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Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 2. Leipzig, 1900.

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Es ist unvergleichlich viel größer als das spätere Kinder¬
nest. Auf die Länge von einem Meter und mehr bauen die
Vögel (vor allem das Männchen) zunächst eine Art Hütte oder
Zelt aus solidem Reisig auf. Die Reisigstücke werden von
zwei Seiten her schräg aneinander gelehnt, genau so, wie wenn
Kinder aus Streichhölzchen ein langes Zelt zusammensetzen,
bloß daß die Größe gewaltig über Streichhölzchen hinaus¬
wächst. Ist das Zelt roh fertig, vorne und hinten mit einer
spitzen Thür und innen mit einem schmalen Gang, über dem
die schrägen Reisigsparren mehr oder minder bogig oder first¬
artig zusammenschlagen, so beginnt die feinere Arbeit.

Und zwar, du magst nun Worte suchen, wie du willst:
eine ästhetische Arbeit, die mit platter Nützlichkeit schlechter¬
dings nichts zu thun hat.

Die grobe Reisigwand des Häusleins wird mit zierlichen
grünen Grashalmen aufs glatteste tapeziert. Dann wird der
Boden gepflastert, mit runden weißen Flußkieseln, die eine be¬
sondere künstliche Anordnung erhalten, hier zu Häufchen vereint,
dort kleine Pfade frei lassend. Bunte Federn, grellrote Beeren,
ein blaues Läppchen Tuch, das irgendwo stibitzt werden konnte,
werden in die grünen Graswände an guter Stelle eingeordnet.
Und endlich wird je vor dem Ein- wie Ausgang eine Art
besonderer Schausammlung auffälliger und hübscher Gegenstände
angehäuft. Wundervolle Muschelschälchen, die meilenweit erst
vom nächsten Fluß im Schnabel hierher geschleppt werden
mußten. Bunte, schimmernde Steine. Zwischen dem vielerlei
Farbigen zum Kontrast schneeweiße Knöchelchen, die offenbar mit
höchster Sorgfalt als weiße Musterproben ausgelesen sind, beson¬
ders die kleinen Schädel von Fledermäusen. Ein halber Scheffel
solcher Reichtümer findet sich bisweilen an einem Fleck beisammen.

Das ist die Liebeslaube der Chlamydodera.

Ist sie endlich fertig und ragt strahlend in ihrem Prunk,
so hebt eine frohe Zeit an. In dieser Laube suchen sich die
Liebenden, springen und tanzen und jagen sich und kosten alle

Es iſt unvergleichlich viel größer als das ſpätere Kinder¬
neſt. Auf die Länge von einem Meter und mehr bauen die
Vögel (vor allem das Männchen) zunächſt eine Art Hütte oder
Zelt aus ſolidem Reiſig auf. Die Reiſigſtücke werden von
zwei Seiten her ſchräg aneinander gelehnt, genau ſo, wie wenn
Kinder aus Streichhölzchen ein langes Zelt zuſammenſetzen,
bloß daß die Größe gewaltig über Streichhölzchen hinaus¬
wächſt. Iſt das Zelt roh fertig, vorne und hinten mit einer
ſpitzen Thür und innen mit einem ſchmalen Gang, über dem
die ſchrägen Reiſigſparren mehr oder minder bogig oder firſt¬
artig zuſammenſchlagen, ſo beginnt die feinere Arbeit.

Und zwar, du magſt nun Worte ſuchen, wie du willſt:
eine äſthetiſche Arbeit, die mit platter Nützlichkeit ſchlechter¬
dings nichts zu thun hat.

