der Reptilien in der Gegend von Krokodil und Schild¬ kröte sind.
Die meisten Vögel haben allerdings, wie es scheint nach¬ träglich noch wieder, auf jedes Begattungsglied überhaupt ver¬ zichtet. Vielleicht war es ein Triumph der Gymnastik bei ihnen. Leicht, schwebend, an kühnste Stellungen gewöhnt durch ihre Luftschifferei, temperamentvoll zugleich und förmlich epi¬ grammatisch rasch in allen ihren Bewegungen, mag ihnen jeder solidere Scharnierverschluß beim Akt überflüssig erschienen sein. Ein Odysseus schließlich treibt seinen Pfeil durch die Ösen von zwölf Äxten rein durch die voraus rechnende Viel¬ gewandtheit seines Adlerblicks. Wenn man zwei Vöglein bei ihrem blitzschnellen, virtuos gewandten Gebahren zusieht, so ahnt man: die brauchen gar kein Glied. Da fliegt die Lebens¬ welle ein wie Odysseus Axt.
In der Mark liegt ein guter Ort. Rings Wasserwiesen, smaragdgrün, wenn das Schilf hoch wallt, golden, wenn die Caltha blüht. Über dem Dorf ein Sandberg, mit leise summen¬ den, lerchenüberschwirrten Roggenwänden hier, dort kahl aus¬ gehöhlt wie ein Mondkrater, -- der schönste Aussichtspunkt fernhin. Der Flecken heißt Gosen. Eine Seidenkolonie des alten Fritz. Hier ist wirklich gut sein, wenn auch nicht Milch und Honig fließt. Noch keine Bahn, bloß eine alte Rumpelpost von Erkner her. Grüne Moosdächer mit Wendenkreuzen auf allen Häusern. Ein verwunschener uralter Kirchhof, zuge¬ sponnen von einem Dornröschenwalde dicker, schwer duftender Fliederbüsche. Und Blumen, Blumen überall, vor jedem Hause, hinter dem moosgrünen Staket, auf das nach treuem Brauch des Hauses Nachttopf gestülpt ist. Die Dorfstraße sausen die stahlblauen Schwalben lang und zwitschern aus der Jugendzeit. Auf dem Dachfirst aber nistet, selbstverständlich, der Storch.
In diesem Gosen habe ich das Liebesspiel der Störche mir angesehen. Und Respekt bekommen vor ihrer Balancier¬ kunst. Auf dem ehrwürdig struppigen Dach, das wie ein Auer¬
der Reptilien in der Gegend von Krokodil und Schild¬ kröte ſind.
Die meiſten Vögel haben allerdings, wie es ſcheint nach¬ träglich noch wieder, auf jedes Begattungsglied überhaupt ver¬ zichtet. Vielleicht war es ein Triumph der Gymnaſtik bei ihnen. Leicht, ſchwebend, an kühnſte Stellungen gewöhnt durch ihre Luftſchifferei, temperamentvoll zugleich und förmlich epi¬ grammatiſch raſch in allen ihren Bewegungen, mag ihnen jeder ſolidere Scharnierverſchluß beim Akt überflüſſig erſchienen ſein. Ein Odyſſeus ſchließlich treibt ſeinen Pfeil durch die Öſen von zwölf Äxten rein durch die voraus rechnende Viel¬ gewandtheit ſeines Adlerblicks. Wenn man zwei Vöglein bei ihrem blitzſchnellen, virtuos gewandten Gebahren zuſieht, ſo ahnt man: die brauchen gar kein Glied. Da fliegt die Lebens¬ welle ein wie Odyſſeus Axt.
In der Mark liegt ein guter Ort. Rings Waſſerwieſen, ſmaragdgrün, wenn das Schilf hoch wallt, golden, wenn die Caltha blüht. Über dem Dorf ein Sandberg, mit leiſe ſummen¬ den, lerchenüberſchwirrten Roggenwänden hier, dort kahl aus¬ gehöhlt wie ein Mondkrater, — der ſchönſte Ausſichtspunkt fernhin. Der Flecken heißt Goſen. Eine Seidenkolonie des alten Fritz. Hier iſt wirklich gut ſein, wenn auch nicht Milch und Honig fließt. Noch keine Bahn, bloß eine alte Rumpelpoſt von Erkner her. Grüne Moosdächer mit Wendenkreuzen auf allen Häuſern. Ein verwunſchener uralter Kirchhof, zuge¬ ſponnen von einem Dornröschenwalde dicker, ſchwer duftender Fliederbüſche. Und Blumen, Blumen überall, vor jedem Hauſe, hinter dem moosgrünen Staket, auf das nach treuem Brauch des Hauſes Nachttopf geſtülpt iſt. Die Dorfſtraße ſauſen die ſtahlblauen Schwalben lang und zwitſchern aus der Jugendzeit. Auf dem Dachfirſt aber niſtet, ſelbſtverſtändlich, der Storch.
