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Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 2. Leipzig, 1900.

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lich wieder zusammen aus ungezählten Kieselteilchen, wie der
lebendige Zellenleib des winzigen Urtiers darin aufgebaut war
aus ebenso ungezählten Teilchen der Eiweißsubstanz des Proto¬
plasma. Diese Teilchen aber bestehen abermals aus noch
kleineren Teilchen. Das Mikroskop sieht sie nicht mehr, aber
die Chemie weiß sie noch zu fassen. Die Kieselerdenteilchen
lösen sich jedes wieder auf in Teilchen des Elementes Silicium
und des Elementes Sauerstoff. Die Protoplasmateilchen in
Teilchen reinen Kohlenstoffs, Sauerstoffs u. s. w. Die Welt
der Moleküle, der Atome beginnt hier. Grade die Chemie, die
uns dabei noch ein Stück weiter führt, führt aber auch fort
und fort auf neue rhythmische Lagerungen dieser Teilchen, auf
bestimmte Verhältnisse. Kein Zweifel: dem wirklich sehenden
Blick würden immer neue Schätze, neue Kaleidoskopfiguren,
neue krystallartig mathematischen Gebilde im Schoße jedes ein¬
zelnen dieser Kieselschälchen erscheinen. Ein Gewimmel, eine
Masse, bis du meintest, du seiest vor ein neues Weltall ent¬
rückt, schautest in den Flockenschauer von Milchstraßen, wo jede
glitzerndweiße Flocke vor dem Blau eine Sonne, eine Doppel¬
sonne, ein Planetensystem ist. Und es sind Systeme, da unten
wie dort. Systeme, in denen Weltkräfte walten. Jedes Molekül
eine Sonne in seiner Art. Die Sonnenwelt da droben hat
keinen Abschluß. Hinter dem Orion, hinter der ganzen Lichtinsel
unseres Fixsternsystems dämmern neue Orionsysteme, neue Fixstern¬
inseln auf, -- bis unser gläsernes Teleskopauge versagt. Ebenso
wenig reißt die Welt der winzigsten Materienteilchen jemals ab.
Und immer und immer dort wie hier ein heiliger Reigen¬
tanz, nie und nie und nie ein Absinken wirklich zu regellos
elendem "Staub", -- immer Harmonie, immer ein Schwingen,
Sichgatten, Sichlagern zu rhythmischen, ästhetisch vollkommenen
Gebilden, immer der leise Wogenschlag des großen, gleichen
Geheimnisses, in dem der Orion eine Welle ist und du als
Mensch eine Welle bist und das Radiolar eine Welle ist und
jedes Molekül in diesem Radiolar eine Welle ist.

