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Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 3. Leipzig, 1903.

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träufelnde Milch lecken. Die nächste Staffel, das Känguruh,
legt überhaupt keine Eier mehr. Immerhin sind auch seine
Jungen noch embryonenhaft unvollkommen und winzig klein
-- bohnenklein gegen die Menschengröße des erwachsenen großen
Känguruhs -- und der Beutel kommt zu Nutze, wenn auch
der eigentliche Brütofen jetzt bereits im Mutterleibe selber sitzt.
Wie ausgiebig, einmal vorhanden, der Beutel als Kinderwiege
verwertet wird, davon spricht die lustige Thatsache, daß das
Känguruh-Junge seinen Mutterbeutel immer noch als gelegent¬
liche Schutzstätte aufsucht, auch wenn es selber schon geschlechts¬
reif ist. Weinland, der famose Tierkenner, beobachtete ein
hoffnungsvolles Känguruh-Töchterlein, das Ende September noch
im Beutel der Mutter schmarotzte, Ende Oktober noch regelrecht
sich von der Alten säugen ließ und um diese letztere Zeit allen
Ernstes bereits selber ein Kindlein im Beutel trug.

Noch eine Stufe -- und auch der Beutel fällt fort: das
Junge, das beim Känguruh nur etwas über einen Monat
lang im wirklichen Mutterleibe steckte, reift länger da drinnen
aus und bedarf des Beutels nicht mehr. Die Maus bringt
es zwar noch fertig, auch ohne Beutelstand ihren Embryo im
Eiltempo von einundzwanzig Tagen fertig zu stellen. Die
Katze braucht aber schon acht Wochen, und dem Elefanten glückt
es nicht mehr unter zwanzig Monaten. In dieser Reihe steht
glatt und ohne Neuerung auch der Mensch: ohne Beutel, mit
einer Tragzeit von neun Monaten, an deren Schluß das Junge
geboren wird, in einer gewissen Reife, aber der Pflege noch
bedürftig und durch die Muttermilch im Normalfalle noch ge¬
raume Zeit mit der Mutter in unmittelbarem körperlichem
Kontakt. Die Milch des Menschen, der bekanntlich die Esels¬
milch stofflich am nächsten steht, ist im Wesentlichen die des
höheren Säugetiers im Gegensatz zu der des Schnabeltiers, die
keine Phosphorsäure enthält.

Mag das kleine Milchkind dann in ein feines Kultur¬
bettlein kommen oder in eine alte Bauernwiege, in einen Schild

träufelnde Milch lecken. Die nächſte Staffel, das Känguruh,
legt überhaupt keine Eier mehr. Immerhin ſind auch ſeine
Jungen noch embryonenhaft unvollkommen und winzig klein
— bohnenklein gegen die Menſchengröße des erwachſenen großen
Känguruhs — und der Beutel kommt zu Nutze, wenn auch
der eigentliche Brütofen jetzt bereits im Mutterleibe ſelber ſitzt.
Wie ausgiebig, einmal vorhanden, der Beutel als Kinderwiege
verwertet wird, davon ſpricht die luſtige Thatſache, daß das
Känguruh-Junge ſeinen Mutterbeutel immer noch als gelegent¬
liche Schutzſtätte aufſucht, auch wenn es ſelber ſchon geſchlechts¬
reif iſt. Weinland, der famoſe Tierkenner, beobachtete ein
hoffnungsvolles Känguruh-Töchterlein, das Ende September noch
im Beutel der Mutter ſchmarotzte, Ende Oktober noch regelrecht
ſich von der Alten ſäugen ließ und um dieſe letztere Zeit allen
Ernſtes bereits ſelber ein Kindlein im Beutel trug.

Noch eine Stufe — und auch der Beutel fällt fort: das
Junge, das beim Känguruh nur etwas über einen Monat
lang im wirklichen Mutterleibe ſteckte, reift länger da drinnen
aus und bedarf des Beutels nicht mehr. Die Maus bringt
es zwar noch fertig, auch ohne Beutelſtand ihren Embryo im
Eiltempo von einundzwanzig Tagen fertig zu ſtellen. Die
Katze braucht aber ſchon acht Wochen, und dem Elefanten glückt
es nicht mehr unter zwanzig Monaten. In dieſer Reihe ſteht
glatt und ohne Neuerung auch der Menſch: ohne Beutel, mit
einer Tragzeit von neun Monaten, an deren Schluß das Junge
geboren wird, in einer gewiſſen Reife, aber der Pflege noch
bedürftig und durch die Muttermilch im Normalfalle noch ge¬
raume Zeit mit der Mutter in unmittelbarem körperlichem
Kontakt. Die Milch des Menſchen, der bekanntlich die Eſels¬
milch ſtofflich am nächſten ſteht, iſt im Weſentlichen die des
höheren Säugetiers im Gegenſatz zu der des Schnabeltiers, die
keine Phosphorſäure enthält.

Mag das kleine Milchkind dann in ein feines Kultur¬
bettlein kommen oder in eine alte Bauernwiege, in einen Schild

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[93/0107] träufelnde Milch lecken. Die nächſte Staffel, das Känguruh, legt überhaupt keine Eier mehr. Immerhin ſind auch ſeine Jungen noch embryonenhaft unvollkommen und winzig klein — bohnenklein gegen die Menſchengröße des erwachſenen großen Känguruhs — und der Beutel kommt zu Nutze, wenn auch der eigentliche Brütofen jetzt bereits im Mutterleibe ſelber ſitzt. Wie ausgiebig, einmal vorhanden, der Beutel als Kinderwiege verwertet wird, davon ſpricht die luſtige Thatſache, daß das Känguruh-Junge ſeinen Mutterbeutel immer noch als gelegent¬ liche Schutzſtätte aufſucht, auch wenn es ſelber ſchon geſchlechts¬ reif iſt. Weinland, der famoſe Tierkenner, beobachtete ein hoffnungsvolles Känguruh-Töchterlein, das Ende September noch im Beutel der Mutter ſchmarotzte, Ende Oktober noch regelrecht ſich von der Alten ſäugen ließ und um dieſe letztere Zeit allen Ernſtes bereits ſelber ein Kindlein im Beutel trug. Noch eine Stufe — und auch der Beutel fällt fort: das Junge, das beim Känguruh nur etwas über einen Monat lang im wirklichen Mutterleibe ſteckte, reift länger da drinnen aus und bedarf des Beutels nicht mehr. Die Maus bringt es zwar noch fertig, auch ohne Beutelſtand ihren Embryo im Eiltempo von einundzwanzig Tagen fertig zu ſtellen. Die Katze braucht aber ſchon acht Wochen, und dem Elefanten glückt es nicht mehr unter zwanzig Monaten. In dieſer Reihe ſteht glatt und ohne Neuerung auch der Menſch: ohne Beutel, mit einer Tragzeit von neun Monaten, an deren Schluß das Junge geboren wird, in einer gewiſſen Reife, aber der Pflege noch bedürftig und durch die Muttermilch im Normalfalle noch ge¬ raume Zeit mit der Mutter in unmittelbarem körperlichem Kontakt. Die Milch des Menſchen, der bekanntlich die Eſels¬ milch ſtofflich am nächſten ſteht, iſt im Weſentlichen die des höheren Säugetiers im Gegenſatz zu der des Schnabeltiers, die keine Phosphorſäure enthält. Mag das kleine Milchkind dann in ein feines Kultur¬ bettlein kommen oder in eine alte Bauernwiege, in einen Schild

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Zitationshilfe: Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 3. Leipzig, 1903, S. 93. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boelsche_liebesleben03_1903/107>, abgerufen am 27.05.2024.