In dieſem Goſen habe ich das Liebesſpiel der Störche mir angeſehen. Und Reſpekt bekommen vor ihrer Balancier¬ kunſt. Auf dem ehrwürdig ſtruppigen Dach, das wie ein Auer¬
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0299"n="283"/>
der Reptilien in der Gegend von Krokodil und Schild¬<lb/>
kröte ſind.</p><lb/><p>Die meiſten Vögel haben allerdings, wie es ſcheint nach¬<lb/>
träglich noch wieder, auf jedes Begattungsglied überhaupt ver¬<lb/>
zichtet. Vielleicht war es ein Triumph der Gymnaſtik bei<lb/>
ihnen. Leicht, ſchwebend, an kühnſte Stellungen gewöhnt durch<lb/>
ihre Luftſchifferei, temperamentvoll zugleich und förmlich epi¬<lb/>
grammatiſch raſch in allen ihren Bewegungen, mag ihnen<lb/>
jeder ſolidere Scharnierverſchluß beim Akt überflüſſig erſchienen<lb/>ſein. Ein Odyſſeus ſchließlich treibt ſeinen Pfeil durch die<lb/>
Öſen von zwölf Äxten rein durch die voraus rechnende Viel¬<lb/>
gewandtheit ſeines Adlerblicks. Wenn man zwei Vöglein bei<lb/>
ihrem blitzſchnellen, virtuos gewandten Gebahren zuſieht, ſo<lb/>
ahnt man: die brauchen gar kein Glied. Da fliegt die Lebens¬<lb/>
welle ein wie Odyſſeus Axt.</p><lb/><p>In der Mark liegt ein guter Ort. Rings Waſſerwieſen,<lb/>ſmaragdgrün, wenn das Schilf hoch wallt, golden, wenn die<lb/>
Caltha blüht. Über dem Dorf ein Sandberg, mit leiſe ſummen¬<lb/>
den, lerchenüberſchwirrten Roggenwänden hier, dort kahl aus¬<lb/>
gehöhlt wie ein Mondkrater, — der ſchönſte Ausſichtspunkt<lb/>
fernhin. Der Flecken heißt Goſen. Eine Seidenkolonie des<lb/>
alten Fritz. Hier iſt wirklich gut ſein, wenn auch nicht Milch<lb/>
und Honig fließt. Noch keine Bahn, bloß eine alte Rumpelpoſt<lb/>
von Erkner her. Grüne Moosdächer mit Wendenkreuzen auf<lb/>
allen Häuſern. Ein verwunſchener uralter Kirchhof, zuge¬<lb/>ſponnen von einem Dornröschenwalde dicker, ſchwer duftender<lb/>
Fliederbüſche. Und Blumen, Blumen überall, vor jedem Hauſe,<lb/>
hinter dem moosgrünen Staket, auf das nach treuem Brauch<lb/>
des Hauſes Nachttopf geſtülpt iſt. Die Dorfſtraße ſauſen die<lb/>ſtahlblauen Schwalben lang und zwitſchern aus der Jugendzeit.<lb/>
Auf dem Dachfirſt aber niſtet, ſelbſtverſtändlich, der Storch.</p><lb/><p>In dieſem Goſen habe ich das Liebesſpiel der Störche<lb/>
mir angeſehen. Und Reſpekt bekommen vor ihrer Balancier¬<lb/>
kunſt. Auf dem ehrwürdig ſtruppigen Dach, das wie ein Auer¬<lb/></p></div></body></text></TEI>
[283/0299]
der Reptilien in der Gegend von Krokodil und Schild¬
kröte ſind.
Die meiſten Vögel haben allerdings, wie es ſcheint nach¬
träglich noch wieder, auf jedes Begattungsglied überhaupt ver¬
zichtet. Vielleicht war es ein Triumph der Gymnaſtik bei
ihnen. Leicht, ſchwebend, an kühnſte Stellungen gewöhnt durch
ihre Luftſchifferei, temperamentvoll zugleich und förmlich epi¬
grammatiſch raſch in allen ihren Bewegungen, mag ihnen
jeder ſolidere Scharnierverſchluß beim Akt überflüſſig erſchienen
ſein. Ein Odyſſeus ſchließlich treibt ſeinen Pfeil durch die
Öſen von zwölf Äxten rein durch die voraus rechnende Viel¬
gewandtheit ſeines Adlerblicks. Wenn man zwei Vöglein bei
ihrem blitzſchnellen, virtuos gewandten Gebahren zuſieht, ſo
ahnt man: die brauchen gar kein Glied. Da fliegt die Lebens¬
welle ein wie Odyſſeus Axt.
In der Mark liegt ein guter Ort. Rings Waſſerwieſen,
ſmaragdgrün, wenn das Schilf hoch wallt, golden, wenn die
Caltha blüht. Über dem Dorf ein Sandberg, mit leiſe ſummen¬
den, lerchenüberſchwirrten Roggenwänden hier, dort kahl aus¬
gehöhlt wie ein Mondkrater, — der ſchönſte Ausſichtspunkt
fernhin. Der Flecken heißt Goſen. Eine Seidenkolonie des
alten Fritz. Hier iſt wirklich gut ſein, wenn auch nicht Milch
und Honig fließt. Noch keine Bahn, bloß eine alte Rumpelpoſt
von Erkner her. Grüne Moosdächer mit Wendenkreuzen auf
allen Häuſern. Ein verwunſchener uralter Kirchhof, zuge¬
ſponnen von einem Dornröschenwalde dicker, ſchwer duftender
Fliederbüſche. Und Blumen, Blumen überall, vor jedem Hauſe,
hinter dem moosgrünen Staket, auf das nach treuem Brauch
des Hauſes Nachttopf geſtülpt iſt. Die Dorfſtraße ſauſen die
ſtahlblauen Schwalben lang und zwitſchern aus der Jugendzeit.
Auf dem Dachfirſt aber niſtet, ſelbſtverſtändlich, der Storch.
In dieſem Goſen habe ich das Liebesſpiel der Störche
mir angeſehen. Und Reſpekt bekommen vor ihrer Balancier¬
kunſt. Auf dem ehrwürdig ſtruppigen Dach, das wie ein Auer¬
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 2. Leipzig, 1900, S. 283. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boelsche_liebesleben02_1900/299>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.