bekommen. Zur Stütze dieses Schlauchs legt sich in die Längs¬ achse das bewußte Brett, der Knorpelstab des werdenden Rück¬ grats. Das Neunauge zeigt diese einfache Schlauchgestalt äußerlich noch vortrefflich in einer wahren Grundform. Aber nun schwamm der mehr und mehr innerlich gefestigte Schlauch dahin und entwickelte sich im Haifisch fort. Es war eine Not¬ wendigkeit, daß die weiter entstehenden Organe mehr und mehr in Doppelform, an den zwei Seiten dieses Schlauches, ent¬ standen. Auch das begann schon beim Wurm, jetzt aber wurde es erst eigentlich Trumpf.
Vergegenwärtige dir (es ist eine hochwichtige Sache, auf die ich noch bei der Entstehungsgeschichte der menschlichen Geschlechtsteile zurückkomme) zunächst einmal am Auge etwa, wie ich das meine. Hier steht ein Haus mit seinen vier Wänden. In der Vorderwand ist eine große Thür und in der Hinterwand ebenfalls eine. Jetzt will ich Fenster anlegen, um möglichst gut die Umgebung betrachten zu können. Es ist klar, daß ich in jede der beiden noch freien Wände je ein Fenster schlage, also im ganzen zwei Fenster, nach jeder Seite eines. Ein Auge ist am Leibe eines Tieres nun durchaus nichts anderes als ein Fenster, eine Sehluke in der Haut, durch die Licht (und damit Gestalten und Farben der Außendinge) ins innerliche Nervensystem, ins Gehirn, hineinbefördert werden kann. Das Gehirn des Wurmes, des Neunauges, des Hai¬ fisches lag am vorderen Schlauchende innen im Schlauch des Leibes. Vorne vor ihm öffnete sich die Hausthür des Mundes. So schlug es also auch seine Fenster rechts und links, nach jeder Seite je eines.
Schon die Neunaugen haben wenigstens in ihrer be¬ kanntesten Form zwei schöne Augen genau so rechts und links in der vorderen Schlauchwand. Das Wort Neunauge, nebenbei gesagt, ist wohl so entstanden, daß im Volk die runden Kiemen¬ löcher, die an beiden Seiten hinter dem runden Äugelchen liegen, die aber der Atmung und nicht dem Sehen dienen,
6
bekommen. Zur Stütze dieſes Schlauchs legt ſich in die Längs¬ achſe das bewußte Brett, der Knorpelſtab des werdenden Rück¬ grats. Das Neunauge zeigt dieſe einfache Schlauchgeſtalt äußerlich noch vortrefflich in einer wahren Grundform. Aber nun ſchwamm der mehr und mehr innerlich gefeſtigte Schlauch dahin und entwickelte ſich im Haifiſch fort. Es war eine Not¬ wendigkeit, daß die weiter entſtehenden Organe mehr und mehr in Doppelform, an den zwei Seiten dieſes Schlauches, ent¬ ſtanden. Auch das begann ſchon beim Wurm, jetzt aber wurde es erſt eigentlich Trumpf.
Vergegenwärtige dir (es iſt eine hochwichtige Sache, auf die ich noch bei der Entſtehungsgeſchichte der menſchlichen Geſchlechtsteile zurückkomme) zunächſt einmal am Auge etwa, wie ich das meine. Hier ſteht ein Haus mit ſeinen vier Wänden. In der Vorderwand iſt eine große Thür und in der Hinterwand ebenfalls eine. Jetzt will ich Fenſter anlegen, um möglichſt gut die Umgebung betrachten zu können. Es iſt klar, daß ich in jede der beiden noch freien Wände je ein Fenſter ſchlage, alſo im ganzen zwei Fenſter, nach jeder Seite eines. Ein Auge iſt am Leibe eines Tieres nun durchaus nichts anderes als ein Fenſter, eine Sehluke in der Haut, durch die Licht (und damit Geſtalten und Farben der Außendinge) ins innerliche Nervenſyſtem, ins Gehirn, hineinbefördert werden kann. Das Gehirn des Wurmes, des Neunauges, des Hai¬ fiſches lag am vorderen Schlauchende innen im Schlauch des Leibes. Vorne vor ihm öffnete ſich die Hausthür des Mundes. So ſchlug es alſo auch ſeine Fenſter rechts und links, nach jeder Seite je eines.