lich wieder zuſammen aus ungezählten Kieſelteilchen, wie der
lebendige Zellenleib des winzigen Urtiers darin aufgebaut war
aus ebenſo ungezählten Teilchen der Eiweißſubſtanz des Proto¬
plasma. Dieſe Teilchen aber beſtehen abermals aus noch
kleineren Teilchen. Das Mikroſkop ſieht ſie nicht mehr, aber
die Chemie weiß ſie noch zu faſſen. Die Kieſelerdenteilchen
löſen ſich jedes wieder auf in Teilchen des Elementes Silicium
und des Elementes Sauerſtoff. Die Protoplasmateilchen in
Teilchen reinen Kohlenſtoffs, Sauerſtoffs u. ſ. w. Die Welt
der Moleküle, der Atome beginnt hier. Grade die Chemie, die
uns dabei noch ein Stück weiter führt, führt aber auch fort
und fort auf neue rhythmiſche Lagerungen dieſer Teilchen, auf
beſtimmte Verhältniſſe. Kein Zweifel: dem wirklich ſehenden
Blick würden immer neue Schätze, neue Kaleidoſkopfiguren,
neue kryſtallartig mathematiſchen Gebilde im Schoße jedes ein¬
zelnen dieſer Kieſelſchälchen erſcheinen. Ein Gewimmel, eine
Maſſe, bis du meinteſt, du ſeieſt vor ein neues Weltall ent¬
rückt, ſchauteſt in den Flockenſchauer von Milchſtraßen, wo jede
glitzerndweiße Flocke vor dem Blau eine Sonne, eine Doppel¬
ſonne, ein Planetenſyſtem iſt. Und es ſind Syſteme, da unten
wie dort. Syſteme, in denen Weltkräfte walten. Jedes Molekül
eine Sonne in ſeiner Art. Die Sonnenwelt da droben hat
keinen Abſchluß. Hinter dem Orion, hinter der ganzen Lichtinſel
unſeres Fixſternſyſtems dämmern neue Orionſyſteme, neue Fixſtern¬
inſeln auf, — bis unſer gläſernes Teleſkopauge verſagt. Ebenſo
wenig reißt die Welt der winzigſten Materienteilchen jemals ab.
Und immer und immer dort wie hier ein heiliger Reigen¬
tanz, nie und nie und nie ein Abſinken wirklich zu regellos
elendem „Staub“, — immer Harmonie, immer ein Schwingen,
Sichgatten, Sichlagern zu rhythmiſchen, äſthetiſch vollkommenen
Gebilden, immer der leiſe Wogenſchlag des großen, gleichen
Geheimniſſes, in dem der Orion eine Welle iſt und du als
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[32/0048] lich wieder zuſammen aus ungezählten Kieſelteilchen, wie der lebendige Zellenleib des winzigen Urtiers darin aufgebaut war aus ebenſo ungezählten Teilchen der Eiweißſubſtanz des Proto¬ plasma. Dieſe Teilchen aber beſtehen abermals aus noch kleineren Teilchen. Das Mikroſkop ſieht ſie nicht mehr, aber die Chemie weiß ſie noch zu faſſen. Die Kieſelerdenteilchen löſen ſich jedes wieder auf in Teilchen des Elementes Silicium und des Elementes Sauerſtoff. Die Protoplasmateilchen in Teilchen reinen Kohlenſtoffs, Sauerſtoffs u. ſ. w. Die Welt der Moleküle, der Atome beginnt hier. Grade die Chemie, die uns dabei noch ein Stück weiter führt, führt aber auch fort und fort auf neue rhythmiſche Lagerungen dieſer Teilchen, auf beſtimmte Verhältniſſe. Kein Zweifel: dem wirklich ſehenden Blick würden immer neue Schätze, neue Kaleidoſkopfiguren, neue kryſtallartig mathematiſchen Gebilde im Schoße jedes ein¬ zelnen dieſer Kieſelſchälchen erſcheinen. Ein Gewimmel, eine Maſſe, bis du meinteſt, du ſeieſt vor ein neues Weltall ent¬ rückt, ſchauteſt in den Flockenſchauer von Milchſtraßen, wo jede glitzerndweiße Flocke vor dem Blau eine Sonne, eine Doppel¬ ſonne, ein Planetenſyſtem iſt. Und es ſind Syſteme, da unten wie dort. Syſteme, in denen Weltkräfte walten. Jedes Molekül eine Sonne in ſeiner Art. Die Sonnenwelt da droben hat keinen Abſchluß. Hinter dem Orion, hinter der ganzen Lichtinſel unſeres Fixſternſyſtems dämmern neue Orionſyſteme, neue Fixſtern¬ inſeln auf, — bis unſer gläſernes Teleſkopauge verſagt. Ebenſo wenig reißt die Welt der winzigſten Materienteilchen jemals ab. Und immer und immer dort wie hier ein heiliger Reigen¬ tanz, nie und nie und nie ein Abſinken wirklich zu regellos elendem „Staub“, — immer Harmonie, immer ein Schwingen, Sichgatten, Sichlagern zu rhythmiſchen, äſthetiſch vollkommenen Gebilden, immer der leiſe Wogenſchlag des großen, gleichen Geheimniſſes, in dem der Orion eine Welle iſt und du als Menſch eine Welle biſt und das Radiolar eine Welle iſt und jedes Molekül in dieſem Radiolar eine Welle iſt.

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Zitationshilfe: Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 2. Leipzig, 1900, S. 32. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boelsche_liebesleben02_1900/48>, abgerufen am 21.11.2024.