kleiner Busch. Aber aus Samenstäubchen, nicht größer als dieses, erwächst der Eukalyptusbaum Australiens, der so hoch wird wie die Türme des Kölner Doms. Es erwachsen die Cypressen und Drachenbäume, die mit ihrem Alter von Jahr¬ tausenden auf ganze Kulturepochen der Menschheit wie auf eine Nachtwache niederschaun. Staub. Bekommst du nicht Re¬ spekt vor diesem Staub?
Denke dir die Erde leergefegt von allem, was sie trägt. Kein Leben, kein Wasser, keine Luft, keine innere Bewegung der Gesteine. Leer alles, glatt und tot. Trillionen und Qua¬ drillionen von Jahrtausenden soll sie so schwingen um ihren Schwerpunkt. Was wird zu ihr kommen? Was wird als geheime neue Regung sie berühren? Staub. Das Weltall, die freien Planetenräume, die Sternenweiten führen unablässig eines zu: feinen Staub. Auch auf unsere Erde, wie sie heute ist, sinkt immerzu feinster meteorischer Staub, nickelhaltiger Eisenstaub. Auf dem jungfräulichen Eise der Polarlande findest du seine Spur. Du findest sie zwischen den Radiolarien¬ schalen in der Gaurisankartiefe des Ozeans. Immer meteorisches Nickeleisen, das von fernen Welten kommt, vielleicht irgendwo verpulverten Welten. Wieviel Wunder der Entwickelung, wie¬ viel Kulturen mögen als letzter Extrakt in diesen Eisenstäubchen stecken! Aber das nun regnend und regnend Trillionen von Jahrtausenden lang. Der Planet würde wachsen, seine Schwere würde sich ändern und mit der Schwere seine Bahn. Vielleicht wäre es auch neues Leben, das so als Staub auf ihn nieder¬ regnete. Lebenskeime, die der Kälte von Stern zu Stern ge¬ trotzt haben, wie der Kürbissamen, der eine künstliche Kälte von -- 192° C. übersteht. Du siehst den Staub bei der Arbeit, wie er Welten baut, Planetensysteme verschiebt. Mit dem Staube ist es genau wie mit Gott. Unter deinen Fingern löst er sich und wird zur Weltenwolke, die ins Unermessene verschwebt. Löse mir das Rätsel des Staubes und ich gebe dir das Rätsel des Menschen mit in Kauf. Aber es geht
kleiner Buſch. Aber aus Samenſtäubchen, nicht größer als dieſes, erwächſt der Eukalyptusbaum Auſtraliens, der ſo hoch wird wie die Türme des Kölner Doms. Es erwachſen die Cypreſſen und Drachenbäume, die mit ihrem Alter von Jahr¬ tauſenden auf ganze Kulturepochen der Menſchheit wie auf eine Nachtwache niederſchaun. Staub. Bekommſt du nicht Re¬ ſpekt vor dieſem Staub?
