selig wie eine Priese Schnupftabak. Aber lies die Aufschrift des angeklebten Zettelchens. Radiol. Ooze. Chall Stat. 225. W. Pacif. 4475 Fd. Klingt wie ein Apothekenrezept. Ich über¬ setze dir die Geheimschrift. Ooze heißt englisch Schlamm und Radiolarian Ooze ist Schlamm, der größtenteils aus Radiolarien besteht. Es ist eine Probe Schlamm aus den Abgründen der Tiefsee. Die berühmte Tiefsee-Expedition des englischen Schiffes Challenger hat sie mit kunstvollem Apparat vom Grunde des West Pacific, des westlichen Stillen Ozeans, an ihrer 225. Sondirungs-Station (zwischen den Karolinen-Inseln und Japan) heraufgeholt. Aus wahrhaft kolossaler Tiefe. 4475 Faden reicht das Meer dort hinab, ehe das Lot auf Grund stößt. Das sind über 8000 Meter, mehr als eine Meile. Der höchste Berg der Erde, der Gaurisankar ließe sich dort versenken und der größte Dampfer könnte noch über den Gipfel wegfahren ohne auf eine Untiefe zu stoßen. Schlamm aber liegt dort unten, unendlicher Schlamm. Und Schlamm geht so durch alle Ozeangründe. Denke dir jäh durch einen geologischen Akt die Meerwasser der Erde aufgesaugt, den Ozeansboden allenthalben gehoben und frei. Endlose Wüsten, an Flächeninhalt größer als alle fünf alten Erdteile zusammengenommen, gähnten auf einmal empor. Ihr trocknender Grundschlamm aber zerfiele wirklich jetzt zu dürrem, weißlichem und rötlichem Staub. Und wenn der Sturm pfiffe, würde er Sandhosen bis zu den Wolken aufwirbeln von diesem Staub, von Millionen Quadrat¬ kilometern Staub. Und nun nimm eine solche Probe Tiefsee- Staubes unter das Mikroskop. Schraube dir die Vergrößerung richtig ein. In der kleinen Lichtinsel, die dein Auge wie mit Zauberkraft weit über seine gewohnten Grenzen stärkt, erscheint ein märchenhaftes Bild. So liegt der Zwergenschatz in der unnahbaren Felsspalte. Ein Berglämpchen glüht und in seinem Scheine blitzt unendliches Silber. Oder der Nibelungenhort taucht in berauschender Rebenstunde aus dem krystallgrünen Strom und flimmert im Mondlicht. Zum magischen Spiegel
ſelig wie eine Prieſe Schnupftabak. Aber lies die Aufſchrift des angeklebten Zettelchens. Radiol. Ooze. Chall Stat. 225. W. Pacif. 4475 Fd. Klingt wie ein Apothekenrezept. Ich über¬ ſetze dir die Geheimſchrift. Ooze heißt engliſch Schlamm und Radiolarian Ooze iſt Schlamm, der größtenteils aus Radiolarien beſteht. Es iſt eine Probe Schlamm aus den Abgründen der Tiefſee. Die berühmte Tiefſee-Expedition des engliſchen Schiffes Challenger hat ſie mit kunſtvollem Apparat vom Grunde des West Pacific, des weſtlichen Stillen Ozeans, an ihrer 225. Sondirungs-Station (zwiſchen den Karolinen-Inſeln und Japan) heraufgeholt. Aus wahrhaft koloſſaler Tiefe. 4475 Faden reicht das Meer dort hinab, ehe das Lot auf Grund ſtößt. Das ſind über 8000 Meter, mehr als eine Meile. Der höchſte Berg der Erde, der Gauriſankar ließe ſich dort verſenken und der größte Dampfer könnte noch über den Gipfel wegfahren ohne auf eine Untiefe zu ſtoßen. Schlamm aber liegt dort unten, unendlicher Schlamm. Und Schlamm geht ſo durch alle Ozeangründe. Denke dir jäh durch einen geologiſchen Akt die Meerwaſſer der Erde aufgeſaugt, den Ozeansboden allenthalben gehoben und frei. Endloſe Wüſten, an Flächeninhalt größer als alle fünf alten Erdteile zuſammengenommen, gähnten auf einmal empor. Ihr trocknender Grundſchlamm aber zerfiele wirklich jetzt zu dürrem, weißlichem und rötlichem Staub. Und wenn der Sturm pfiffe, würde er Sandhoſen bis zu den Wolken aufwirbeln von dieſem Staub, von Millionen Quadrat¬ kilometern Staub. Und nun nimm eine ſolche Probe Tiefſee- Staubes unter das Mikroſkop. Schraube dir die Vergrößerung richtig ein. In der kleinen Lichtinſel, die dein Auge wie mit Zauberkraft weit über ſeine gewohnten Grenzen ſtärkt, erſcheint ein märchenhaftes Bild. So liegt der Zwergenſchatz in der unnahbaren Felsſpalte. Ein Berglämpchen glüht und in ſeinem Scheine blitzt unendliches Silber. Oder der Nibelungenhort taucht in berauſchender Rebenſtunde aus dem kryſtallgrünen Strom und flimmert im Mondlicht. Zum magiſchen Spiegel
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0046"n="30"/>ſelig wie eine Prieſe Schnupftabak. Aber lies die Aufſchrift<lb/>
des angeklebten Zettelchens. <hirendition="#aq">Radiol. Ooze. Chall Stat.</hi> 225.<lb/><hirendition="#aq">W. Pacif.</hi> 4475 <hirendition="#aq">Fd.</hi> Klingt wie ein Apothekenrezept. Ich über¬<lb/>ſetze dir die Geheimſchrift. <hirendition="#aq">Ooze</hi> heißt engliſch Schlamm und<lb/><hirendition="#aq">Radiolarian Ooze</hi> iſt Schlamm, der größtenteils aus Radiolarien<lb/>