Schon die Neunaugen haben wenigſtens in ihrer be¬ kannteſten Form zwei ſchöne Augen genau ſo rechts und links in der vorderen Schlauchwand. Das Wort Neunauge, nebenbei geſagt, iſt wohl ſo entſtanden, daß im Volk die runden Kiemen¬ löcher, die an beiden Seiten hinter dem runden Äugelchen liegen, die aber der Atmung und nicht dem Sehen dienen,
6
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0097"n="81"/>
bekommen. Zur Stütze dieſes Schlauchs legt ſich in die Längs¬<lb/>
achſe das bewußte Brett, der Knorpelſtab des werdenden Rück¬<lb/>
grats. Das Neunauge zeigt dieſe einfache Schlauchgeſtalt<lb/>
äußerlich noch vortrefflich in einer wahren Grundform. Aber<lb/>
nun ſchwamm der mehr und mehr innerlich gefeſtigte Schlauch<lb/>
dahin und entwickelte ſich im Haifiſch fort. Es war eine Not¬<lb/>
wendigkeit, daß die weiter entſtehenden Organe mehr und mehr<lb/>
in <hirendition="#g">Doppelform</hi>, an den zwei Seiten dieſes Schlauches, ent¬<lb/>ſtanden. Auch das begann ſchon beim Wurm, jetzt aber wurde<lb/>
es erſt eigentlich Trumpf.</p><lb/><p>Vergegenwärtige dir (es iſt eine hochwichtige Sache, auf<lb/>
die ich noch bei der Entſtehungsgeſchichte der menſchlichen<lb/>
Geſchlechtsteile zurückkomme) zunächſt einmal am Auge etwa,<lb/>
wie ich das meine. Hier ſteht ein Haus mit ſeinen vier<lb/>
Wänden. In der Vorderwand iſt eine große Thür und in<lb/>
der Hinterwand ebenfalls eine. Jetzt will ich Fenſter anlegen,<lb/>
um möglichſt gut die Umgebung betrachten zu können. Es iſt<lb/>
klar, daß ich in jede der beiden noch freien Wände je ein<lb/>
Fenſter ſchlage, alſo im ganzen <hirendition="#g">zwei</hi> Fenſter, nach jeder Seite<lb/>
eines. Ein Auge iſt am Leibe eines Tieres nun durchaus<lb/>
nichts anderes als ein Fenſter, eine Sehluke in der Haut, durch<lb/>
die Licht (und damit Geſtalten und Farben der Außendinge)<lb/>
ins innerliche Nervenſyſtem, ins Gehirn, hineinbefördert werden<lb/>
kann. Das Gehirn des Wurmes, des Neunauges, des Hai¬<lb/>
fiſches lag am vorderen Schlauchende innen im Schlauch des<lb/>
Leibes. Vorne vor ihm öffnete ſich die Hausthür des Mundes.<lb/>
So ſchlug es alſo auch ſeine Fenſter rechts und links, nach<lb/>
jeder Seite je eines.</p><lb/><p>Schon die Neunaugen haben wenigſtens in ihrer be¬<lb/>
kannteſten Form zwei ſchöne Augen genau ſo rechts und links<lb/>
in der vorderen Schlauchwand. Das Wort Neunauge, nebenbei<lb/>
geſagt, iſt wohl ſo entſtanden, daß im Volk die runden Kiemen¬<lb/>
löcher, die an beiden Seiten hinter dem runden Äugelchen<lb/>
liegen, die aber der Atmung und nicht dem Sehen dienen,<lb/><fwtype="sig"place="bottom">6<lb/></fw></p></div></body></text></TEI>
[81/0097]
bekommen. Zur Stütze dieſes Schlauchs legt ſich in die Längs¬
achſe das bewußte Brett, der Knorpelſtab des werdenden Rück¬
grats. Das Neunauge zeigt dieſe einfache Schlauchgeſtalt
äußerlich noch vortrefflich in einer wahren Grundform. Aber
nun ſchwamm der mehr und mehr innerlich gefeſtigte Schlauch
dahin und entwickelte ſich im Haifiſch fort. Es war eine Not¬
wendigkeit, daß die weiter entſtehenden Organe mehr und mehr
in Doppelform, an den zwei Seiten dieſes Schlauches, ent¬
ſtanden. Auch das begann ſchon beim Wurm, jetzt aber wurde
es erſt eigentlich Trumpf.
Vergegenwärtige dir (es iſt eine hochwichtige Sache, auf
die ich noch bei der Entſtehungsgeſchichte der menſchlichen
Geſchlechtsteile zurückkomme) zunächſt einmal am Auge etwa,
wie ich das meine. Hier ſteht ein Haus mit ſeinen vier
Wänden. In der Vorderwand iſt eine große Thür und in
der Hinterwand ebenfalls eine. Jetzt will ich Fenſter anlegen,
um möglichſt gut die Umgebung betrachten zu können. Es iſt
klar, daß ich in jede der beiden noch freien Wände je ein
Fenſter ſchlage, alſo im ganzen zwei Fenſter, nach jeder Seite
eines. Ein Auge iſt am Leibe eines Tieres nun durchaus
nichts anderes als ein Fenſter, eine Sehluke in der Haut, durch
die Licht (und damit Geſtalten und Farben der Außendinge)
ins innerliche Nervenſyſtem, ins Gehirn, hineinbefördert werden
kann. Das Gehirn des Wurmes, des Neunauges, des Hai¬
fiſches lag am vorderen Schlauchende innen im Schlauch des
Leibes. Vorne vor ihm öffnete ſich die Hausthür des Mundes.
So ſchlug es alſo auch ſeine Fenſter rechts und links, nach
jeder Seite je eines.
Schon die Neunaugen haben wenigſtens in ihrer be¬
kannteſten Form zwei ſchöne Augen genau ſo rechts und links
in der vorderen Schlauchwand. Das Wort Neunauge, nebenbei
geſagt, iſt wohl ſo entſtanden, daß im Volk die runden Kiemen¬
löcher, die an beiden Seiten hinter dem runden Äugelchen
liegen, die aber der Atmung und nicht dem Sehen dienen,
6
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 2. Leipzig, 1900, S. 81. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boelsche_liebesleben02_1900/97>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.