Denke dir die Erde leergefegt von allem, was ſie trägt. Kein Leben, kein Waſſer, keine Luft, keine innere Bewegung der Geſteine. Leer alles, glatt und tot. Trillionen und Qua¬ drillionen von Jahrtauſenden ſoll ſie ſo ſchwingen um ihren Schwerpunkt. Was wird zu ihr kommen? Was wird als geheime neue Regung ſie berühren? Staub. Das Weltall, die freien Planetenräume, die Sternenweiten führen unabläſſig eines zu: feinen Staub. Auch auf unſere Erde, wie ſie heute iſt, ſinkt immerzu feinſter meteoriſcher Staub, nickelhaltiger Eiſenſtaub. Auf dem jungfräulichen Eiſe der Polarlande findeſt du ſeine Spur. Du findeſt ſie zwiſchen den Radiolarien¬ ſchalen in der Gauriſankartiefe des Ozeans. Immer meteoriſches Nickeleiſen, das von fernen Welten kommt, vielleicht irgendwo verpulverten Welten. Wieviel Wunder der Entwickelung, wie¬ viel Kulturen mögen als letzter Extrakt in dieſen Eiſenſtäubchen ſtecken! Aber das nun regnend und regnend Trillionen von Jahrtauſenden lang. Der Planet würde wachſen, ſeine Schwere würde ſich ändern und mit der Schwere ſeine Bahn. Vielleicht wäre es auch neues Leben, das ſo als Staub auf ihn nieder¬ regnete. Lebenskeime, die der Kälte von Stern zu Stern ge¬ trotzt haben, wie der Kürbisſamen, der eine künſtliche Kälte von — 192° C. überſteht. Du ſiehſt den Staub bei der Arbeit, wie er Welten baut, Planetenſyſteme verſchiebt. Mit dem Staube iſt es genau wie mit Gott. Unter deinen Fingern löſt er ſich und wird zur Weltenwolke, die ins Unermeſſene verſchwebt. Löſe mir das Rätſel des Staubes und ich gebe dir das Rätſel des Menſchen mit in Kauf. Aber es geht
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kleiner Buſch. Aber aus Samenſtäubchen, nicht größer als
dieſes, erwächſt der Eukalyptusbaum Auſtraliens, der ſo hoch
wird wie die Türme des Kölner Doms. Es erwachſen die
Cypreſſen und Drachenbäume, die mit ihrem Alter von Jahr¬
tauſenden auf ganze Kulturepochen der Menſchheit wie auf
eine Nachtwache niederſchaun. Staub. Bekommſt du nicht Re¬
ſpekt vor dieſem Staub?
Denke dir die Erde leergefegt von allem, was ſie trägt.
Kein Leben, kein Waſſer, keine Luft, keine innere Bewegung
der Geſteine. Leer alles, glatt und tot. Trillionen und Qua¬
drillionen von Jahrtauſenden ſoll ſie ſo ſchwingen um ihren
Schwerpunkt. Was wird zu ihr kommen? Was wird als
geheime neue Regung ſie berühren? Staub. Das Weltall,
die freien Planetenräume, die Sternenweiten führen unabläſſig
eines zu: feinen Staub. Auch auf unſere Erde, wie ſie heute
iſt, ſinkt immerzu feinſter meteoriſcher Staub, nickelhaltiger
Eiſenſtaub. Auf dem jungfräulichen Eiſe der Polarlande
findeſt du ſeine Spur. Du findeſt ſie zwiſchen den Radiolarien¬
ſchalen in der Gauriſankartiefe des Ozeans. Immer meteoriſches
Nickeleiſen, das von fernen Welten kommt, vielleicht irgendwo
verpulverten Welten. Wieviel Wunder der Entwickelung, wie¬
viel Kulturen mögen als letzter Extrakt in dieſen Eiſenſtäubchen
ſtecken! Aber das nun regnend und regnend Trillionen von
Jahrtauſenden lang. Der Planet würde wachſen, ſeine Schwere
würde ſich ändern und mit der Schwere ſeine Bahn. Vielleicht
wäre es auch neues Leben, das ſo als Staub auf ihn nieder¬
regnete. Lebenskeime, die der Kälte von Stern zu Stern ge¬
trotzt haben, wie der Kürbisſamen, der eine künſtliche Kälte
von — 192° C. überſteht. Du ſiehſt den Staub bei der
Arbeit, wie er Welten baut, Planetenſyſteme verſchiebt. Mit
dem Staube iſt es genau wie mit Gott. Unter deinen Fingern
löſt er ſich und wird zur Weltenwolke, die ins Unermeſſene
verſchwebt. Löſe mir das Rätſel des Staubes und ich gebe
dir das Rätſel des Menſchen mit in Kauf. Aber es geht
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Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 2. Leipzig, 1900, S. 34. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boelsche_liebesleben02_1900/50>, abgerufen am 21.11.2024.
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