Die grobe Reiſigwand des Häusleins wird mit zierlichen
grünen Grashalmen aufs glatteſte tapeziert. Dann wird der
Boden gepflaſtert, mit runden weißen Flußkieſeln, die eine be¬
ſondere künſtliche Anordnung erhalten, hier zu Häufchen vereint,
dort kleine Pfade frei laſſend. Bunte Federn, grellrote Beeren,
ein blaues Läppchen Tuch, das irgendwo ſtibitzt werden konnte,
werden in die grünen Graswände an guter Stelle eingeordnet.
Und endlich wird je vor dem Ein- wie Ausgang eine Art
beſonderer Schauſammlung auffälliger und hübſcher Gegenſtände
angehäuft. Wundervolle Muſchelſchälchen, die meilenweit erſt
vom nächſten Fluß im Schnabel hierher geſchleppt werden
mußten. Bunte, ſchimmernde Steine. Zwiſchen dem vielerlei
Farbigen zum Kontraſt ſchneeweiße Knöchelchen, die offenbar mit
höchſter Sorgfalt als weiße Muſterproben ausgeleſen ſind, beſon¬
ders die kleinen Schädel von Fledermäuſen. Ein halber Scheffel
ſolcher Reichtümer findet ſich bisweilen an einem Fleck beiſammen.

Das iſt die Liebeslaube der Chlamydodera.

Iſt ſie endlich fertig und ragt ſtrahlend in ihrem Prunk,
ſo hebt eine frohe Zeit an. In dieſer Laube ſuchen ſich die
Liebenden, ſpringen und tanzen und jagen ſich und koſten alle

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[358/0374] Es iſt unvergleichlich viel größer als das ſpätere Kinder¬ neſt. Auf die Länge von einem Meter und mehr bauen die Vögel (vor allem das Männchen) zunächſt eine Art Hütte oder Zelt aus ſolidem Reiſig auf. Die Reiſigſtücke werden von zwei Seiten her ſchräg aneinander gelehnt, genau ſo, wie wenn Kinder aus Streichhölzchen ein langes Zelt zuſammenſetzen, bloß daß die Größe gewaltig über Streichhölzchen hinaus¬ wächſt. Iſt das Zelt roh fertig, vorne und hinten mit einer ſpitzen Thür und innen mit einem ſchmalen Gang, über dem die ſchrägen Reiſigſparren mehr oder minder bogig oder firſt¬ artig zuſammenſchlagen, ſo beginnt die feinere Arbeit. Und zwar, du magſt nun Worte ſuchen, wie du willſt: eine äſthetiſche Arbeit, die mit platter Nützlichkeit ſchlechter¬ dings nichts zu thun hat. Die grobe Reiſigwand des Häusleins wird mit zierlichen grünen Grashalmen aufs glatteſte tapeziert. Dann wird der Boden gepflaſtert, mit runden weißen Flußkieſeln, die eine be¬ ſondere künſtliche Anordnung erhalten, hier zu Häufchen vereint, dort kleine Pfade frei laſſend. Bunte Federn, grellrote Beeren, ein blaues Läppchen Tuch, das irgendwo ſtibitzt werden konnte, werden in die grünen Graswände an guter Stelle eingeordnet. Und endlich wird je vor dem Ein- wie Ausgang eine Art beſonderer Schauſammlung auffälliger und hübſcher Gegenſtände angehäuft. Wundervolle Muſchelſchälchen, die meilenweit erſt vom nächſten Fluß im Schnabel hierher geſchleppt werden mußten. Bunte, ſchimmernde Steine. Zwiſchen dem vielerlei Farbigen zum Kontraſt ſchneeweiße Knöchelchen, die offenbar mit höchſter Sorgfalt als weiße Muſterproben ausgeleſen ſind, beſon¬ ders die kleinen Schädel von Fledermäuſen. Ein halber Scheffel ſolcher Reichtümer findet ſich bisweilen an einem Fleck beiſammen. Das iſt die Liebeslaube der Chlamydodera. Iſt ſie endlich fertig und ragt ſtrahlend in ihrem Prunk, ſo hebt eine frohe Zeit an. In dieſer Laube ſuchen ſich die Liebenden, ſpringen und tanzen und jagen ſich und koſten alle

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Zitationshilfe: Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 2. Leipzig, 1900, S. 358. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boelsche_liebesleben02_1900/374>, abgerufen am 22.11.2024.