beſteht. Es iſt eine Probe Schlamm aus den Abgründen der<lb/>
Tiefſee. Die berühmte Tiefſee-Expedition des engliſchen Schiffes<lb/>
Challenger hat ſie mit kunſtvollem Apparat vom Grunde<lb/>
des <hirendition="#aq">West Pacific</hi>, des weſtlichen Stillen Ozeans, an ihrer<lb/>
225. Sondirungs-Station (zwiſchen den Karolinen-Inſeln und<lb/>
Japan) heraufgeholt. Aus wahrhaft koloſſaler Tiefe. 4475 Faden<lb/>
reicht das Meer dort hinab, ehe das Lot auf Grund ſtößt.<lb/>
Das ſind über 8000 Meter, mehr als eine Meile. Der höchſte<lb/>
Berg der Erde, der Gauriſankar ließe ſich dort verſenken und<lb/>
der größte Dampfer könnte noch über den Gipfel wegfahren<lb/>
ohne auf eine Untiefe zu ſtoßen. Schlamm aber liegt dort<lb/>
unten, unendlicher Schlamm. Und Schlamm geht ſo durch alle<lb/>
Ozeangründe. Denke dir jäh durch einen geologiſchen Akt die<lb/>
Meerwaſſer der Erde aufgeſaugt, den Ozeansboden allenthalben<lb/>
gehoben und frei. Endloſe Wüſten, an Flächeninhalt größer<lb/>
als alle fünf alten Erdteile zuſammengenommen, gähnten auf<lb/>
einmal empor. Ihr trocknender Grundſchlamm aber zerfiele<lb/>
wirklich jetzt zu dürrem, weißlichem und rötlichem Staub. Und<lb/>
wenn der Sturm pfiffe, würde er Sandhoſen bis zu den<lb/>
Wolken aufwirbeln von dieſem Staub, von Millionen Quadrat¬<lb/>
kilometern Staub. Und nun nimm eine ſolche Probe Tiefſee-<lb/>
Staubes unter das Mikroſkop. Schraube dir die Vergrößerung<lb/>
richtig ein. In der kleinen Lichtinſel, die dein Auge wie mit<lb/>
Zauberkraft weit über ſeine gewohnten Grenzen ſtärkt, erſcheint<lb/>
ein märchenhaftes Bild. So liegt der Zwergenſchatz in der<lb/>
unnahbaren Felsſpalte. Ein Berglämpchen glüht und in ſeinem<lb/>
Scheine blitzt unendliches Silber. Oder der Nibelungenhort<lb/>
taucht in berauſchender Rebenſtunde aus dem kryſtallgrünen<lb/>
Strom und flimmert im Mondlicht. Zum magiſchen Spiegel<lb/></p></div></body></text></TEI>
[30/0046]
ſelig wie eine Prieſe Schnupftabak. Aber lies die Aufſchrift
des angeklebten Zettelchens. Radiol. Ooze. Chall Stat. 225.
W. Pacif. 4475 Fd. Klingt wie ein Apothekenrezept. Ich über¬
ſetze dir die Geheimſchrift. Ooze heißt engliſch Schlamm und
Radiolarian Ooze iſt Schlamm, der größtenteils aus Radiolarien
beſteht. Es iſt eine Probe Schlamm aus den Abgründen der
Tiefſee. Die berühmte Tiefſee-Expedition des engliſchen Schiffes
Challenger hat ſie mit kunſtvollem Apparat vom Grunde
des West Pacific, des weſtlichen Stillen Ozeans, an ihrer
225. Sondirungs-Station (zwiſchen den Karolinen-Inſeln und
Japan) heraufgeholt. Aus wahrhaft koloſſaler Tiefe. 4475 Faden
reicht das Meer dort hinab, ehe das Lot auf Grund ſtößt.
Das ſind über 8000 Meter, mehr als eine Meile. Der höchſte
Berg der Erde, der Gauriſankar ließe ſich dort verſenken und
der größte Dampfer könnte noch über den Gipfel wegfahren
ohne auf eine Untiefe zu ſtoßen. Schlamm aber liegt dort
unten, unendlicher Schlamm. Und Schlamm geht ſo durch alle
Ozeangründe. Denke dir jäh durch einen geologiſchen Akt die
Meerwaſſer der Erde aufgeſaugt, den Ozeansboden allenthalben
gehoben und frei. Endloſe Wüſten, an Flächeninhalt größer
als alle fünf alten Erdteile zuſammengenommen, gähnten auf
einmal empor. Ihr trocknender Grundſchlamm aber zerfiele
wirklich jetzt zu dürrem, weißlichem und rötlichem Staub. Und
wenn der Sturm pfiffe, würde er Sandhoſen bis zu den
Wolken aufwirbeln von dieſem Staub, von Millionen Quadrat¬
kilometern Staub. Und nun nimm eine ſolche Probe Tiefſee-
Staubes unter das Mikroſkop. Schraube dir die Vergrößerung
richtig ein. In der kleinen Lichtinſel, die dein Auge wie mit
Zauberkraft weit über ſeine gewohnten Grenzen ſtärkt, erſcheint
ein märchenhaftes Bild. So liegt der Zwergenſchatz in der
unnahbaren Felsſpalte. Ein Berglämpchen glüht und in ſeinem
Scheine blitzt unendliches Silber. Oder der Nibelungenhort
taucht in berauſchender Rebenſtunde aus dem kryſtallgrünen
Strom und flimmert im Mondlicht. Zum magiſchen Spiegel
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 2. Leipzig, 1900, S. 30. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boelsche_liebesleben02_1900/46>, abgerufen am 21.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.