liegt darin, daß vergessen wird, wie der Vogel -- denke nur an unsere Chlamydodera oben -- ja bunte Sachen (Federn, Beeren) sammelt auch unabhängig vom Männchen und seiner Kraft. Jede knallrote Beere und blaue Feder an der australischen Liebeslaube wirft diese ganze Ecke des Arguments um: der Vogel hat eben überhaupt Freude am Bunten, am ästhetisch Hübschen -- und weil er sie ohnehin hat, hieße es in der Liebeswahl einen Sinn bei ihm ausschalten, wollte man von der ästhetischen Wahl hier absehen. Erdrückend sind aber die Beweise wieder, daß die Liebe wahrlich keine Sinne und Geistesanlagen ausschaltet, sondern im Gegenteil alles auf die denkbar höchste Höhe schraubt.
Der dunkle Punkt dagegen scheint mir darin zu stecken, daß diese Ansicht noch durchaus nicht ohne weiteres die Ent¬ stehung etwa der Prachtfarben eines Königsparadiesvogels aus Kraftüberschuß im Liebesstadium wirklich erklärt. Das "Wie?" wird hier einfach mit einem Wort übersprungen.
Gut, ich glaube gern, daß die Liebeszeit alles im Leibe eines Vogelmännchens zur Hochglut gleichsam bringt. Wie der Blick feuriger wird, so wird auch die Haut lebhafter durch¬ blutet werden. Ich will zugeben, daß das als Reiz auf das Wachstum der Federn wirkt. Die Federn werden zur Liebes¬ zeit vielleicht selber dicker, größer, üppiger werden. Zumal bei Vögeln im geschützten Urwald, wo der Kampf ums Dasein wenig eine Rolle spielt. Und zumal gewisse Federn der be¬ sonders hoch geheizten Geschlechtsgegend. Ein solches verliebtes Vöglein könnte ganz gut stärkere, längere Schwanzfedern als "Hochzeitskleid" entwickeln. Ja ich will sogar zugeben, daß -- in einer mir im Engeren allerdings schon unbekannten Weise -- diese verschärften Reize gewisse chemische Wirkungen derart in den Federn hervorgebracht haben könnten, daß irgend eine veränderte Farbe aufgetreten wäre. Eine früher braune Feder mag meinetwegen, wie, weiß ich nicht näher, im Hochzeits¬ fieber rot geworden sein.
liegt darin, daß vergeſſen wird, wie der Vogel — denke nur an unſere Chlamydodera oben — ja bunte Sachen (Federn, Beeren) ſammelt auch unabhängig vom Männchen und ſeiner Kraft. Jede knallrote Beere und blaue Feder an der auſtraliſchen Liebeslaube wirft dieſe ganze Ecke des Arguments um: der Vogel hat eben überhaupt Freude am Bunten, am äſthetiſch Hübſchen — und weil er ſie ohnehin hat, hieße es in der Liebeswahl einen Sinn bei ihm ausſchalten, wollte man von der äſthetiſchen Wahl hier abſehen. Erdrückend ſind aber die Beweiſe wieder, daß die Liebe wahrlich keine Sinne und Geiſtesanlagen ausſchaltet, ſondern im Gegenteil alles auf die denkbar höchſte Höhe ſchraubt.
Der dunkle Punkt dagegen ſcheint mir darin zu ſtecken, daß dieſe Anſicht noch durchaus nicht ohne weiteres die Ent¬ ſtehung etwa der Prachtfarben eines Königsparadiesvogels aus Kraftüberſchuß im Liebesſtadium wirklich erklärt. Das „Wie?“ wird hier einfach mit einem Wort überſprungen.
Gut, ich glaube gern, daß die Liebeszeit alles im Leibe eines Vogelmännchens zur Hochglut gleichſam bringt. Wie der Blick feuriger wird, ſo wird auch die Haut lebhafter durch¬ blutet werden. Ich will zugeben, daß das als Reiz auf das Wachstum der Federn wirkt. Die Federn werden zur Liebes¬ zeit vielleicht ſelber dicker, größer, üppiger werden. Zumal bei Vögeln im geſchützten Urwald, wo der Kampf ums Daſein wenig eine Rolle ſpielt. Und zumal gewiſſe Federn der be¬ ſonders hoch geheizten Geſchlechtsgegend. Ein ſolches verliebtes Vöglein könnte ganz gut ſtärkere, längere Schwanzfedern als „Hochzeitskleid“ entwickeln. Ja ich will ſogar zugeben, daß — in einer mir im Engeren allerdings ſchon unbekannten Weiſe — dieſe verſchärften Reize gewiſſe chemiſche Wirkungen derart in den Federn hervorgebracht haben könnten, daß irgend eine veränderte Farbe aufgetreten wäre. Eine früher braune Feder mag meinetwegen, wie, weiß ich nicht näher, im Hochzeits¬ fieber rot geworden ſein.
