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Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 2. Leipzig, 1900.

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Die Geschichte mußte bei den Wirbeltieren vom Fisch an
aufwärts, -- den Menschentieren, wie man im geschichtlichen
Sinne geradezu sagen könnte -- thatsächlich erst noch einmal
ganz von Anfang an neu erfunden werden.

Der wunderbare Amphioxusfisch, dieser Thorhüter der
Wirbeltiere, zeigt dir noch keine Spur eines Begattungsgliedes.
Da er Samen und Eier durch den Mund herausspuckt, müßte
auch geradezu der Mund bei ihm dazu umgebildet sein, sollte
er eins haben.

Aber auch beim Neunauge, wo du doch zuerst echte Ge¬
schlechtslöcher am hinteren Körperende hast, ist noch keinerlei
leisestes Mittel da, diese Geschlechtsstellen als solche nun mit¬
einander zu verknüpfen. Und das bleibt so bei einer Unmasse
auch noch von höheren Fischen. Wozu auch ein Glied, wenn
die Begattung noch in zwei ganz gesonderten Akten vor der
Liebesgrube besteht wie bei jenen Forellen und Lachsen? Das
Weib legt ja unbefruchtete Eier in die Grube -- und der
Mann schüttet dann erst Samen darauf. Aber bei jenen
Blaufelchen, die Leib gegen Leib ihren Liebessprung machen
und gleichzeitig Beides fahren lassen, verstände man schon den
Zweck. Wenn das Glied nur zunächst einmal eine Stütze gäbe,
eine erste Senkrechte von den beiden Parallelen bloß als
ersten Anhaltepunkt.

Da siehst du denn, wie die Natur anfangs noch wieder
sparsam mit dem experimentiert, was sie bereits hat. Ehe ein
neues Glied, ein besonderes "Geschlechtsglied", entwickelt wird,
wird versucht, ob's nicht mit den schon vorhandenen Gliedern
allein gehe.

Hier zunächst wird der Mund noch einmal wichtig. Der
Fischmund war vom Neunauge an ein sehr energisches Organ,
-- zum Packen, Festhalten, Beißen immer prächtiger gebaut.
Schon das Neunauge hat wenigstens Zähne. Der Haifisch
trägt diese Zähne dann bereits als Säge in einheitlichen
Kiefern, und wir wissen ja, wie er damit zufassen kann.

Die Geſchichte mußte bei den Wirbeltieren vom Fiſch an
aufwärts, — den Menſchentieren, wie man im geſchichtlichen
Sinne geradezu ſagen könnte — thatſächlich erſt noch einmal
ganz von Anfang an neu erfunden werden.

Der wunderbare Amphioxusfiſch, dieſer Thorhüter der
Wirbeltiere, zeigt dir noch keine Spur eines Begattungsgliedes.
Da er Samen und Eier durch den Mund herausſpuckt, müßte
auch geradezu der Mund bei ihm dazu umgebildet ſein, ſollte
er eins haben.

Aber auch beim Neunauge, wo du doch zuerſt echte Ge¬
ſchlechtslöcher am hinteren Körperende haſt, iſt noch keinerlei
leiſeſtes Mittel da, dieſe Geſchlechtsſtellen als ſolche nun mit¬
einander zu verknüpfen. Und das bleibt ſo bei einer Unmaſſe
auch noch von höheren Fiſchen. Wozu auch ein Glied, wenn
die Begattung noch in zwei ganz geſonderten Akten vor der
Liebesgrube beſteht wie bei jenen Forellen und Lachſen? Das
Weib legt ja unbefruchtete Eier in die Grube — und der
Mann ſchüttet dann erſt Samen darauf. Aber bei jenen
Blaufelchen, die Leib gegen Leib ihren Liebesſprung machen
und gleichzeitig Beides fahren laſſen, verſtände man ſchon den
Zweck. Wenn das Glied nur zunächſt einmal eine Stütze gäbe,
eine erſte Senkrechte von den beiden Parallelen bloß als
erſten Anhaltepunkt.

Da ſiehſt du denn, wie die Natur anfangs noch wieder
ſparſam mit dem experimentiert, was ſie bereits hat. Ehe ein
neues Glied, ein beſonderes „Geſchlechtsglied“, entwickelt wird,
wird verſucht, ob's nicht mit den ſchon vorhandenen Gliedern
allein gehe.

Hier zunächſt wird der Mund noch einmal wichtig. Der
Fiſchmund war vom Neunauge an ein ſehr energiſches Organ,
— zum Packen, Feſthalten, Beißen immer prächtiger gebaut.
Schon das Neunauge hat wenigſtens Zähne. Der Haifiſch
trägt dieſe Zähne dann bereits als Säge in einheitlichen
Kiefern, und wir wiſſen ja, wie er damit zufaſſen kann.

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[270/0286] Die Geſchichte mußte bei den Wirbeltieren vom Fiſch an aufwärts, — den Menſchentieren, wie man im geſchichtlichen Sinne geradezu ſagen könnte — thatſächlich erſt noch einmal ganz von Anfang an neu erfunden werden. Der wunderbare Amphioxusfiſch, dieſer Thorhüter der Wirbeltiere, zeigt dir noch keine Spur eines Begattungsgliedes. Da er Samen und Eier durch den Mund herausſpuckt, müßte auch geradezu der Mund bei ihm dazu umgebildet ſein, ſollte er eins haben. Aber auch beim Neunauge, wo du doch zuerſt echte Ge¬ ſchlechtslöcher am hinteren Körperende haſt, iſt noch keinerlei leiſeſtes Mittel da, dieſe Geſchlechtsſtellen als ſolche nun mit¬ einander zu verknüpfen. Und das bleibt ſo bei einer Unmaſſe auch noch von höheren Fiſchen. Wozu auch ein Glied, wenn die Begattung noch in zwei ganz geſonderten Akten vor der Liebesgrube beſteht wie bei jenen Forellen und Lachſen? Das Weib legt ja unbefruchtete Eier in die Grube — und der Mann ſchüttet dann erſt Samen darauf. Aber bei jenen Blaufelchen, die Leib gegen Leib ihren Liebesſprung machen und gleichzeitig Beides fahren laſſen, verſtände man ſchon den Zweck. Wenn das Glied nur zunächſt einmal eine Stütze gäbe, eine erſte Senkrechte von den beiden Parallelen bloß als erſten Anhaltepunkt. Da ſiehſt du denn, wie die Natur anfangs noch wieder ſparſam mit dem experimentiert, was ſie bereits hat. Ehe ein neues Glied, ein beſonderes „Geſchlechtsglied“, entwickelt wird, wird verſucht, ob's nicht mit den ſchon vorhandenen Gliedern allein gehe. Hier zunächſt wird der Mund noch einmal wichtig. Der Fiſchmund war vom Neunauge an ein ſehr energiſches Organ, — zum Packen, Feſthalten, Beißen immer prächtiger gebaut. Schon das Neunauge hat wenigſtens Zähne. Der Haifiſch trägt dieſe Zähne dann bereits als Säge in einheitlichen Kiefern, und wir wiſſen ja, wie er damit zufaſſen kann.

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Zitationshilfe: Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 2. Leipzig, 1900, S. 270. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boelsche_liebesleben02_1900/286>, abgerufen am 22.11.2024.