich¬ keit“ darſtellen, ja die erſte überhaupt brauchbare. Indem ſie von dem an ſich Heiligen des Aktes ſelber ausgeht wie von einer feſten Burg und von da die groben Profanierungen mißt und verwirft. Während unſer heutiger Kampf gegen das Unſittliche zumeiſt noch bloß ein verſteckter Kampf wider die Sache ſelber iſt, die man nicht als das höchſte und reinſte Myſterium des ganzen Menſchenlebens, ſondern als eine ver¬ hüllenswerte Schwäche, Niedrigkeit, ja als eine Art leidig notwendiger Teufelei anzuſehen gelernt hat. Inzwiſchen wird die geſchichtliche Auffaſſung von der Entſtehung der Dinge aber auch hier ein Stück Weges zur Verſtändigung ſein auf alle Fälle. [Abbildung] Wenn es auf ihn regnet, ſo wird der Berliner ſo gut naß wie der Südſee-Inſulaner. Deßwegen braucht weder die Regenwolke über den beiden die gleiche zu ſein, noch muß der Berliner etwa deßwegen ein Samoaner ſein. Ganz im Sinne dieſes ſchlichten Satzes ſind zu ganz verſchiedenen Zeiten am ganz verſchiedenen Ort von höchſt unterſchiedlichen Tieren doch gleiche Organe gebildet worden. Dieſelbe körper¬ liche Erfindung iſt ſo und ſo oft gemacht worden, je nachdem der Regen äußerer Nötigung fiel. Die Schnecke, das Inſekt, der Fiſch ſind an drei grundlegend verſchiedenen Ecken der Tierheit aus dem Waſſer ans Land gekrochen und haben im

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Zitationshilfe: Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 2. Leipzig, 1900, S. 268. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boelsche_liebesleben02_1900/284>, abgerufen am 22.11.2024.