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Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 2. Leipzig, 1900.

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Weite und ganz Ungewisse verführen. Aber sieh dir die Ge¬
bilde auf Seite 29 an, -- Skelette aus Kieselstoff, die sich
gewisse Urwesen bilden, die nur aus einer Zelle bestehen, die
sogenannten Radiolarien.

Diese Formen, in der Schutz-Praxis zum Zweck des
Schwedens gallertartiger Leiblein im freien Wasser ausgenutzt,
stellen viele Hunderte feinster rhythmischer Gebilde dar, wie
sie prächtiger kaum gedacht werden können, -- von uns ästhe¬
tischen Menschengeistern gedacht!

Und dabei Produkte einzelliger Schleimklümpchen.

Nun denke weiter an die wahrhaft berauschende rhythmische
Pracht etwa von Schneckengehäusen, also den Hautabscheidungen
zwar höherer, aber doch noch gegen uns gehalten recht niedriger
Vielzelltiere. Und so weiter und so weiter.

Willst du Bilder, so blättere Haeckels famoses Tafelwerk
"Kunstformen der Natur" durch.

Dieses rhythmische Prinzip, wie ich es wirklich nennen
möchte, scheint durch die ganze organische Natur allenthalben
heraufzukommen und zwar als eine, wenn denn ziemlich myste¬
riöse Eigenschaft aller beliebigen Protoplasmateilchen, -- sei
es nun, daß sie sich selber danach lagern, oder sei es, daß
sie es, wie in Radiolarienskelett und Schneckenschale, als
kristallinisch wirkende "Richtkraft" in ihre abgeschiedenen Pro¬
dukte hinein bewähren.

Nun aber etwas äußerst merkwürdiges, obwohl im Grunde
höchst simples.

Dieses selbe rhythmische Prinzip kehrt uns wieder in
der Freude des Gehirngeistes der höheren Tiere an "Schönem"!!
Es kehrt wieder in der Kunstempfindung bei uns Menschen
und in dem aktiven Bestreben, Ästhetisches zu schaffen ...

Was Wunder aber! Sind doch unsere Gehirnzellen auch
nur "Zellen", ja gerade ursprüngliche Hautzellen. Ist doch
alles "Geistige" in unserem bewußten Sinne nur ein höheres

Weite und ganz Ungewiſſe verführen. Aber ſieh dir die Ge¬
bilde auf Seite 29 an, — Skelette aus Kieſelſtoff, die ſich
gewiſſe Urweſen bilden, die nur aus einer Zelle beſtehen, die
ſogenannten Radiolarien.

Dieſe Formen, in der Schutz-Praxis zum Zweck des
Schwedens gallertartiger Leiblein im freien Waſſer ausgenutzt,
ſtellen viele Hunderte feinſter rhythmiſcher Gebilde dar, wie
ſie prächtiger kaum gedacht werden können, — von uns äſthe¬
tiſchen Menſchengeiſtern gedacht!

Und dabei Produkte einzelliger Schleimklümpchen.

Nun denke weiter an die wahrhaft berauſchende rhythmiſche
Pracht etwa von Schneckengehäuſen, alſo den Hautabſcheidungen
zwar höherer, aber doch noch gegen uns gehalten recht niedriger
Vielzelltiere. Und ſo weiter und ſo weiter.

Willſt du Bilder, ſo blättere Haeckels famoſes Tafelwerk
„Kunſtformen der Natur“ durch.

Dieſes rhythmiſche Prinzip, wie ich es wirklich nennen
möchte, ſcheint durch die ganze organiſche Natur allenthalben
heraufzukommen und zwar als eine, wenn denn ziemlich myſte¬
riöſe Eigenſchaft aller beliebigen Protoplasmateilchen, — ſei
es nun, daß ſie ſich ſelber danach lagern, oder ſei es, daß
ſie es, wie in Radiolarienſkelett und Schneckenſchale, als
kriſtalliniſch wirkende „Richtkraft“ in ihre abgeſchiedenen Pro¬
dukte hinein bewähren.

Nun aber etwas äußerſt merkwürdiges, obwohl im Grunde
höchſt ſimples.

Dieſes ſelbe rhythmiſche Prinzip kehrt uns wieder in
der Freude des Gehirngeiſtes der höheren Tiere an „Schönem“!!
Es kehrt wieder in der Kunſtempfindung bei uns Menſchen
und in dem aktiven Beſtreben, Äſthetiſches zu ſchaffen ...

Was Wunder aber! Sind doch unſere Gehirnzellen auch
nur „Zellen“, ja gerade urſprüngliche Hautzellen. Iſt doch
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[392/0408] Weite und ganz Ungewiſſe verführen. Aber ſieh dir die Ge¬ bilde auf Seite 29 an, — Skelette aus Kieſelſtoff, die ſich gewiſſe Urweſen bilden, die nur aus einer Zelle beſtehen, die ſogenannten Radiolarien. Dieſe Formen, in der Schutz-Praxis zum Zweck des Schwedens gallertartiger Leiblein im freien Waſſer ausgenutzt, ſtellen viele Hunderte feinſter rhythmiſcher Gebilde dar, wie ſie prächtiger kaum gedacht werden können, — von uns äſthe¬ tiſchen Menſchengeiſtern gedacht! Und dabei Produkte einzelliger Schleimklümpchen. Nun denke weiter an die wahrhaft berauſchende rhythmiſche Pracht etwa von Schneckengehäuſen, alſo den Hautabſcheidungen zwar höherer, aber doch noch gegen uns gehalten recht niedriger Vielzelltiere. Und ſo weiter und ſo weiter. Willſt du Bilder, ſo blättere Haeckels famoſes Tafelwerk „Kunſtformen der Natur“ durch. Dieſes rhythmiſche Prinzip, wie ich es wirklich nennen möchte, ſcheint durch die ganze organiſche Natur allenthalben heraufzukommen und zwar als eine, wenn denn ziemlich myſte¬ riöſe Eigenſchaft aller beliebigen Protoplasmateilchen, — ſei es nun, daß ſie ſich ſelber danach lagern, oder ſei es, daß ſie es, wie in Radiolarienſkelett und Schneckenſchale, als kriſtalliniſch wirkende „Richtkraft“ in ihre abgeſchiedenen Pro¬ dukte hinein bewähren. Nun aber etwas äußerſt merkwürdiges, obwohl im Grunde höchſt ſimples. Dieſes ſelbe rhythmiſche Prinzip kehrt uns wieder in der Freude des Gehirngeiſtes der höheren Tiere an „Schönem“!! Es kehrt wieder in der Kunſtempfindung bei uns Menſchen und in dem aktiven Beſtreben, Äſthetiſches zu ſchaffen ... Was Wunder aber! Sind doch unſere Gehirnzellen auch nur „Zellen“, ja gerade urſprüngliche Hautzellen. Iſt doch alles „Geiſtige“ in unſerem bewußten Sinne nur ein höheres

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Zitationshilfe: Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 2. Leipzig, 1900, S. 392. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boelsche_liebesleben02_1900/408>, abgerufen am 24.11.2024.