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Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 2. Leipzig, 1900.

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Denn die Selbstteilung geht als Schnitt durch das ganze
Bazillus-Individuum. Der Akt der Teilung muß eine Art
Tod enthalten und dann in den Teilen beiderseits ein Gefühl
des Wiederauflebens. Jeder Teil ist ja Kind zugleich und
Mutterhälfte. Die Empfindungen müssen also doch wohl noch
viel kompliziertere sein, sie müssen noch ein Mysterium mehr
in sich fassen -- Tod und vergnügtes Weiterleben -- das sich
unserer Erfahrung entzieht.

Ähnlich könntest du die Verschmelzung von zwei solchen
einfachsten Urwesen in eine Analogie bringen mit den Hunger-
und Sättigungsgefühlen bei dir. In jedem der beiden Wesen
regt sich ein Gefühl der Lebensschwäche, das nach Auffrischung
verlangt. Eine wirkliche Art Hunger. Also auch hier ein
allgemeines seelisches Unbefriedigtsein zuerst, -- dumpfe Unlust.
Dann, mit der Begegnung der beiden, der Annäherung wohl
schon, wachsende Lustgefühle. Vielleicht wird das Erkennen
vermittelt durch gewisse Geruchsempfindungen. Diese würden
bei beiden Teilen schon Lust erzeugen. Der Berührungsakt
könnte das steigern. Die Verschmelzung enthielte die volle
Befriedigung mit nachfolgendem erhöhtem Kraftgefühl, völliger
Sättigung und Beruhigung.

Diese Hunger- und Freß-Analogie ist aber doch eine recht
mangelhafte. Man sucht unwillkürlich schärfere Analogien
aus unserm menschlichen Zeugungsakt. Zuerst das allgemeine
Unlustgefühl der liebesverlangenden, aber einsamen Seele.
Also Liebeshunger, Liebessehnsucht. Es ist eine höchst eigen¬
artige Sorte Unlust, die lange eine starke Beimischung von
Süße hat. Das braucht dir ja nicht besonders beschrieben zu
werden, das Wörtchen Liebessehnsucht genügt. Dann die
wirkliche Begegnung mit einem Gegenstand unserer Liebe.
Die feinen Distancewerte des Sehens, Sichkennenlernens.
Die körperliche Berührung. Der Mischakt endlich selbst. Die
nachfolgende seelische Ruhe.

Auch in dieser Analogie hinkt noch vieles.

Denn die Selbſtteilung geht als Schnitt durch das ganze
Bazillus-Individuum. Der Akt der Teilung muß eine Art
Tod enthalten und dann in den Teilen beiderſeits ein Gefühl
des Wiederauflebens. Jeder Teil iſt ja Kind zugleich und
Mutterhälfte. Die Empfindungen müſſen alſo doch wohl noch
viel kompliziertere ſein, ſie müſſen noch ein Myſterium mehr
in ſich faſſen — Tod und vergnügtes Weiterleben — das ſich
unſerer Erfahrung entzieht.

Ähnlich könnteſt du die Verſchmelzung von zwei ſolchen
einfachſten Urweſen in eine Analogie bringen mit den Hunger-
und Sättigungsgefühlen bei dir. In jedem der beiden Weſen
regt ſich ein Gefühl der Lebensſchwäche, das nach Auffriſchung
verlangt. Eine wirkliche Art Hunger. Alſo auch hier ein
allgemeines ſeeliſches Unbefriedigtſein zuerſt, — dumpfe Unluſt.
Dann, mit der Begegnung der beiden, der Annäherung wohl
ſchon, wachſende Luſtgefühle. Vielleicht wird das Erkennen
vermittelt durch gewiſſe Geruchsempfindungen. Dieſe würden
bei beiden Teilen ſchon Luſt erzeugen. Der Berührungsakt
könnte das ſteigern. Die Verſchmelzung enthielte die volle
Befriedigung mit nachfolgendem erhöhtem Kraftgefühl, völliger
Sättigung und Beruhigung.

Dieſe Hunger- und Freß-Analogie iſt aber doch eine recht
mangelhafte. Man ſucht unwillkürlich ſchärfere Analogien
aus unſerm menſchlichen Zeugungsakt. Zuerſt das allgemeine
Unluſtgefühl der liebesverlangenden, aber einſamen Seele.
Alſo Liebeshunger, Liebesſehnſucht. Es iſt eine höchſt eigen¬
artige Sorte Unluſt, die lange eine ſtarke Beimiſchung von
Süße hat. Das braucht dir ja nicht beſonders beſchrieben zu
werden, das Wörtchen Liebesſehnſucht genügt. Dann die
wirkliche Begegnung mit einem Gegenſtand unſerer Liebe.
Die feinen Diſtancewerte des Sehens, Sichkennenlernens.
Die körperliche Berührung. Der Miſchakt endlich ſelbſt. Die
nachfolgende ſeeliſche Ruhe.

Auch in dieſer Analogie hinkt noch vieles.

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[302/0318] Denn die Selbſtteilung geht als Schnitt durch das ganze Bazillus-Individuum. Der Akt der Teilung muß eine Art Tod enthalten und dann in den Teilen beiderſeits ein Gefühl des Wiederauflebens. Jeder Teil iſt ja Kind zugleich und Mutterhälfte. Die Empfindungen müſſen alſo doch wohl noch viel kompliziertere ſein, ſie müſſen noch ein Myſterium mehr in ſich faſſen — Tod und vergnügtes Weiterleben — das ſich unſerer Erfahrung entzieht. Ähnlich könnteſt du die Verſchmelzung von zwei ſolchen einfachſten Urweſen in eine Analogie bringen mit den Hunger- und Sättigungsgefühlen bei dir. In jedem der beiden Weſen regt ſich ein Gefühl der Lebensſchwäche, das nach Auffriſchung verlangt. Eine wirkliche Art Hunger. Alſo auch hier ein allgemeines ſeeliſches Unbefriedigtſein zuerſt, — dumpfe Unluſt. Dann, mit der Begegnung der beiden, der Annäherung wohl ſchon, wachſende Luſtgefühle. Vielleicht wird das Erkennen vermittelt durch gewiſſe Geruchsempfindungen. Dieſe würden bei beiden Teilen ſchon Luſt erzeugen. Der Berührungsakt könnte das ſteigern. Die Verſchmelzung enthielte die volle Befriedigung mit nachfolgendem erhöhtem Kraftgefühl, völliger Sättigung und Beruhigung. Dieſe Hunger- und Freß-Analogie iſt aber doch eine recht mangelhafte. Man ſucht unwillkürlich ſchärfere Analogien aus unſerm menſchlichen Zeugungsakt. Zuerſt das allgemeine Unluſtgefühl der liebesverlangenden, aber einſamen Seele. Alſo Liebeshunger, Liebesſehnſucht. Es iſt eine höchſt eigen¬ artige Sorte Unluſt, die lange eine ſtarke Beimiſchung von Süße hat. Das braucht dir ja nicht beſonders beſchrieben zu werden, das Wörtchen Liebesſehnſucht genügt. Dann die wirkliche Begegnung mit einem Gegenſtand unſerer Liebe. Die feinen Diſtancewerte des Sehens, Sichkennenlernens. Die körperliche Berührung. Der Miſchakt endlich ſelbſt. Die nachfolgende ſeeliſche Ruhe. Auch in dieſer Analogie hinkt noch vieles.

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Zitationshilfe: Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 2. Leipzig, 1900, S. 302. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boelsche_liebesleben02_1900/318>, abgerufen am 22.11.2024.