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0402"n="386"/>
liegt darin, daß vergeſſen wird, wie der Vogel — denke nur<lb/>
an unſere Chlamydodera oben — ja bunte Sachen (Federn,<lb/>
Beeren) ſammelt auch unabhängig vom Männchen und ſeiner<lb/>
Kraft. Jede knallrote Beere und blaue Feder an der auſtraliſchen<lb/>
Liebeslaube wirft dieſe ganze Ecke des Arguments um: der<lb/>
Vogel <hirendition="#g">hat</hi> eben <hirendition="#g">überhaupt</hi> Freude am Bunten, am äſthetiſch<lb/>
Hübſchen — und weil er ſie ohnehin hat, hieße es in der<lb/>
Liebeswahl einen Sinn bei ihm <hirendition="#g">ausſchalten</hi>, wollte man von<lb/>
der äſthetiſchen Wahl hier abſehen. Erdrückend ſind aber die<lb/>
Beweiſe wieder, daß die Liebe wahrlich keine Sinne und<lb/>
Geiſtesanlagen ausſchaltet, ſondern im Gegenteil alles auf die<lb/>
denkbar höchſte Höhe ſchraubt.</p><lb/><p>Der <hirendition="#g">dunkle</hi> Punkt dagegen ſcheint mir darin zu ſtecken,<lb/>
daß dieſe Anſicht noch durchaus nicht ohne weiteres die Ent¬<lb/>ſtehung etwa der Prachtfarben eines Königsparadiesvogels aus<lb/>
Kraftüberſchuß im Liebesſtadium wirklich erklärt. Das „Wie?“<lb/>
wird hier einfach mit einem Wort überſprungen.</p><lb/><p>Gut, ich glaube gern, daß die Liebeszeit alles im Leibe<lb/>
eines Vogelmännchens zur Hochglut gleichſam bringt. Wie der<lb/>
Blick feuriger wird, ſo wird auch die Haut lebhafter durch¬<lb/>
blutet werden. Ich will zugeben, daß das als Reiz auf das<lb/>
Wachstum der Federn wirkt. Die Federn werden zur Liebes¬<lb/>
zeit vielleicht ſelber dicker, größer, üppiger werden. Zumal bei<lb/>
Vögeln im geſchützten Urwald, wo der Kampf ums Daſein<lb/>
wenig eine Rolle ſpielt. Und zumal gewiſſe Federn der be¬<lb/>ſonders hoch geheizten Geſchlechtsgegend. Ein ſolches verliebtes<lb/>
Vöglein könnte ganz gut ſtärkere, längere Schwanzfedern als<lb/>„Hochzeitskleid“ entwickeln. Ja ich will ſogar zugeben, daß<lb/>— in einer mir im Engeren allerdings ſchon unbekannten<lb/>
Weiſe — dieſe verſchärften Reize gewiſſe chemiſche Wirkungen<lb/>
derart in den Federn hervorgebracht haben könnten, daß irgend<lb/>
eine veränderte Farbe aufgetreten wäre. Eine früher braune<lb/>
Feder mag meinetwegen, wie, weiß ich nicht näher, im Hochzeits¬<lb/>
fieber rot geworden ſein.</p><lb/></div></body></text></TEI>
[386/0402]
liegt darin, daß vergeſſen wird, wie der Vogel — denke nur
an unſere Chlamydodera oben — ja bunte Sachen (Federn,
Beeren) ſammelt auch unabhängig vom Männchen und ſeiner
Kraft. Jede knallrote Beere und blaue Feder an der auſtraliſchen
Liebeslaube wirft dieſe ganze Ecke des Arguments um: der
Vogel hat eben überhaupt Freude am Bunten, am äſthetiſch
Hübſchen — und weil er ſie ohnehin hat, hieße es in der
Liebeswahl einen Sinn bei ihm ausſchalten, wollte man von
der äſthetiſchen Wahl hier abſehen. Erdrückend ſind aber die
Beweiſe wieder, daß die Liebe wahrlich keine Sinne und
Geiſtesanlagen ausſchaltet, ſondern im Gegenteil alles auf die
denkbar höchſte Höhe ſchraubt.
Der dunkle Punkt dagegen ſcheint mir darin zu ſtecken,
daß dieſe Anſicht noch durchaus nicht ohne weiteres die Ent¬
ſtehung etwa der Prachtfarben eines Königsparadiesvogels aus
Kraftüberſchuß im Liebesſtadium wirklich erklärt. Das „Wie?“
wird hier einfach mit einem Wort überſprungen.
Gut, ich glaube gern, daß die Liebeszeit alles im Leibe
eines Vogelmännchens zur Hochglut gleichſam bringt. Wie der
Blick feuriger wird, ſo wird auch die Haut lebhafter durch¬
blutet werden. Ich will zugeben, daß das als Reiz auf das
Wachstum der Federn wirkt. Die Federn werden zur Liebes¬
zeit vielleicht ſelber dicker, größer, üppiger werden. Zumal bei
Vögeln im geſchützten Urwald, wo der Kampf ums Daſein
wenig eine Rolle ſpielt. Und zumal gewiſſe Federn der be¬
ſonders hoch geheizten Geſchlechtsgegend. Ein ſolches verliebtes
Vöglein könnte ganz gut ſtärkere, längere Schwanzfedern als
„Hochzeitskleid“ entwickeln. Ja ich will ſogar zugeben, daß
— in einer mir im Engeren allerdings ſchon unbekannten
Weiſe — dieſe verſchärften Reize gewiſſe chemiſche Wirkungen
derart in den Federn hervorgebracht haben könnten, daß irgend
eine veränderte Farbe aufgetreten wäre. Eine früher braune
Feder mag meinetwegen, wie, weiß ich nicht näher, im Hochzeits¬
fieber rot geworden ſein.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 2. Leipzig, 1900, S. 386. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boelsche_liebesleben02_1900/402>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.